Money, money, money
Hochqualifizierte junge Juristinnen und Juristen gehören zu den Spitzenverdienern in Deutschland und haben nie mehr verdient als heute. Dafür müssen sie allerdings entsprechend hohe Leistungen abliefern. Denn der Druck im System Großkanzlei steigt – auch weil bei den Gehaltserhöhungen kein Ende in Sicht ist.
Während die Bundesregierung die Bazooka rausholt und den einen Doppel-Wumms nach dem nächsten Sondervermögen verkündet, schmeißen auch die Wirtschaftskanzleien scheinbar mit Geld nur so um sich. Freilich nicht zu Rettungszwecken. Sie investieren in den Nachwuchs. Die regelmäßigen Gehaltsrunden scheinen fast schon zur Gewohnheit geworden zu sein und laufen immer routinierter und geräuschloser ab. Trotz Corona-Krise verzeichnete die Branche keine Umsatzeinbrüche, viele Großkanzleien fuhren sogar Rekordgewinne ein. Die logische Konsequenz: Die Spitzen- Einstiegsgehälter verschieben sich immer weiter nach oben: Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger können im ersten Jahr mittlerweile Fixgehälter von 180.000 Euro verdienen.
Zuletzt hat zum Beispiel Freshfields Bruckhaus Deringer zum Dezember 2022 wieder die Gehälter erhöht und sich damit nur ein Jahr Abstand zu ihrer vorherigen Gehaltsrunde gegönnt. Jetzt zahlt die Kanzlei, die jedes Jahr in Deutschland besonders viele Berufsanfängerinnen und -anfänger einstellt, ihren Associates im ersten Jahr fix 155.000 Euro – inklusive Starterbonus. Aufgrund ihrer Größe ist das eine Ansage im Bewerbermarkt. Doch Freshfields ist damit längst nicht zu den Spitzenzahlern der Gehaltstabelle vorgestoßen. Die Tabelle führt seit Anfang 2023 Milbank an: Die US-Kanzlei übertrumpft die bisherige Spitzenreiterin Willkie Farr & Gallagher um 5.000 Euro im Jahr und zahlt stolze 180.000 Euro. Auch deutsche Kanzleien wie Hengeler Mueller oder Gleiss Lutz bieten längst Summen um die 140.000 bis 160.000 Euro im ersten Jahr. Auch wenn nur hochqualifizierte Juristinnen und Juristen mit überdurchschnittlichen Examina diese Spitzengehälter einstreichen können – Fakt ist: Diese Associates verdienen in den Großkanzleien mehr als nahezu jede andere Berufsgruppe in Deutschland. Mehr als Ärztinnen, mehr als IT-Fachkräfte, mehr als Ingenieure. Das Mediangehalt, sprich das Gehalt aller Vollzeitbeschäftigten im Mittel, liegt nach Entgeltstatistiken der Bundesagentur für Arbeit hierzulande insgesamt bei rund 45.000 Euro im Jahr, betrachtet man nur Akademiker bei rund 60.000 Euro. Und in der Statistik sind nicht nur Berufsanfängerinnen und -anfänger erfasst, sondern Beschäftigte aller Senioritätsstufen inkludiert. Da mutet es auf den ersten Blick komisch an, wenn Anwältinnen und Anwälte, die weit über 100.000 Euro im Jahr verdienen, sich in der azur-Umfrage als „unterbezahlt“ bezeichnen, ihren Arbeitgeberinnen eine „Geizkultur“ vorwerfen oder ihren Frust über eine „zu zaghafte Änderung des Vergütungsmodells“ äußern.
Alles ist relativ
Verglichen mit der Gesellschaft, selbst verglichen mit Syndikusanwältinnen und -anwälten in Unternehmen oder jungen Staatsanwälten, Juristen in Behörden oder Richterinnen, verdienen Großkanzlei-Associates in ihren ersten Berufsjahren natürlich wahnsinnig viel Geld. Aber verglichen mit der Konkurrenz, verglichen mit der Großkanzlei auf der anderen Straßenseite, die ihren Associates 160.00 Euro bietet, kann sich ein Einstiegsgehalt von 130.000 Euro schon mal als „knauserig“, „nicht marktgerecht“ oder „nicht wettbewerbsfähig“ anfühlen. Auch der Blick auf die Millionenumsätze, die so manche Großkanzleipartner einstreichen, lässt die Gehaltswünsche in einem anderen Licht erscheinen. Da ist es kein Wunder, dass die Associates – zumal die meisten von ihnen hart und viel arbeiten – ihren wohlverdienten Anteil vom Kuchen abhaben möchten. Die Wahrheit ist allerdings auch: Das viele Geld gibt es nicht ohne entsprechend hohe Leistung. Bewerberinnen und Bewerber sollten sich darüber im Klaren sein, dass Kanzleien diese Beträge nicht für einen Nine-to-five-Job hinlegen. Egal ob in einer internationalen Großkanzlei, einer deutschen mittelständischen Sozietät oder in einer spezialisierten Boutique: In der Regel sitzen Associates zwischen 50 und 60 Stunden pro Woche im Büro. Das zeigen die Ergebnisse der aktuellen azur-Associate-Umfrage, bei der über 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Frage zur Arbeitszeit beantwortet haben. Der Mythos von durchwachten Nächten über der Akte mag zwar nicht bei allen wirtschaftsberatenden Kanzleien zutreffen, auch die Horrorvorstellung von völlig ausgezehrten Junganwältinnen und -anwälten, die den Großteil ihrer Lebenszeit der Sozietät, den Mandanten und dem Büro opfern, mag überzogen sein. Doch die aus Sicht der Kanzleimanagerinnen und -manager fürstlich bezahlten Associates stehen unter genauer Beobachtung und entsprechend unter Druck, Spitzenleistungen abzuliefern. So arbeiten knapp 20 Prozent der Associates nach eigenen Angaben sogar 60 bis 75 Stunden pro Woche.
