So tickt der Berliner Anwaltsmarkt

Politik, Party, Kneipe, Kunst und Currywurst – det is Berlin. Doch die Stadt hat auch für junge Juristen einiges zu bieten: Wer sich für Venture Capital, Immobilienrecht oder den öffentlichen Sektor interessiert, ist hier genau richtig. Eine weltoffene Einstellung sollte man mitbringen – Krawatte und Hosenanzug können dafür auch mal im Schrank hängen bleiben.

Wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ankündigt, dass es noch in diesem Jahr eine Strompreisbremse geben wird, dann heißt das für Sebastian Schnurre, dass die Arbeit beginnt. Was bedeutet das neue Gesetz für seine Mandanten? Der 41-Jährige ist Partner in der auf Energierecht spezialisierten Boutique AssmannPeiffer und reibt sich manchmal die Augen, in welcher Geschwindigkeit neue Gesetze auf dem Weg gebracht werden – besonders im Energierecht. Es hilft ­seinen Mandanten, dass Schnurre einen Draht in die Ministerien hat, ihnen dort auch mal einen Gesprächstermin vermitteln kann. „Man ist in Gesetzgebungsprozessen in Berlin gerade im Energierecht als Ansprechpartner durchaus gefragt“, sagt Schnurre. Das gefällt ihm. Bevor Schnurre Anwalt wurde, arbeitete er jahrelang in der Partei- und Verbandspolitik. Er war nach dem Referendariat zunächst Büroleiter beim stellvertretenden Vorsitzenden des Umweltausschusses im Bundestag, wechselte danach zum Bundesverband Neue Energiewirtschaft.

Gesetzgebung hautnah: Sebastian Schnurre, Berliner Partner von AssmannPeiffer, schätzt die Nähe zur Politik. (Foto: Patrick Morarescu)

Als Schnurre 2006 mit seiner Frau nach Berlin ging und dort nach dem Studium in Würzburg sein Referendariat begann, reizte es ihn, in eine richtige Großstadt zu ziehen. Von Anfang an war ihm klar: Hier geht er nicht mehr weg. „Ich mag das Unprätentiöse der Stadt“, sagt der gebürtige Schwabe. „Berlin hält sich nicht zu sehr mit Oberflächlichkeiten auf.“ Seine Kanzlei AssmannPeiffer sitzt mitten in Prenzlauer Berg an der Schönhauser Allee, unweit vom Imbiss Konnopke’s, Berlins berühmtester Currywurstbude.

Start-ups statt Banken-Skyline

Die Nähe zu Bundesministerien und Kanzleramt, der anhaltende Immobilienboom und das große Interesse der Investoren an den Start-ups: Eine Mischung, die Berlin auch für Anwälte attraktiv macht. In der Hauptstadt fehlt womöglich die Skyline der Frankfurter Banken, es fehlen die Konzernzentralen aus Düsseldorf und der Alpenblick aus München, aber der Anwaltsmarkt boomt. Nach Berechnungen der JUVE-Redaktion sind die zehn größten Wirtschaftskanzleien in Berlin seit den Jahren 2015/16 um rund 33 Prozent gewachsen. Viele der im Arbeitgeberranking azur100 gelisteten Top-Kanzleien haben ein Büro in der Hauptstadt.

Fast alle in Berlin

Da kann man arbeiten: Mehr als die Hälfte der 50 Top-Arbeitgeber im azur100-Ranking sind in der Hauptstadt mit einem eigenen Büro vertreten.

Berlin ist aber kein klassischer Großkanzleistandort wie die Städte im Westen – nur wenige der im JUVE Handbuch gelisteten Top-50-Kanzleien zählen an der Spree mehr als 50 Berufsträger. Andererseits haben viele US-Kanzleien wie Greenberg Traurig oder Morrison & Foerster Berlin als einzigen deutschen Standort gewählt. Viele größere Kanzleien bieten auch in Berlin die typische umfangreiche Ausbildung für Berufseinsteiger an. Doch es gibt zusätzlich etliche Boutiquen, also kleine, fokussierte Kanzleien, die sich auf die für Berlin typischen Rechtsbereiche öffentliches Recht, Venture Capital oder Immobilienrecht spezialisiert haben. Sie bieten aufgrund ihrer Größe keine standardisierten Ausbildungsprogramme, wohl aber einen direkten Einstieg in hochklassige Mandate.

