Jura in jeder Generation – die Juristenfamilien

Haben eure Eltern studiert oder sind auch Juristen? So unwahrscheinlich ist das nicht, denn viele Anwältinnen und Anwälte stammen aus Juristenfamilien, noch mehr aus Akademikerhaushalten. Das zeigt die größte Anwaltsstudie Deutschlands, die wir von JUVE mit der London School of Economics gestartet haben.

So manch ein Professor fragt in den ersten Vorlesungstagen gerne mal in die Runde, wessen Eltern auch Jura studiert haben. In aller Regel gehen einige Hände in die Luft. Viele von ihnen landen am Ende auch in einer Wirtschaftskanzlei, wie Ergebnisse der größten Anwaltsstudie Deutschlands zeigen. Für die Studie hat die JUVE Redaktion zusammen mit der London School of Economics (LSE) Anwältinnen und Anwälte aus den 100 umsatzstärksten Kanzleien befragt. Rund 3.000 Anwältinnen und Anwälte haben geantwortet. (siehe Methodik).

Einmal Jura, immer Jura

Jeder kennt Ärztefamilien – und auch solche, in denen schon seit Generationen Jura studiert wird. Beide Berufe haben sogenannte hohe ‚Vererbungsraten‘. Bislang war allerdings für Deutschlands Anwälte nicht bekannt, wie hoch diese Rate unter Juristen ist. Nun ist klar: Jeder fünfte Befragte ist mit Jura groß geworden. Sei es, weil die Mutter Rechtsanwältin war, oder der Vater eine Ausbildung zum Rechtspfleger oder ein Jurastudium absolviert hat. „Wir wissen bereits aus Großbritannien, dass unter Anwälten die Vererbungsrate besonders hoch ist“, sagt Asif Butt, Leiter der Studie und Sozialwissenschaftler an der LSE. „Das können wir auch für Deutschland bestätigen.“ Auch hier ist, ähnlich wie bei den Auswertungen zur Frauenquote und dem Migrationshintergrund, der Unterschied zwischen den Equity-Partnern und Associates wieder deutlich: Mehr als 21 Prozent der Equity-Partner haben Eltern mit einem juristischen Beruf, bei den Associates sind es nur gut 16 Prozent.

Man kennt sich unter Juristen

Warum der Anteil so hoch ist, verraten die Daten nicht. Aus Gesprächen mit Anwälten, die diesen Hintergrund nicht haben, erfährt man aber, welchen Unterschied die Herkunft macht: Die über Generationen gesponnenen Netzwerke fehlen, Mutter und Vater können keinen Praktikumsplatz in der renommierten Kanzlei besorgen, der Prüfer im Examen kennt meinen Nachnamen nicht, den der Sitznachbarin aber schon. Das hält niemanden vom erfolgreichen Abschluss eines Studiums ab, kann aber eine zusätzliche Hürde sein.

Hoher Anteil an Akademikereltern

Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten stammt aus einem Akademikerhaushalt. „In der Anwaltschaft sind diese Personen deutlich überrepräsentiert“, sagt Sozialwissenschaftler Butt. Zum Vergleich: Unter allen Erwerbstätigen liegt die Akademisierungsrate bei 23 Prozent. Und rund die Hälfte der Studierenden in Deutschland stammen aus einer Akademikerfamilie. Diese Rate liegt bei Anwälten mit 70 Prozent deutlich höher, bei den meisten Befragten haben sogar beide Eltern studiert.

Jurastudium als Aufsteigergarant?

Allerdings könnte man es auch so sehen: Immerhin 30 Prozent der Studienteilnehmer haben als erste in der Familie studiert – und dann auch noch Jura. Entscheidend für den sozialen Aufstieg scheint oft nicht nur der formale Bildungsabschluss der Eltern, sondern auch deren Einstellung zu sein: „Meine Eltern hatten nicht studiert, aber sie haben viel Wert auf Bildung gelegt“, erzählt eine Partnerin aus Berlin. Andere Gesprächspartner berichten über eine besonders große Motivation, das erste Familienmitglied zu sein, das studiert – von der „besonderen, wenn nicht gar einzigen Chance“ zum sozialen Aufstieg, die ein abgeschlossenes Jurastudium bietet.

Wie macht man Karriere, wenn man nicht aus der klassischen ­Juristenfamilie kommt?

Prof. Dr. Norbert Nolte hat als erster in seiner Familie studiert. Heute leitet er die Praxisgruppe Compliance bei Freshfields Bruckhaus Deringer.

„Ich fand immer, es war ein großer Vorteil, wenn man der erste aus der Familie ist, der studiert: Man hat viel weniger Leistungsdruck, weil keiner etwas erwartet. Nachteil: die Eltern können einem halt nicht mal eben ein gutes Praktikum besorgen. Weil Netzwerke aber entscheidend für die Karriere sind, habe ich früh versucht, welche zu knüpfen. Das funktionierte bei mir über die Arbeit in der Politik und über einen Studentenjob am Lehrstuhl. Wenn ich heute Bewerbungen sehe, freue ich mich, wenn sich Bewerber nicht nur mit Jura beschäftigt haben. Der Lebenslauf darf dann durchaus auch mal etwas bunter sein.“

Methodik: So entstand die größte Anwaltsstudie Deutschlands

Die folgende Auswertung basiert auf der bislang größten Anwaltsstudie Deutschlands, die JUVE in Zusammenarbeit mit der London School of Economics and Political Science (LSE) gestartet hat. Über 3.000 Personen haben an der Studie teilgenommen. Die Umfrage war zwischen dem 30. November und 31. Dezember 2021 verfügbar und steht unter der Leitung von Asif Butt, PhD Candidate, Department of Sociology, LSE, und Prof. Sam Friedman, Department of Sociology, LSE.

■ Die Umfrage wurde über zwei Wege geteilt: Erstens über personalisierte E-Mails, die an alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RA) gingen, die in den JUVE Top 100 (2020/21) der umsatzstärksten Kanzleien arbeiten, sofern ihre E-Mail-Adressen öffentlich verfügbar waren. Dies entspricht etwa 13.000 Kontakten. Die E-Mail-Adressen dieser Kontakte wurden öffentlich einsehbaren Quellen entnommen, wie den Webseiten der Kanzleien und dem Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis der Bundesrechts­anwaltskammer. Zweitens wurde ein Umfragelink über die Webseiten des JUVE Verlags und dessen Social-Media-Kanäle (Twitter, LinkedIn) geteilt.

■ Zur Vergleichbarkeit wurden für die Auswertung ausschließlich Antworten einbezogen, die der Kanzleienstichprobe zugeordnet werden können. Antworten von RA, die nicht den Top 100 Kanzleien gehören, wurden für diese Auswertung entfernt, da sie auch aufgrund der geringen Fallzahl und hohen Heterogenität eine geringe Vergleichbarkeit aufweisen.

■ Es verbleibt eine Stichprobe von n = 2.989. Das entspricht einer Antwortrate von rund 23 Prozent.


Teilen:

azur Mail abonnieren