Women for Women im Kartellrecht
Ob Kanzleianwältin, Ökonomin oder Inhouse-Juristin – das Kartellrecht hat viele weibliche Gesichter. In Empfehlungslisten und auf Panels sind Kartellrechtlerinnen allerdings noch immer unterrepräsentiert. Woran das liegt und wie Frauennetzwerke Abhilfe schaffen können.
„Der ganze Raum war voller Frauen. Voller Kartellrechtlerinnen. Das war einfach irre − zu sehen, dass wir so viele sind.“ So beschreibt Ines Bodenstein, Counsel bei Gleiss Lutz, ihre Eindrücke von der ersten Konferenz des Frauennetzwerks W@Competition. Ein Bild, das vor allem Juristinnen der älteren Generation erfreuen dürfte, die zur Zeit ihres Berufseinstiegs noch mit anderen Geschlechterverhältnissen konfrontiert waren. Anwältinnen mit einer kartellrechtlichen Spezialisierung gab es kaum – vermutlich hätten sie vor 20 Jahren alle in ein Büro gepasst. Für die Auftaktveranstaltung von W@Competition musste es 2016 schon das Konferenz- und Tagungshotel ‚The Hotel‘ sein, eine in der Kartellrechtscommunity beliebte Adresse mitten im Herzen von Brüssel.

Brüssel und das Kartellrecht gehören zusammen
Die Wahl der Europa-Hauptstadt ist dabei kein Zufall, denn EU und Kartellrecht sind untrennbar verbunden. Mit der EU-Kommission ist eine der wichtigsten Kartellinstitutionen in Brüssel ansässig. Als oberste Wettbewerbshüterin verhängte sie in der Vergangenheit bereits zahlreiche Kartellbußgelder – darunter ein Rekordbußgeld von 4,13 Milliarden Euro gegen den US-Konzern Google. Sie warf ihm vor, seine Marktmacht beim Handybetriebssystem Android zu missbrauchen.
Gegründet wurde W@Competition 2016 mit dem Ziel, institutionalisierten Austausch zu fördern und Frauen mehr Sichtbarkeit auf Veranstaltungen zu verschaffen. In der Kartellrechtscommunity hat das Netzwerk einen solchen Anklang gefunden, dass allein der deutsche Zweig, W@CompetitionDE, inzwischen rund 100 Mitglieder zählt. Dabei beschränkt sich das Netzwerk nicht allein auf Juristinnen mit einem Schwerpunkt im Kartellecht, sondern zählt auch viele Ökonominnen zu seinen Mitgliedern. Denn die Schnittmenge zwischen Kartellrecht und Ökonomie ist groß.
Wettbewerbsökonomen spielen hinter den Kulissen eine wichtige Rolle bei Milliardendeals und riesigen Kartellschadensersatzprozessen. Ihre Berechnungen zu Marktanteilen und Kartelleffekten können den Ausschlag dafür geben, ob das Kartellamt eine Fusion genehmigt oder ob ein Kartellant sein Opfer mit Millionenbeträgen entschädigen muss. Vor allem in Kartellschadensersatzprozessen toben oft jahrelange Gutachterschlachten, bei denen Ökonomen über die Schadenshöhe streiten. Nicht zuletzt seit 2016 haben sie ihren festen Platz im Kartellschadensersatz – damals schloss die EU-Kommission ihr Verfahren gegen das Lkw-Kartell mit Milliardenbußgeldern ab. Seitdem rollt eine Klagewelle, wie sie Europas Gerichte noch nicht erlebt haben. Dafür haben sich sämtliche Hersteller bereits im Kartellverfahren neben den besten Kartellrechtlern auch die renommiertesten Ökonomen gesichert.
Doch ebenso wie im Kartellrecht sind Frauen in der Wettbewerbsökonomie weniger sichtbar als ihre männlichen Kollegen. Dem will W@Competition gegensteuern. „Das Netzwerk bewirkt, dass Frauen an Frauen denken“, sagt Ines Bodenstein. Die 41-Jährige ist neben ihrer Tätigkeit als Anwältin bei Gleiss Lutz seit rund drei Jahren Teil des Executive Committee für den deutschen Zweig. Durch das Netzwerk ist sie in der Vergangenheit schon für Panels angesprochen worden und hat ihrerseits Netzwerkkolleginnen als Speakerinnen vorgeschlagen. Auch bei Wettbewerberempfehlungen von Rankingpublikationen empfehle sie regelmäßig Expertinnen aus dem Frauennetzwerk, sagt sie.
