Interview: „Ich schätze unseren Rechtsstaat jetzt mehr“

In dieser Mini-Reihe stellen wir Associates vor, die für Pro-bono-Mandate arbeiten. Alexander Suttor (31) von Clifford Chance hat die internationale Organisation Human Rights Watch unterstützt. Er und sein Team dokumentierten über zwei Jahre den Al-Khatib-Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz. In dem weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien waren zwei ehemalige syrische Geheimdienstmitarbeiter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Im ersten Prozess zu syrischer Staatsfolter, der von April 2020 bis Januar 2021 dauerte, klagte die deutsche Staatsanwaltschaft zwei ehemalige syrische Regierungsbeamte an. Anwar R. war der ehemalige Leiter einer Abteilung der Haftanstalt Al-Khatib des Geheimdienstes in Damaskus und erhielt wegen Folter, Tötung und Vergewaltigung eine lebenslange Haftstrafe. Der rangniedrigere Beamte Eyad A. wurde wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden und zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Eine strafrechtliche Verfolgung der in Syrien verübten Taten war möglich, weil nach deutschem Recht schwerste Verbrechen einer universellen Gerichtsbarkeit unterliegen. Das Team von Clifford Chance dokumentierte den Prozess für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch über mehr als einhundert Prozesstage. Suttor arbeitete bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referendar in dem Pro-bono-Mandat für Human Rights Watch und übernahm als Associate dann die Organisation des Mandats.

Associate Alexander Suttor arbeitet bei Clifford Chance in Frankfurt im Strafrecht. (Foto: Clifford Chance)

azur: Was genau bedeutet es, einen Prozess wegen Staatsfolter in Syrien zu dokumentieren?

Alexander Suttor: Unser Anspruch war, den gesamten Inhalt jedes Prozesstages unverfälscht, wenn auch nicht wortgetreu wiederzugeben. In den Protokollen, die wir allesamt in Englisch verfasst haben, haben wir auch kurz die Umgebung, Sicherheitsmaßnahmen und anwesende Personen beschrieben, um die teilweise etwas ungewöhnlichen Szenen festzuhalten. Da wurden in einer recht ruhigen Seitenstraße im idyllischen Koblenz schwere Gewalttaten verhandelt, und auch die syrische Gemeinde war präsent. Die Wiedergabe des Prozesses haben wir außerdem mit vielen Fußnoten versehen, um prozessuale Eigenheiten zu erklären, denn unsere Mandantin war das Büro von Human Rights Watch in New York, also keine deutschen Anwälte.

Welches juristische Wissen konnten Sie bei der Prozessbeobachtung anwenden?

Wir haben Rückfragen der Mandantin beantwortet, zum Beispiel: „Wie ist das mit einem Beweisantrag?“ oder „Welche Rechtsmittel können dagegen eingelegt werden?“ In die Fußnoten ist viel klassische Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte eingeflossen. Zum Beispiel als es darum ging, dass das syrische Regime ein Unrechtsstaat ist. In der Fußnote haben wir dargelegt, was ein ‚Unrechtsstaat‘ in Abgrenzung zu einem Rechtsstaat ist, denn das Wort hat im Deutschen eine lange Geschichte und die Wortbedeutung geht in der Übersetzung verloren.

Wie hat es Sie beeinflusst, den Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen?

Ich war wie alle wissenschaftlichen Mitarbeiter, die nach mir kamen, sehr stolz, Human Rights Watch und die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen unterstützen zu dürfen. Außerdem hat mich diese Erfahrung gelehrt, den deutschen Rechtsstaat nicht als selbstverständlich zu sehen. Als Anwälte haben wir ein pragmatisches Verhältnis zum Rechtssystem, es ist unser Werkzeug, wie der Hammer für den Zimmermann. In dem Verfahren habe ich gesehen, was es für die Mitglieder der syrischen Community bedeutet, dass das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, im Rahmen eines rechtsstaatlichen Prozesses aufgearbeitet wird. In Zeiten, in denen viele auf die Justiz schimpfen, hat mir das gezeigt, dass wir uns glücklich schätzen können, dieses System zu haben.

Würden Sie Nachwuchsanwältinnen und -anwälten empfehlen, sich pro bono zu engagieren?

Ja, denn es ist eine sehr befriedigende Arbeit, bei der gerade Berufsanfänger viel lernen, eigene Strategien entwickeln und Verantwortung übernehmen können. Normalerweise hat man als wissenschaftlicher Mitarbeiter immer ein Netz und einen doppelten Boden, man bereitet einen Entwurf vor, der geht dann zum Associate und dann erst weiter zum Counsel oder Partner. Als mein Kollege und ich an den ersten Prozesstagen in Koblenz standen, wurde uns klar: Das muss jetzt beim ersten Versuch stimmen, denn wir sind die Einzigen, die hier sind. Die wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die ich später nach Koblenz geschickt habe, sind in diesen Situationen über sich hinausgewachsen.

Warum sollten Anwältinnen und Anwälte sich pro bono engagieren?

Abgesehen davon, dass es eine gute Sache ist, sich für Menschenrechte oder andere sinnvolle Zwecke einzusetzen, bringt Pro-bono-Arbeit auch den Kontakt zur allgemeinen Zivilgesellschaft, den wir speziell als Anwälte nicht verlieren sollten. Die Großkanzlei kann zum Elfenbeinturm werden, wenn man den Bezug zum politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen verliert. Pro-bono-Arbeit ist eine gute Methode dagegenzuwirken.


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