Es ist nie zu früh für das Netzwerken
Netzwerken ist unglaublich zeitintensiv. Aber die Zeit ist gut investiert. In kaum einem Berufsstand geht so viel über persönliche Empfehlungen und Kontakte wie unter Juristinnen und Juristen in Wirtschaftskanzleien. Mit dem richtigen Netzwerk fällt die Karriere leichter.
Alles begann auf einem Spielplatz in Frankfurt. Dort kamen Dr. Philip Schmoll (36) und Dr. Valentin Pfisterer (40) zum ersten Mal ins Gespräch. Die jungen Väter stellten fest, dass sie nicht nur beide Großkanzleianwälte, sondern auch im gleichen Bereich tätig sind: Schmoll, Associated Partner in der Transaktionspraxis von Noerr und Pfisterer, Counsel für Transaktionen bei der US-Kanzlei Ashurst. Begegnet waren sie sich bis dahin noch nie. „Das wäre unseren Chefs nicht passiert“, sagt Schmoll. „Die Kapitalmarktpartner der verschiedenen Kanzleien sind gut vernetzt, man kennt sein Gegenüber im Deal.“ Das gilt für die jüngere Generation an Anwältinnen und Anwälten nicht unbedingt. Und so kam Schmoll und Pfisterer die Idee, ein eigenes Netzwerk aufzubauen: Die ‚Young Capital Market Lawyers‘.
Anfang 2022 trommelten sie zum ersten Mal zu einem lockeren Mittagessen zusammen, es kamen rund 20 junge Kapitalmarktrechtler. Inzwischen stehen rund 100 Anwältinnen und Anwälte auf der Empfängerliste. Aktuell organisieren die Young Capital Market Lawyers jeweils drei bis vier Veranstaltungen und Lunches im Jahr. „Ein Netzwerk erleichtert den Start in das eigene Marktumfeld enorm. Man lernt früher andere Marktteilnehmer kennen, wächst in den Markt und in seine Beraterrolle schneller hinein“, so Pfisterer.

Vor allem das Transaktionsgeschäft ist davon geprägt, dass Associate-Teams mit verschiedenen Senioritätsstufen aufeinandertreffen. Die Gegenspieler aufseiten des Käufers oder Verkäufers haben dabei ganz ähnliche Aufgaben im Mandat zu erledigen. „Wer seinen Counterpart in einer Transaktion schon kennt, der greift auch mal eben zum Hörer, spricht sich kurz ab, um Probleme zu lösen“, sagt Pfisterer. Das kommt im Team und beim Mandanten gut an.
In dieser Vereinigung steht neben dem Vernetzen selbst vor allem der fachliche Austausch im Mittelpunkt. „Der Austausch ist sehr praxisnah, schließlich kommen diejenigen zusammen, die regelmäßig intensiv im Mandat an den Transaktionsdokumenten arbeiten. So gelingt der Themenaustausch auf der richtigen Ebene“, berichtet Schmoll. Dieser Aspekt ist den beiden ein wichtiges Anliegen: Bei den Veranstaltungen der Young Capital Market Lawyers soll es nicht darum gehen, sich hervorzutun oder eigenes Geschäft zu entwickeln. „Wir möchten einen sicheren Raum schaffen, in dem sich abseits von Profilierung und auf Augenhöhe ausgetauscht werden kann“, so Pfisterer.
Kolleginnen waren unterrepräsentiert
Neben den fachlich fokussierten Gruppen entstehen immer mehr Initiativen, um speziell für Anwältinnen genau eine solche Plattform zu schaffen. So gingen auch Dr. Anja Stürzl und Ana-Christina Vizcaino Diaz voran. Sie lernten sich während ihres LL.M.-Studiums zum Wirtschaftsstrafrecht kennen. „In unseren Kanzleien waren Kolleginnen stark unterrepräsentiert – insbesondere auf der Partnerebene, gab es zum Beispiel zeitweise keine einzige weibliche Partnerin – daher war der Austausch für uns beide sehr wertvoll. Wir haben schnell festgestellt, dass wir ähnliche Themen haben“, erinnert sich Stürzl (36).
