Personalbedarf in Kanzleien bleibt trotz Krise hoch
Im Geschäftsjahr 2021/22 erzielten viele Wirtschaftskanzleien Rekordumsätze. Doch nun treffen hohe Associate-Gehälter auf eine Wirtschaftskrise, deren Ausmaße derzeit nicht absehbar sind. Wer daraus schließt, dass die Kanzleien ihre Einstellungszahlen für 2023 zurückschrauben, täuscht sich allerdings.
Das ergibt sich aus der aktuellen azur100-Top-Arbeitgeber-Recherche 2022, an der sich insgesamt 192 Kanzleien beteiligten. Sie planen für das kommende Jahr rund 3.150 Stellen mit Volljuristinnen und -juristen zu besetzen. Das sind mehr als im Jahr 2022, als die Kanzleien rund 2.800 Vakanzen zu besetzen hatten.
Bewerberinnen und Bewerber haben also nach wie vor gute Chancen. Vor allem bei deutschen Kanzleien, auf die mit etwa 58,5 Prozent der größte Teil der geplanten Stellen entfällt. Danach folgen Kanzleien mit britischem Ursprung, sie bieten 18,3 Prozent der freien Jobs. Mit 11,7 beziehungsweise 11,6 Prozent machen globale Großkanzleien sowie US-Einheiten einen etwa gleich großen Anteil aus. Damit ist die prozentuale Verteilung ähnlich wie im Jahr zuvor.

Gehälterwettkampf trifft auf Krise
Sie alle wollen Top-Talente für sich gewinnen und lassen sich den Nachwuchs einiges kosten: Schon im Mai 2021 erhöhte nach einiger Zeit die US-Einheit Willkie Farr & Gallagher als erste ihre Associate-Gehälter von 140.000 auf 155.000 Euro. Damit läutete sie einen erneuten Gehälterwettkampf ein, an dem sich in den folgenden Monaten zahlreiche Kanzleien beteiligten, auch Willkie selbst, die mittlerweile auf 175.000 Euro erhöht hat. Aktuelle Spitzenzahlerin am Markt ist laut azur-Recherche Milbank, die ihre Wurzeln ebenfalls in den USA hat. Bei ihr verdienen junge Juristinnen und Juristen von Januar 2023 an 180.000 Euro im ersten Berufsjahr. Unter den deutschen Kanzleien zahlt Hengeler Mueller Berufseinsteigenden mit 150.000 Euro am meisten.
Doch nun sorgt die Energiekrise in Kombination mit einer hohen Inflation und Lieferkettenproblemen für ein schwieriges Marktumfeld. Könnten die fetten Jahre auch für Kanzleien vorbei sein? Einige Praxen verbuchten schon Rückgänge, zum Beispiel bei Deals im Immobiliensektor. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob sie sich die teuren Berufseinsteigerinnen und -einsteiger überhaupt noch leisten können. Zumal viele Kanzleien auf die unsichere Konjunkturlage während der Corona-Krise früh mit Sparmaßnahmen wie Einstellungsstopps reagierten.
Bislang ungebremster Personalbedarf
Wie die Zahlen aus der azur-Recherche zeigen, zeichnet sich aktuell noch keine zurückhaltende Einstellungspolitik ab. Viele Einheiten geben sich optimistisch. Schließlich sind die meisten nicht allein von M&A-Deals abhängig: „Eine staatsanwaltlich eingeleitete interne Untersuchung oder ein Kartellschadensersatzverfahren wird es auch im Hochzinsumfeld geben“, betont etwa ein Partner einer deutschen Top-Kanzlei. Ob die Kanzleien tatsächlich so viele Juristinnen und Juristen einstellen werden, wie sie derzeit planen, wird sich allerdings erst in etwa einem Jahr zeigen.