Entgrenzung der Arbeit
Zwar haben viele Personalverantwortliche inzwischen erkannt, dass der Motivationseffekt von Gehaltserhöhungen eine kurze Halbwertszeit hat und haben deshalb flankierende Maßnahmen zur Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit eingeführt. Ob Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, ortsunabhängiges Arbeiten – der einst konservative Anwaltsmarkt ist verdammt flexibel geworden. Internationale Großkanzleien locken mit großzügigen Elternzeitregelungen, deutsche Traditionskanzleien rechnen sowohl Elternzeit als auch Teilzeit voll auf den Karrieretrack an. Versprochen werden vielerorts auch extra freie Tage zum Ausgleich nach Belastungsspitzen. Oft verkündet das Kanzleimanagement gleichzeitig mit der Gehaltserhöhung auch neue Work-Life-Balance-Angebote, alles in einem Paket.
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Die bittere Wahrheit ist nämlich: Die „Entgrenzung der Arbeit“ ist ein Branchenproblem. Viele der wohlklingenden Programme gibt es nur auf dem Papier, andere sind vom individuellen Verhandlungsgeschick der jungen Anwältinnen und Anwälte beziehungsweise dem guten Willen der jeweiligen Vorgesetzten abhängig. Dies zeigen die Rückmeldungen in der azur-Associate-Umfrage alle Jahre wieder. „Viele lobenswerte Konzepte zur Verbesserung des Arbeitsumfelds wie flexibles Arbeiten, Teilzeit, Homeoffice oder Gender-Equality scheitern an der mangelnden Umsetzungsbereitschaft der Partnerschaft“, bemerkt ein Associate einer internationalen Sozietät. In der Realität sind Teilzeitanwälte längst nicht überall gerne gesehen. Spätestens auf der Vollpartnerebene ist damit in der Regel Schluss – rund 95 Prozent der Equity-Partner arbeiten in Vollzeit. „Flexibilität ist gut. Hilft aber bei zu viel Arbeit auch nichts, es bleibt schlicht keine Zeit für eine Familie, die ich sehen könnte“, kritisiert ein Associate. Zudem gehen alternative Arbeitszeitmodelle nicht nur mit weniger Geld einher, sondern bedeuten mitunter auch das Ende von Karriereambitionen. „Tipp, gerade für Frauen: nie vom Partnertrack gehen. Ansonsten wird man nur hingehalten, bekommt keinen Bonus, schuftet aber für den Erfolg genauso mit“, schreibt ein Anwalt einer deutschen Großkanzlei in der azur-Umfrage.
Billable Hours als harte Währung
Auch wenn die Corona-Pandemie noch spurlos an den großen Wirtschaftskanzleien vorbeigegangen ist und vielen sogar Rekordumsätze beschert hat, wird das Marktumfeld aktuell schwieriger. Ukrainekrieg, Energiekrise, hohe Inflation, Lieferkettenprobleme und Fachkräftemangel sorgen für eine unsichere Wirtschaftslage, die ersten M&A-Deals, etwa im Immobiliensektor, liegen auf Eis. Das alles erhöht den Druck auf Berufsanfängerinnen und -anfänger. Sie müssen beweisen, dass sie ihr Geld wert sind – und ihre hohen Gehälter auch wieder einspielen. Die harte Währung in Wirtschaftskanzleien sind und bleiben die abrechenbaren Stunden, die sogenannten „Billable Hours“, die den Mandanten in Rechnung gestellt werden. Viele Kanzleien drücken sich zwar um die Antwort auf die Frage, wie viele Billable Hours sie von ihren Associates verlangen. Das sei nur eine „Orientierungsgröße“, ein „grober Anhaltspunkt“, ein „Richtwert“ oder eine „betriebswirtschaftliche Berechnungsgröße“ und natürlich keine fixe Vorgabe, heißt es vielerorten. Oft ist das Erreichen einer bestimmten Schwelle Voraussetzung für die Zahlung eines Bonus oder für den Freizeitausgleich für Belastungsspitzen.