Erfolgskonzept Gleichstellung
Ein ganz anderes Netzwerk stellt die Frankfurter Kartellrechtsboutique Commeo dar, die 2010 als Spin-off der internationalen Großkanzlei Baker McKenzie gegründet wurde. Sie punktet mit einem Frauenanteil von über 70 Prozent, vier von sechs Partnern sind hier weiblich. Dabei hatte das vierköpfige Gründungsteam – zu dem auch ein Mann zählt – gar nicht bewusst darauf hingearbeitet, geschweige denn sich selbst eine Frauenquote verordnet. „Eine Kanzleigründung ist keine Geschlechterfrage“, sagt Gründungspartnerin Stephanie Pautke, „sondern eine Frage der Persönlichkeit und des Teamzusammenhalts. Es muss eben passen.“ Sie sieht Commeo in Sachen Gleichstellung als gelebtes Erfolgskonzept.

Dafür spricht, dass sie in Frankfurt keine Probleme haben, weiblichen Nachwuchs zu finden. „Der Schlüssel zu einer ausgewogenen Geschlechterverteilung liegt in den Teams. Die Kanzleistruktur kann einiges ausgleichen, aber am Ende sind es die Kolleginnen und Kollegen, die Mandate übernehmen und auf die man sich verlassen muss. Dass das bei uns gut funktioniert, spricht sich auch unter Berufseinsteigerinnen herum“, sagt Pautke. Zwar ist eine weibliche Kanzleiführung nicht automatisch ein feministisches Statement, doch sie verschafft Frauen in Führungspositionen mehr Sichtbarkeit und liefert weibliche Vorbilder. Das ist einerseits wichtig für den juristischen Nachwuchs und andererseits für den Erfolg der eigenen Karriere.
Denn ein Blick in juristische Rang- und Empfehlungslisten zeigt: Kartellrechtlerinnen sind deutlich unterrepräsentiert. Nur knapp ein Viertel der in den gängigsten Rang- und Empfehlungslisten aufgeführten Kartellrechtsexperten ist weiblich. Diese Kluft führt dazu, dass Kartellrechtlerinnen etwa seltener als Expertinnen für Medienformate angefragt werden. Hierunter leidet die öffentliche Sichtbarkeit.
Kartellrecht ist Chef(innen)sache
Dabei ist es keineswegs so, als stünden Kartellrechtlerinnen grundsätzlich in der zweiten Reihe. Ebenso wie ihre männlichen Kollegen haben sie regelmäßig mit den ‚Hot Topics‘ des Kartellrechts zu tun – darunter große Unternehmenszusammenschlüsse, Investitionskontrollen, Kartell- und Missbrauchsverfahren.
Dabei genießt großes Vertrauen wer mandatiert wird, denn oft geht es um hohe Bußgelder und Schadensersatzforderungen im Zusammenhang mit verbotenen Absprachen zwischen Wettbewerbern. ‚Kartellrechts-Compliance‘ lautet daher das Schlagwort der Stunde. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihr Verhalten am Markt kartellrechtskonform ist und den Wettbewerb nicht beeinträchtigt. Ist das der Fall, können sich Verbraucherinnen und Verbraucher über bessere Produkte, mehr Auswahl, niedrigere Preise und Innovation freuen. Für Unternehmen kann kartellrechtswidriges Verhalten dagegen nicht nur teuer, sondern mitunter existenzvernichtend sein.
„Im Kartellrecht ist man sehr weit oben in der Strategiekette“, sagt auch Pautke. „Daher merkt man schnell, dass das, was man macht, unmittelbare Auswirkungen auf Unternehmen und deren Tätigkeit hat.“ Bei Commeo sind die Anwältinnen und Anwälte mit nahezu der gesamten Bandbreite des Kartellrechts befasst – von Fusionskontrollen über Kartell- und Missbrauchsverfahren bis hin zu Schadensersatzklagen landet alles auf dem Schreibtisch der Kartellrechtler. Dabei macht vor allem die politische Dimension für Pautke den Reiz des Rechtsgebiets aus. So wurde sie gemeinsam mit ihrem Gründungskollegen von der EU-Kommission als Beraterin zur neuen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen, kurz Vertikal-GVO, hinzugezogen. Das ist ein Regelwerk, das für diverse Unternehmen die Anpassung ihrer Vertriebssysteme zur Folge hatte. „Politischer wird es nicht. Die Nähe zu Wirtschaft und Politik macht das Kartellrecht zur perfekten Spielwiese für all diejenigen, die in die Vollen gehen und möglichst breit arbeiten wollen“, schwärmt die 52-Jährige.