Die beiden jungen Anwältinnen glaubten aber fest daran, dass es eine ganze Menge Frauen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht gibt. Und so starteten sie 2020 den heutigen Verein JuWiSt e.V. – Kurzform für ‚Juristinnen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht‘. Und damit hatten sie recht: Heute zählt der Verein rund 180 Mitglieder deutschlandweit und wird von einem sechsköpfigen Vorstand repräsentiert. Im JuWiSt sind nicht nur Juristinnen, sondern auch Mitarbeiterinnen aus Behörden oder der Staatsanwaltschaft. Eben alle, die etwas mit dem Strafrecht in Wirtschaft und Steuer zu tun haben. „Wir suchten einen thematischen Austausch und wollten eine Plattform schaffen, auf der die vielen tollen Kolleginnen, die im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht tätig sind, sichtbarer werden können“, so Stürzl. Im Ausnahmefall darf auch ein Mann oder eine juristische Person, zum Beispiel eine Kanzlei, beitreten. Dann aber nur als Fördermitglied.

Der Verein ist sehr aktiv, monatlich findet ein JuWiSt-Talk statt, bei dem jeweils eine Teilnehmerin von ihrer aktuellen Praxis berichtet. Zusätzlich zu regionalen Treffen sieht man sich bei diversen Sonderterminen, etwa zusammen mit der Bundesfinanzakademie. Die große Jahrestagung zählt bislang zwischen 80 und 100 Teilnehmerinnen. „Je fokussierter ein Netzwerk zugeschnitten ist, desto ertragreicher ist es für jeden einzelnen“, ist Stürzl überzeugt. „Qualität statt Quantität. Ich netzwerke nur mit Menschen, die ich mag und die mich inspirieren.“ Daher stellt der JuWiSt nicht nur das Fachliche in den Mittelpunkt, sondern eben ganz gezielt die Frauen in dieser Branche.
Der zeitliche Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Daher ist die Wahl des Netzwerks, in dem man sich engagiert, nicht beliebig. Associates in Großkanzleien stehen unter Druck, Leistung zu erbringen, insbesondere eine hohe Anzahl an abrechenbaren Stunden (sogenannte Billable Hours) nachzuweisen. Trotzdem ist es besonders zu Beginn der Karriere wichtig, sich ein Netzwerk aufzubauen. Zeitbedarf und Umsatzdruck stehen also konträr zueinander. Oder doch nicht? „Gerade der Anwaltsnachwuchs sollte sich schon früh in der Karriere die Zeit für ein persönliches Netzwerk nehmen, denn einmal versäumt, lässt sich das nicht so schnell nachziehen“, sagt Stürzl.
Hilfreiche Perspektive
Genau deswegen ist bereits die Studienzeit ein guter Anfang. Zwar wissen die wenigsten vor dem Referendariat, in welche fachliche Richtung sie sich später entwickeln wollen, aber genau dafür kann ein Studierendennetzwerk bereits hilfreiche Perspektiven aufzeigen. „Das Jurastudium in Deutschland ist sehr weit entfernt vom späteren Berufsalltag“, sagt Michelle Henning. Die 20-Jährige ist seit August dieses Jahres für ein Jahr als Präsidentin von Elsa Deutschland gewählt. Für den Vollzeitjob lässt sie selbst ihr Jurastudium, das sie in Heidelberg absolviert, nach dem sechsten Semester für ein Jahr ruhen. „Ein Engagement in einem Netzwerk während des Studiums bringt Orientierung. Man lernt Personen aus verschiedenen Berufsgruppen kennen und kommt so vielleicht auch auf einen Fokus, der sich sonst nicht ergeben hätte“, so Henning.
Elsa steht für ‚European Law Students’ Association‘ der internationale Faktor spielt somit eine zentrale Rolle im Verein. Mitglied werden kann jeder, der für ein Jurastudium in Deutschland eingeschrieben ist. Zuletzt zählte Elsa in Deutschland 12.500 aktive Mitglieder an 44 Jurafakultäten. Henning erinnert sich an ihre Ersti-Woche in Heidelberg, in der sich eine ganze Reihe an Studierenden-Vereinigungen vorgestellt haben. Für sie war ausschlaggebend, dass ein Netzwerk wie Elsa Zugang zu Kanzleikontakten über die verschiedenen Events ermöglicht.

„Über die Professoren hinaus haben Studierende eigentlich keine Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner in die Branche hinein“, so Henning. „Spätestens wenn es um ein Praktikum oder das Referendariat geht, sind diese Kontakte besonders wertvoll.“ Darüber hinaus organisiert Elsa weitere Veranstaltungen und Weiterbildungen. Soft Skills sind ein gutes Beispiel: Elsa-Coaches trainieren Verhandlungssituationen, Mandantengespräche oder Zeugenvernehmungen.
Warum sind berufliche Netzwerke wichtig?
Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle im juristischen Beruf, da sie den fachlichen Austausch, die Karriereentwicklung und den Zugang zu einem erweiterten Beraterumfeld fördern. Die wichtigsten Gründe für das Engagement in einem Netzwerk:
Fachlich: Austausch über rechtliche Entwicklungen und Gerichtsentscheidungen, Best Practices und aktuelle Trends in der Mandatsarbeit.
Wissen: Zugang zu Experten der Branche, meistens im Rahmen von Tagungen. Das trägt zur Weiterbildung bei und hilft bei komplexen rechtlichen Fragestellungen im Mandat.
Karriereentwicklung: Plattform für berufliche Weiterentwicklung, Mentoring und den Austausch von Karrieretipps.
Berufliche Chancen: Durch ihr Netzwerk wissen Juristinnen und Juristen von potenziellen Jobangeboten, lernen weitere Teams kennen sowie Partner und Mandanten.
Persönliche Unterstützung: Diskussion auf Augenhöhe über Herausforderungen in der Mandatsarbeit oder der Karriereentwicklung.
Sichtbarkeit und Reputation: Mehr Präsenz und Anerkennung im Markt und im direkten Beratungsumfeld, sowohl bei der eigenen Kanzlei als auch bei Mandanten und anderen Kanzleien.
Fortbildungsangebote: Zugang zu Weiterbildungen, Seminaren und Konferenzen.
Interdisziplinär: Austausch von Juristen aus verschiedenen Rechtsgebieten, aber auch Marktteilnehmer aus anderen Institutionen, wie etwa Behörden, Unternehmen oder Staatsanwaltschaften und Gerichte. Das fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Nicht nur während des Studiums, auch mit dem Berufseinstieg tragen juristische Netzwerke zur fachlichen Weiterbildung bei. „Unser Netzwerk schließt auch eine Lücke durch eine Fort- und Weiterbildung im eigenen Fachgebiet“, sagt Kapitalmarktanwalt Schmoll. Kanzleien bieten ihren Associates eine Vielzahl an Ausbildungsmodulen. Viele drehen sich um die Entwicklung von berufsspezifischen Soft Skills. Doch mit dem Austausch unter Gleichgesinnten, die zwar den gleichen fachlichen Schwerpunkt in ihrer Karriere verfolgen, aber in anderen Kanzleien oder im Marktumfeld tätig sind, können vor allem Netzwerke dienen. „Es erweitert somit den fachlichen, und auch den persönlichen Horizont“, ergänzt Schmoll. In einigen fachlich fokussierten Netzwerken ist es bereits vor dem Berufseinstieg möglich, sich zu engagieren. „Wenn das Interesse vorhanden ist, gibt es nach unten keine Altersgrenze“, sagt Deborah Keller.

Die 32-Jährige ist als Regionalkoordination Berlin in der DIS40 aktiv und sieht dies auch als sinnvolle Plattform etwa während des Referendariats oder des LL.M.-Studiums. Die DIS (Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit) ist wohl eines der bekanntesten juristischen Netzwerke. Als Institution ist sie Anlaufstelle für Schiedsgerichtsverfahren, also Streitigkeiten, die außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit von den Parteien verhandelt werden.
Streitige Parteien benennen die Beteiligten selbst
In der DIS40 vereinigen sich diejenigen, die unter 40 Jahre alt sind. „Direkt zum Berufseinstieg habe ich mit meinem Partner besprochen, wo ich mich sinnvoll auch außerhalb der Kanzlei einbringen kann“, so Keller. Sie ist seit vier Jahren Associate im Dispute Resolution-Team bei CMS Hasche Sigle mit einem Schwerpunkt in Schiedsverfahren. Die Besonderheit in der Schiedsgerichtsszene ist, dass die streitigen Parteien die Beteiligten selbst benennen. Es braucht also neben dem Schiedsrichter selbst auch Gutachter. „Gerade deswegen kann man in der Schiedsrechtsszene nicht früh genug beginnen, sich ein gutes Netzwerk aufzubauen“, ist Keller überzeugt. So konnte auch sie bereits einige Male in einem Mandat mit einer Empfehlung für einen Gutachter aus ihrem eigenen Netzwerk dienen.
Doch die Wahl des richtigen Netzwerks ist längst nicht überall so eindeutig wie im Schiedsrecht. Grundsätzlich gilt für junge Juristinnen und Juristen, dass sie Eigeninitiative zeigen müssen, um den richtigen Verein oder die richtige Arbeitsgruppe zu finden. Und wenn es das Richtige noch nicht gibt, dann steht der Gründung einer eigenen Initiative nichts entgegen, wie die Gründerinnen und Gründer von JuWiSt und Young Capital Market Lawyers beweisen.