Gehälter eher im Mittelfeld

Ergänzt wird die Liste an potenziellen Arbeitgebern für junge Juristen durch Jobs in Rechtsabteilungen. Als einer von wenigen Konzernen hat die Deutsche Bahn ihren Hauptsitz in Berlin, hinzu kommen Juristenjobs in den zahlreichen Ministerien, Behörden und Verbänden. Und natürlich die Start-up-Szene: Viele der jungen Unternehmen erreichen in kurzer Zeit Milliardenbewertungen, professionalisieren sich rasch, viele streben an die Börse. Nicht selten wird parallel eine Rechtsabteilung aufgebaut. Wer als Jurist nach Berlin gehen möchte, kann sich also nicht nur über das umfangreiche Kulturangebot, die tollen Parks, das internationale Flair und das berauschende Nachtleben freuen. Er hat auch eine große Auswahl an potenziellen Arbeitgebern.

Ebenso durchmischt wie die Kanzleilandschaft sind in Berlin auch die Gehälter. Spitzengehälter sind nicht überall zu erwarten. Zwar zahlen die größeren Kanzleien üblicherweise ein Einstiegsgehalt von mehr als 100.000 Euro. Auch US-Kanzleien gehören zu den Arbeit­gebern, die grundsätzlich besser bezahlen. Kleinere Kanzleien zahlen nur selten sechsstellige Summen, doch auch dort können Associates im ersten Berufsjahr immerhin mit Gehältern zwischen 70.000 und 90.000 Euro rechnen.

Berlin hält jung

Eine der typischen Berliner Boutiquen ist die Kanzlei Lambsdorff, die in einem Hinterhofgebäude am Hackeschen Markt sitzt. Konstantin Graf Lambsdorff (59), Namensgeber der Kanzlei, mag diesen ungewöhnlichen Standort. „Viele Kanzleien sitzen am Potsdamer Platz, wir sitzen dort, wo die Start-ups sind“, sagt der gebürtige Frankfurter, der seit 1991 in Berlin lebt und sich keinen anderen Wohnort mehr vorstellen kann. „Hier gibt es für Juristen so viele Möglichkeiten“, sagt Lambsdorff. „Das Besondere ist meiner Meinung nach, dass Großkanzleien und Boutiquen hier auf demselben Niveau arbeiten.“ Lambsdorff kennt beide Welten. Kurz nach der Wende 1991 hatte er einige Zeit für die Treuhandanstalt gearbeitet – „spannend“, meint er, bis es ihm „zu behördig“ wurde. Danach entschloss er sich, zu Taylor Wessing zu gehen. Die hatten damals ein Minibüro am Gendarmenmarkt, aber die Großkanzleimarke im Rücken. „Ich war der dritte Anwalt dort, und die Möglichkeit, etwas aufzubauen, hat mich enorm gereizt.“ Mittlerweile arbeiten 45 Anwältinnen und Anwälte bei Taylor Wessing in Berlin. 20 Jahre und eine erfolgreiche Karriere später, die ihn unter anderem in die Geschäftsführung von Taylor Wessing geführt hat, folgte Lambsdorff demselben Aufbauimpuls und macht sich mit seiner heutigen Boutique selbstständig.

So viele Möglichkeiten: Kanzleigründer Konstantin Graf Lambsdorff lässt sich von Berlin inspirieren. (Foto: Lambsdorff)

Die Kanzlei fokussiert sich auf die Tech-Branche, ist aber auch im Immobilien- oder Datenschutzrecht aktiv. Schon Ende der 90er-Jahre gab es erste Start-up-Aktivitäten in der Stadt. „Mittlerweile ist das in Berlin zu einer Art Branche herangereift“, sagt Lambsdorff. Gerade für junge Juristen, die oft das gleiche Alter wie ihre Mandanten haben, ist der Einstieg in einer solchen kleineren Einheit ideal, findet Lambsdorff: „Als Associate betreuen Sie das Mandat von ­Anfang an und von A bis Z mit und haben viel direktere Einblicke.“ Großkanzleien? Sind für ihn oft „Fabriken, in denen man sich kaum kennt“. Auch für ihn als erfahrenen Anwalt bleibt die Arbeit faszinierend: „In Berlin hat man so viele Möglichkeiten, die Stadt ist so inspirierend: Das hält jung!“, sagt er und lacht.

