Viel Geld für viele Billables

Finanzielle Aspekte spielen beim Berufseinstieg immer noch eine zentrale Rolle, auch für Juristinnen und Juristen. Kanzleien locken deshalb mit viel Geld. Doch das Einstiegsgehalt ist nur die halbe Wahrheit. Vor allem die Anforderungen an Billable Hours verraten, was wirklich erwartet wird.

Eins ist klar: Wer ein oder zwei Prädikatsexamen in der Tasche hat, kann zu den absoluten Spitzenverdienern in Deutschland gehören. Hochqualifizierte junge Juristinnen und Juristen können schon zu Beginn ihres Berufslebens sehr viel Geld verdienen. Als „Mondgehälter“ bezeichnet eine personalverantwortliche Partnerin einer Großkanzlei gar die Beträge, die ihre eigene Branche flächendeckend an den juristischen Nachwuchs zahlt. Die ‚Schuldigen‘ sind dann gerne die US-Kanzleien, welche die auf dem amerikanischen Markt üblichen hohen Gehälter auf ihre deutschen Standorte übertragen. Ein Blick auf die Top-Zahler bestätigt: Die obersten fünf Plätze belegen Milbank, Skadden Arps Slate Meagher & Flom, Kirkland & Ellis, Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan und Willkie Farr & Gallagher – alles US-Kanzleien mit wenigen Standorten in Deutschland (alle Einstiegsgehälter im Überblick).

Ein klarer Deal

In der azur-Umfrage zeigen sich die meisten Associates aus dem Kreis dieser Kanzleien immerhin zufrieden mit ihrem Gehalt. Sie wissen aber auch, was sie dafür aufgeben: „Wenn man in der Champions League spielen möchte, ist man hier genau richtig. Dazu gehört allerdings, dass alles andere zweitrangig ist.“ Die im Vergleich zum restlichen Markt recht kleine Gruppe von Associates, die für Spitzengehälter in US-Kanzleien in Deutschland arbeiten, meldet in der Regel auch die längsten Arbeitszeiten. In der azur-Umfrage geben viele eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von bis zu 60 Stunden an, nicht wenige sogar 70 Stunden. Da sind Nachtschichten vorprogrammiert. Allerdings ist dies auch jedem bewusst. Keiner erwartet ein Einstiegsgehalt von 170.000 oder 180.000 Euro für einen Nine-to-five-Job. Auch die Kanzleien aus diesem Segment halten mit der hohen Arbeitsbelastung nicht hinter dem Berg. Der Deal ist für beide Seiten klar.

Steigende Gehälter

Das gilt nicht unbedingt für den restlichen Kanzleimarkt. Der Großteil zahlt inzwischen ziemlich hohe Einstiegsgehälter. Mit gar nicht so viel Abstand auf die Top-Gruppe folgen eine ganze Reihe weiterer Kanzleien, darunter Hengeler Mueller, die bis zu 160.000 Euro im ersten Berufsjahr zahlt, dicht gefolgt von Freshfields Bruckhaus Deringer und Clifford Chance, die in Summe 155.000 Euro zahlen, sowie Allen & Overy, Hogan Lovells, Gleiss Lutz oder Linklaters, die alle bis zu 150.000 Euro bieten. Dahinter kommt eine große Gruppe an Kanzleien, die zwischen 120.000 und 150.000 Euro zahlen. Anders als bei den US-Kanzleien, die in Deutschland zumeist mit kleinen Teams agieren, arbeiten in diesen breit aufgestellten Sozietäten teils hunderte von Associates. Trotzdem vergeht kein Jahr, in dem nicht eine große Wirtschaftskanzlei in Deutschland ihr Einstiegsgehalt für Associates nach oben hin anpasst. Im November 2023 hatte etwa DLA Piper das Grundgehalt im ersten Berufsjahr auf 140.000 Euro kräftig erhöht, zuvor bekamen Berufseinsteiger dort zwischen 110.000 bis 125.000 Euro. Zum Jahresanfang 2024 hat Hogan Lovells um 10.000 Euro auf 150.000 Euro erhöht, seit Mai 2024 zahlt Clifford Chance 155.000 statt zuvor 140.000 Euro im ersten Jahr. Der Kostenblock Personal wächst enorm an. Dass diese Kosten mit den Honoraren erst einmal verdient werden müssen, liegt auf der Hand.

