Kanzleien und das Massengeschäft
Zurzeit verteilt der Staat so fleißig große Beratungsmandate, dass kaum eine Kanzlei nicht darüber nachdenkt, sich organisierter in dieses Geschäft zu stürzen. Dabei ist der richtige Personaleinsatz wichtiger als der Einsatz von Technik.
Mehr als 200.000 Anwaltsstunden hat die Bundesnetzagentur neulich für den Netzausbau ausgeschrieben, mehr als 20 Millionen Euro waren es für Energiesicherheitsfragen. Die Mandate sind riesig, aber schlecht bezahlt für Anwälte, die ihre Arbeit konsequent in Stundensätzen bepreisen. Das sieht bei Aufträgen, die die Wirtschaft ausschreibt, oft ganz ähnlich aus.
Es geht um globale Themen, etwa im Vertragsrecht oder im Arbeitsrecht. Immer folgt aus einem juristischen Projekt oder Grundproblem eine notwendige massenhafte Anpassung oder Bearbeitung von Einzelfällen. Abarbeiten, das ist die Leistung, möglichst schnell, aber in hoher Qualität.
Menschen als Risikomanager
Dieser Herausforderung stellen sich zunehmend auch klassisch organisierte Kanzleien. Sie suchen kreativ nach Wegen, diese Chance auf Umsätze zu nutzen. Entscheidend für die Marge solcher Großmandate ist vor allem der Personaleinsatz. „Viele sogenannte Massenmandate bleiben vor allem eines: Menschenangelegenheiten“, betont der Leiter eines Service Hubs einer britischen Kanzlei. Ein Grund: „Aus Kanzleisicht geht es darum, die bei der Bearbeitung anfallenden Risiken zu managen – und nicht darum, sie zu übernehmen.“
Erstaunlich viele Leistungen können mit technischer Unterstützung erbracht werden. Bevor es so weit ist, ist aber im Vorfeld ein hoher Personaleinsatz erforderlich, um den Leistungsprozess in eine funktionierende Struktur zu bringen. Oft stellt sich die Frage nach dem Technikeinsatz jedoch gar nicht. Denn vor allem in Hochdrucksituationen sind noch immer klar Menschen diejenigen, die mit den dynamischen Bedingungen besser umgehen können.
Im regulierten Rechtsmarkt gibt es weitere Grenzen für den Technikeinsatz. Viele Themen dürfen nur qualifizierte Juristen, Rechtsanwaltsfachangestellte sowie Wirtschaftsjuristen erledigen.
Denn wenn ein Beratungsfehler auf den Technikeinsatz zurückzuführen ist, dann haftet die Kanzlei – und die Haftpflichtversicherung hat gute Argumente, nicht für den Schaden aufzukommen. Wichtiger als der Technikeinsatz ist also weiterhin der Personaleinsatz, wobei es denkbar ist, dass mehr Technik hilft, den Output von Nichtjuristen bei der Projektbearbeitung zu erhöhen. Die spannende Frage für alle: Wo kommen die Menschen her, um die neuen Mandate effizient zu bearbeiten? Denn alles andere als effizient wäre es, wenn zum Beispiel eine Großkanzlei dafür hoch qualifizierte Volljuristen aus der eigenen Organisation heranziehen würde. „Die Kunst ist, eine ausreichend große Bewegungsmasse an Personal vorzuhalten, um diese Mandate effizient abzuarbeiten“, sagt ein Partner einer Kanzlei, die aktiv Massenmandate bearbeitet.
Bewegungsmasse Personal
Dieses Ziel verfolgen die Kanzleien sowohl auf internationaler Ebene als auch in Deutschland, aber die Herangehensweisen sind unterschiedlich. Einige bauen ihr Ehemaligennetzwerk zu einem Pool von Mitarbeitern aus, die schnell einsatzfähig sind – und bei global tätigen Kanzleien auch mal eingeflogen werden, wenn viel Arbeit in einem Großprojekt anfällt. Von einigen der Big-Four-Sozietäten ist zu hören, dass sie Arbeiten von Juristen in anderen Jurisdiktionen erledigen lassen.
Auch bei den großen internationalen Kanzleien mit deutschen Büros finden sich zunehmend Anwälte ohne deutsche Zulassung oder auch anders qualifizierte Spezialisten. Das eigene Personal ist oft in sogenannten Hubs, Labs und globalen Service-Teams organisiert und kann daraus mobilisiert werden.