MDP-Kanzleien und Mittelstandsberater

Der Alltag von Anwältinnen und Anwälten wird häufig stark durch eine bestimmte Arbeitskultur geprägt. Was es heißt, in einer mittelständischen Kanzlei zu arbeiten, und welche Rolle Wirtschaftsprüfer und Steuerberater dabei spielen können.

Der Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft braucht eine breite Beraterlandschaft. Auch die meisten im Wirtschaftsrecht tätigen Anwaltskanzleien beraten selbstverständlich Mittelständler. Nicht wenige dieser Sozietäten definieren sich ­sogar selbst als mittelständisch – wegen ihrer Klientel, aber auch deshalb, weil sie eine Art Kanzlei-Mittelstand darstellen: mit starker regionaler Verbunden­heit und überschaubarer Größe, zwar ohne exorbitante Gehälter, aber auch ohne überbordende Arbeitszeiten.

Rechtsberatung ist aus Mandantensicht nicht alles – gerade mittelständische Unternehmen haben oft einen darüber hinausgehenden Beratungsbedarf. Deswegen gibt es die sogenannten multidisziplinären Verbünde (MDP), die unter ihrem Dach die Disziplinen Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Unternehmensberatung sowie Rechtsberatung vereinen. Anders als in klassischen Wirtschaftskanzleien haben in den MDPs nicht unbedingt die Anwälte das Sagen. Die übergeordnete Strategie wird oft von den Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern bestimmt, deren Teams häufig mehr Köpfe zählen als die der angegliederten Kanzlei. Doch tatsächlich haben die Wirtschaftsprüferinnen und Steuerberater ein großes Interesse daran, dass auch erfolgreiche Anwältinnen und Anwälte unter ihrem Dach arbeiten. Sie versprechen mehr Umsatz und mehr Gewinn, denn die Anwaltshonorare sind in der Regel deutlich höher als die der anderen Berufe. Allerdings hat es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen um die berufsrechtliche Konstellation gegeben, wenn die unterschiedlich regulierten Gruppen so eng kooperieren. Mögliche Konfliktthemen müssen die betreffenden Sozietäten stets im Auge behalten.

Moderate Arbeitszeiten

MDPs gibt es in vielen Konstellationen, von regional bis global. So richtig mittelständisch sind sie beileibe nicht alle: Die Big Four der Wirtschaftsprüfung – KPMG, PricewaterhouseCoopers, ­Deloitte und Ernst & Young – haben allesamt ­Anwaltskanzleien aufgebaut oder angegliedert, mit beachtlicher Größe auch hierzulande. Die Gesellschaften auf dieser Liste kommen auf eine Summe von 2.200 Anwälten. Rund 460 Stellen planten sie 2023 zusätzlich zu besetzen, wenn es genügend Bewerbungen gibt. Im Schnitt zahlen die MDPs zum Berufseinstieg rund 92.000 Euro. Damit hat sich das Gros dieser Sozietäten aus dem Rennen um die Top-Gehälter verabschiedet. Aber: mit Geld allein locken die MDPs nicht. Für Bewerberinnen und Bewerber ist es aus anderen Gründen interessant, in einer solchen Einheit anzufangen: Zu den Vorteilen zählen moderate Arbeitszeiten sowie der frühe Mandantenkontakt.

Doch es gibt auch einige Besonderheiten. Der Erfolg des multidisziplinären Ansatzes ist nämlich kein Selbstläufer. Je größer die Organisation ist, desto aufwendiger ist die Kommunikation der Disziplinen untereinander. Für Anwältinnen und Anwälte bedeutet das, dass sie ihr Networking-Talent nicht nur bei Mandanten ausspielen müssen, sondern auch intern. Die Juristinnen und Juristen in den MDP-Kanzleien leben davon, dass sie sich mit ihren Steuerexperten, Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern ständig und immer wieder gut vernetzen.