Dass Stephanie Pautke seit Jahren in verschiedenen nationalen wie internationalen Ranking-Publikationen als empfohlene Expertin im Kartellrecht auftaucht, ist einerseits ihrem Know-how geschuldet und andererseits dem Bewusstsein dafür, dass dieses Wissen nach außen getragen werden muss. „Klappern gehört zum Handwerk“ lautet ein altes Sprichwort. Und wie klappert es sich? Ein geeignetes Forum dafür bieten Netzwerke. „Ideal ist es, wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, also wenn man ein Netzwerk noch einmal weiter runterbrechen kann“, erklärt Pautke. „Über das Frauenthema ergibt sich einerseits ein toller Erfahrungsaustausch und andererseits schafft man so eine gute Größe für ein Netzwerk, das persönliche Interaktion ermöglicht.“
Sofort mitten im Tagesgeschäft
Wie viel Unterstützung ein solches Netzwerk vor allem in den ersten Berufsjahren bieten kann, hat Samantha Mayinger erlebt. Sie ist seit 2019 als Unternehmensjuristin bei Audi tätig und arbeitet in der Abteilung Kartell- und Wirtschaftsstrafrecht. Dass sie bei ihrem Berufseinstieg sofort in das kartellrechtliche Tagesgeschäft eingebunden wurde, habe für eine steile Lernkurve gesorgt: „Meinen ‚Freischwimmer‘ musste ich mir wirklich erschwimmen, weil auch ich ab Tag eins als Ansprechpartnerin für kartellrechtliche Fragen im Telefonbuch stand. Das setzt einen einerseits unter Druck. Andererseits macht es aber auch ungeheuren Spaß, weil man ganz nah am Geschehen dran ist. Außerdem konnte ich mich auf das Team und meine Führungskraft verlassen.“
Zu ihrem Aufgabenspektrum gehört auch die rechtliche Begleitung in brenzligen Angelegenheiten wie den von der EU-Kommission vor rund zwei Jahren verhängten Wettbewerbsstrafen in Millionenhöhe gegen mehrere deutsche Autohersteller wegen rechtswidriger Absprachen zur Abgasreinigung. „Für ein Unternehmen ist ein Kartellverfahren natürlich äußerst misslich, für mich als Kartellrechtlerin aus fachlicher Sicht aber eine spannende Herausforderung“, so die 32-Jährige.

In den ersten beiden Jahren nach ihrem Berufseinstieg hieß es für Mayinger zunächst Fuß zu fassen: „Unabhängig davon, wo man beruflich anfängt, geht es erst einmal darum, den Arbeitstag gut zu bewältigen. Wenn man dann weiß, wie der Hase läuft, ist das ein guter Zeitpunkt, um sich über die Unternehmensgrenzen hinweg fachlich auszutauschen und so auch den fachlichen Horizont zu erweitern.“ Als Mayinger im Frühjahr 2021 durch den Tipp einer erfahrenen Kartellrechtlerin auf W@Competition stieß, schrieb das Netzwerk gerade sein neues einjähriges Mentoring-Programm aus. Kurz entschlossen bewarb sie sich als Mentee. Danach hieß es warten und auf ein passendes Match hoffen.
Mit Silke Hossenfelder, Ökonomin und Leiterin der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamts, bekam sie eine Mentorin mit langjähriger Erfahrung im Kartellrecht zur Seite gestellt. Die beiden trafen sich alle vier bis sechs Wochen zu einem einstündigen Gespräch. Dabei ging es während ihrer Treffen, die pandemiebedingt digital stattfanden, nicht nur um rein fachliche Themen. „Manchmal sprachen wir einfach darüber, wie die letzten Wochen so liefen“, erzählt Mayinger. „Gerade als Berufseinsteigerin hadert man ja auch öfter mal mit sich selbst. Da ist es unglaublich gebend, wenn erfolgreiche Kartellrechtlerinnen ihre persönlichen Erfahrungen teilen und Input geben. Schließlich standen auch sie mal am Anfang“, ergänzt sie.
Aktive Nachwuchsförderung
Auch Stephanie Pautke hat in der Vergangenheit an dem Mentoring-Programm von W@Competition teilgenommen – und zwar als Mentorin. Sie schätzt zum einen die Internationalität des Netzwerks und zum anderen dessen aktive Nachwuchsförderung. „Ich sehe da einen echten Unterschied zu anderen Netzwerken. Hier kommen wirklich mal die Jüngeren zum Zuge, weil sie diejenigen sind, die auf den Konferenzen vortragen“, so Pautke. „Ich glaube dadurch ist auch das Niveau so hoch. Die vortragenden Kolleginnen sind immer sehr gut vorbereitet – vielleicht weil es etwas anderes ist, ob man schon das zehnte Mal in einem Jahr auf einem Konferenzpanel sitzt oder das erste Mal.“