Weg mit der Krawatte

Berlin ist reich an Boutiquen, die sich auf die Beratung der Gründer- und Investorenszene spezialisiert haben – doch auch viele Großkanzleien lassen sich dieses lukrative Geschäft nicht entgehen. Die Start-up-Szene ist jung, sie ist international und sie liebt Berlin – beste Bedingungen für junge Juristen. „Hier kann man den Duft der großen weiten Welt schnuppern, das Geschäft im Venture Capital ist sehr international geworden“, sagt Dr. Katy Ritzmann (43). Sie ist Partnerin bei GSK Stockmann, die am Gendarmenmarkt sitzt, einem der Kanzleizentren im Osten der Stadt. Von ihrem Bürofenster aus kann Ritzmann dem Bundesjustizminister Marco Buschmann auf den Schreibtisch gucken. Viel häufiger allerdings berät Ritzmann Investoren, unter anderem aus Israel, die ihr Geld in deutsche Start-ups investieren.

Dauernd verändert sich die Stadt: Katy Ritzmann von GSK Stockmann lobt das internationale Klima in Berlin. (Foto: Patrick Morarescu)

Ritzmann, gebürtige Erfurterin, kam nach Stationen in Augsburg und Jena vor 16 Jahren zum Berufsstart nach Berlin – auch sie kann sich zum Arbeiten und Leben keine andere deutsche Stadt mehr vorstellen. „Es ist ein tolles, internationales Klima hier, viel ‚thinking outside the box‘“, schwärmt sie. Das trifft auch auf die Kanzleien selbst zu. In Berlin legten die Anwälte schon die Krawatten ab, als das in Hamburg oder Frankfurt noch nicht der letzte Chic war. Die Kanzleiwelt scheint in Berlin weniger konservativ als in den großen Metropolen im Westen Deutschlands: Nicht selten trifft man, vor allem in den kleineren Boutiquen, Anwälte in Kapuzenpulli und Sneakern. „Die Stadt hat sich in den 16 Jahren, seit ich hier lebe, komplett verändert“, sagt Ritzmann. „Sogar die Busfahrer sind freundlicher geworden.“

Jura meets Tech

Die Lockerheit liegt zum einen an den Mandanten, die auf eine konservative Bürouniform keinen Wert ­legen. Zum anderen an den Kollegen, mit denen viele Anwälte in Berlin täglich Tür an Tür arbeiten: Nicht wenige Kanzleien haben sich mittlerweile das Thema Legal Tech auf die Fahnen geschrieben, IT-Entwickler und Anwälte sitzen dabei oft unter ­einem Dach.

Die Liste der Kanzleien, die sich dem Thema Legal Tech stellen, wird immer länger: Freshfields Bruckhaus Deringer, die mittlerweile 10 Stockwerke am Potsdamer Platz gemietet haben, gründete 2019 das Freshfields Lab. Ungefähr 20 Mitarbeiter entwickeln dort gemeinsam mit Mandanten technologiebasierte Lösungen für Digitalisierungsfragen. Die kleinere Einheit Lindenpartners bietet unter dem Projekt ‚Berlinlawlab‘ auf ihrer Internetseite Tools wie den Kurzarbeit-Check oder einen DSGVO-Lotsen an. Und PXR, eine auf Start-up- und Techberatung fokussierte Kanzlei, gab im September den Start der Software ‚Gaia‘ bekannt, die die Kanzlei mithilfe ihrer Tech-Einheit entwickelt hatte: Start-ups, aber auch mittelständische Unternehmen können dort ihre rechtlichen Angelegenheiten abwickeln. Wer bei PXR als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist, kann an diesen Tech-Entwicklungen mitarbeiten, denn die Kanzlei bildet sie zu ‚Legal Engineers‘ aus. Auch GSK Stockmann hat eine eigene GmbH gegründet, in der sie Legal-Tech-Aktivitäten bündelt und Tools direkt in Mandaten anwendet. „Wenn man diesen Boom nicht mitmacht, begeht man einen großen Fehler“, sagt Ritzmann. Ihre Associates erlebten dort eine ganz andere Art des Arbeitens.

Ob Großkanzlei oder Boutique: Als Anwalt scheint es sich in Berlin gut arbeiten und leben zu lassen. ­Besonders im Transaktionsgeschäft bleiben Arbeits­spitzen natürlich nicht aus. Insgesamt aber, so bestätigt es Energierechtler Schnurre, „sind die Arbeitszeiten hier tatsächlich noch in Ordnung“. Neben der guten Work-Life-Balance sind die Karriereaussichten in der Hauptstadt erfreulich: Von den 2022 neu ­ernannten Partnern lag Berlin mit einer Quote von 13 Prozent vor Düsseldorf und Hamburg. Det is doch dufte.


Teilen:

azur Mail abonnieren