15 große deutsche MDP-Kanzleien:

Intern gut zusammenarbeiten

Umgekehrt gilt dies auch: Alle sollen sich gegenseitig Empfehlungen und Mandate zuspielen und so das existierende Geschäft unter dem Dach des Verbundes ausbauen. Dafür muss man sich aber erst einmal kennen, und das heißt Standorte besuchen, Vorträge halten oder auf Mandantenseminaren sprechen, die zum Beispiel von Steuerberatern organisiert wurden. Es geht auch darum, interne Widerstände zu überwinden. Zum Beispiel verstehen sich erfahrene Steuerberater oft als Mittelstands-Allrounder und sehen nicht unbedingt ein, einen hochspezialisierten Anwalt ins Team zu holen. Also müssen Anwältinnen und Anwälte unbedingt intern dafür sorgen, dass ihr Know-how und ihr Mehrwert wahrgenommen werden.

Sobald der Austausch funktioniert, liegen die Vorteile auf der Hand. Zum Beispiel kommt kaum ein Unternehmenskauf oder -verkauf ohne eine Unternehmensbewertung aus – das machen die Wirtschaftsprüfer. Außerdem müssen immer die steuerlichen Auswirkungen bedacht werden – offensichtlich der Job der Steuerberaterinnen und -berater. Die Anwälte übernehmen Verhandlungen sowie die Vertragsgestaltung und beraten in vielen Branchen auch noch zu Regulierungs- und Genehmigungsfragen. Die Honorare für ein solches Gesamtkunstwerk fließen dann in ein und dieselbe Kasse. Natürlich bestimmt allein die Mandantin darüber, ob die genannten Dienstleistungen aus einer Hand kommen oder ob mehrere Kanzleien zum Einsatz kommen. Die MDP-Kanzleien versichern, dass es desto schneller und effizienter geht, je weniger Einheiten beteiligt sind.

Sicherer Mandantenkontakt

Im Zentrum vieler MDP-Einheiten steht der Mittelstand. Für Nachwuchsanwälte hat diese strategische Orientierung viele Vorteile, denn es ist in der Regel viel leichter, mit mittelständischen Mandanten direkte Kontakte aufzubauen als mit großen Konzernen. Häufig haben diese Mittelständler für ihre juristischen Themen keine eigene Rechtsabteilung, sondern haben diese Themen dauerhaft in die Hände einer externen Beratungsgesellschaft gelegt. Diese Dauerberatung bedeutet, dass jüngere Anwältinnen und Anwälte in Alltagsfragen rasch zu den direkten Ansprechpartnern der Mandanten werden. Sicherlich geht es dann oft nicht um Übungen am juristischen Hochreck, sondern um kleine und unaufwendige Probleme – die Prüfung von Haftungsfragen oder die Anpassung von Vertriebsverträgen. Aber während mancher Associate einer internationalen Großkanzlei noch nach drei oder vier Jahren Kanzleizugehörigkeit über mangelnden Mandantenkontakt klagt, weil er zu viel im stillen Kämmerlein sitzt, ist das in einer MDP ziemlich ausgeschlossen.

Der Zugang über das Alltagsgeschäft geht häufig auch mit einem geregelten Feierabend und einem freien Wochenende einher. Der klassische Mittelständler hat zwar auch eine höhere Erwartungshaltung gegenüber seinen Anwälten als früher – schnelle Antworten sind gefragt, zumindest eine rasche Reaktion und erste Einschätzung per Mail. Aber in den meisten MDP-Kanzleien leeren sich die Flure zwischen 19 und 20 Uhr.

Ausnahmen gibt es immer wieder. Bei zunehmender Größe der Anwaltsteams steigt die Spezialisierung, und die meisten MDP-Sozietäten tummeln sich genau wie die Top-Kanzleien auf dem Gebiet von Fusionen und Unternehmenskäufen (M&A). Dort herrscht Zeitdruck, es geht um hohe Risiken und hohe Erträge, und so stehen mitunter auch die MDP-Beraterinnen und Berater unter ähnlichem Druck wie etwa ihre Kollegen in den hochtourigen US- und UK-Transaktionskanzleien. Auch in einer multidisziplinären Sozietät diktieren die Mandanten das Tempo.


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