Klar ist allerdings auch, dass bei vielen Top-Kanzleien bei Vollzeit rund 1.600 Billable Hours im Jahr eine „typische Minimalerwartung“ sind. Das bedeutet ganz schön viel Arbeit: Unter Berücksichtigung von Urlaubs-, Feier- und Krankentagen machen 1.600 Stunden im Jahr die 40-Stunden-Woche schon voll, oft werden zudem eher 1.700 oder 1.800 Stunden erwartet. Interne Besprechungen, Akquise, Netzwerken, Pro-bono-Arbeit sowie Aus- und Weiterbildung kommen obendrauf. Wer als Berufseinsteigerin oder -einsteiger so viele Stunden abrechnen will, muss hart und produktiv arbeiten, auch mal das Wochenende im Videocall verbringen oder den Urlaub absagen. Und vor allem nicht jammern, so die Erwartung von vielen Partnerinnen und Partnern.
Ungerechte Boni
Je mehr Berufserfahrung die Associates sammeln, desto stärker steigen die Anforderungen. Viele Kanzleien setzen in den mittleren Associate-Rängen stärker auf finanzielle Leistungsanreize und zahlen individuell gestaffelte Boni anstelle von automatisch steigenden Fixgehältern. Sie knüpfen damit die Bezahlung – nach den ersten Berufsjahren – immer mehr an den erwirtschafteten Umsatz ihrer Anwältinnen und Anwälte. Je stärker der Anteil an leistungsabhängigen Boni steigt, desto mehr geht die Schere bei der Bezahlung auseinander und desto intransparenter wird die Gehaltsstruktur. Das führt häufig zu Kritik unter den Senior-Associates. Für viele von ihnen scheint das Schmerzensgeld nicht mehr zu stimmen, wie die Rückmeldungen aus der aktuellen azur-Associate-Umfrage zeigen. Sie fühlen sich bei den Gehaltsrunden vergessen. „Das Gehalt für höhere Senioritätsstufen ist nicht konkurrenzfähig, weil es den vermeintlichen Bonus in der Realität aufgrund der dafür vorausgesetzten Umsatzerwartung faktisch kaum gibt. Damit hängen Leute nach zig Berufsjahren auf einer Gehaltsstufe fest, die bei Wettbewerbern schon im ersten oder zweiten Jahr gezahlt wird“, heißt es.
Von „undurchsichtigen Bonus-Regelungen“ und „zahlreichen gestrichenen abrechenbaren Stunden“ ist die Rede sowie von „neu eingeführten Vergütungssystemen, die Ungerechtigkeiten verstärken“ oder „unklaren Kriterien für den Boni, die den wesentlichen Gehaltsunterschied zwischen Berufsanfängern und langjährigen Mitarbeitern ausmachen“. Als „uneinheitlich, intransparent, nicht leistungsgerecht und unfair“ bezeichnet ein Associate die letzte Gehaltsanpassung seiner Kanzlei. „Bestandsjuristen erhalten nicht die gleiche finanzielle Anerkennung wie Neuzugänge. Würde ich heute neu einsteigen, bekäme ich mehr Geld als nach den Erhöhungen in der letzten Gehaltsrunde. Für mich würde es sich lohnen, zu kündigen und mich neu zu bewerben“, beschreibt ein Associate einer anderen Sozietät eine kuriose Entwicklung.
Letztlich sind hochqualifizierte, leistungsbereite Junganwältinnen und -anwälte gut beraten, sich weder von den astronomischen Einstiegsgehältern noch von allzu vollmundigen Work-Life-Balance-Versprechungen blenden zu lassen. Denn die „Kanzlei, die ein überdurchschnittliches Gehalt zahlt in Kombination mit Arbeitszeiten, die planbar, nicht gesundheitsschädlich und familienfreundlich ist, gibt es noch nicht“, bemerkt ein Umfrageteilnehmer treffend. „Die Empörung über Großkanzleien und ihr Arbeitsmodell ist für mich unverständlich, niemand muss hier arbeiten“, meint eine andere.
Wer mit einer gehörigen Portion Realismus an den Berufseinstieg herangeht und den zukünftigen Arbeitgeber je nach inhaltlich passenden Schwerpunkten und der Chemie im Vorstellungsgespräch auswählt, kann in einer Großkanzlei nicht nur viel verdienen, sondern auch in spannenden Mandaten lernen und eine hervorragende Ausbildung genießen. Im besten Fall läuft es dann so, wie ein Associate in der azur-Umfrage beschreibt: „Der Job macht so viel Spaß, dass man regelmäßig die Zeit vergisst.“