Immer mehr Leistungsdruck

Damit die Rechnung aus Sicht der Kanzleien am Ende des Geschäftsjahres auch aufgeht, müssen ihre Associates viel leisten. Eine plakative Größe, anhand der das Kanzleimanagement die Leistung messen kann, sind die abrechenbaren Stunden, die sogenannten Billable Hours. Je mehr ein junger Anwalt oder eine junge Anwältin davon aufschreiben und dem Mandanten in Rechnung stellen kann, desto lukrativer wird dieser Associate schließlich für die Kanzlei. Daher haben die meisten Kanzleien eine Vorgabe an ‚Billables‘, die sie je nach Berufsjahr von ihren Associates erwarten. Viele im mittleren bis oberen Marktsegment fordern zwischen 1.600 und 1.800 Billables pro Jahr.


Billables sind nicht gleich Arbeitszeit: Wie viel diese Billable-Vorgabe am Ende an tatsächlicher Arbeit bedeutet, zeigt ein vereinfachtes Rechenbeispiel. Angenommen ein Associate arbeitet fünf Tage in 46 Arbeitswochen im Jahr. Wenn er nur 1.600 Stunden abrechnen möchte, müsste er jede Woche bereits 35 Stunden abrechenbare Mandatsarbeit leisten. Bei 1.800 Billables steigt dies auf mehr als 39 Stunden. Klingt auf den ersten Blick nach einer üblichen Vollzeitwoche. Doch in dieser Rechnung sind keine Feier- oder Krankheitstage berücksichtigt. Ebenso kommen alle sonstigen Dinge, die Teil der Arbeit sind, noch obendrauf, etwa interne Meetings, Weiterbildung, Mandanten­akquise oder Netzwerkveranstaltungen.


Billables sind schwer zu steuern

Außerdem haben angestellte Anwältinnen und Anwälte in der Regel wenig Einfluss auf ihre persönliche Arbeitsauslastung. Ein Teilnehmer der azur-Umfrage kritisiert: „Am meisten nervt mich die ungleichmäßige Aufgabenverteilung. Manche Associates werden zugemüllt mit Arbeit und können deutlich mehr als 1.800 Billables pro Jahr erwirtschaften. Andere müssen um ihre Billables kämpfen, um auf ihr Minimum zu kommen und gerade noch rentabel zu sein.“ Andere Associates berichten frustriert davon, dass ihre Billables vom Partner nachträglich wieder herunterkorrigiert würden. Das kann durchaus sein, denn schließlich stellt dieser am Ende dem Mandanten die Rechnung. Bei gleich hohem Festgehalt führt zudem der interne Vergleich etwa zwischen den Praxisgruppen schnell zu einem Gefühl der Ungleich­behandlung. Ein Associate beschwert sich etwa in der azur-Umfrage: „Vollkommen unterschiedliche Arbeitsbelastung zwischen den Teams, alles für das gleiche Gehalt.“

Schnell geht der Blick dann weiter Richtung Wettbewerb und was andere Kanzleien zahlen. „Stark gestiegener Umsatzdruck für Senior Associates, der durch das immer noch recht niedrige Gehalt nicht kompensiert werden kann, hier zahlen andere Kanzleien einfach mehr“, stellt ein Associate in der azur-Umfrage fest. Ein anderer kritisiert: „Das Gehalt ist unterdurchschnittlich, wenn man es mit Wettbewerbern vergleicht, die ähnliche Anforderungen an ihre Associates stellen.“ Und so kommen viele zu dem Schluss, dass das Verhältnis zwischen Arbeit und Gehalt letztlich nicht stimmt. Immer weniger Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger sind dazu bereit, ihr Privatleben für eine Karriere hintanzustellen. Die Work-Life-Balance ist bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber häufig das ausschlaggebende Kriterium. So fordert die nachwachsende Generation Arbeitsmodelle ein, die mehr Flexibilität und weniger Arbeitsbelastung bieten.


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