Staatsexamen mit oder ohne Repetitorium?

Die meisten Studierenden bereiten sich auf das Erste Staatsexamen mit kommerz­iellen Repetitorien vor. Doch es geht auch ohne: Universitäre Kurse haben ebenfalls viel zu bieten, und mancher lernt sowieso lieber ganz für sich.

Für Maximilian Stein war von Anfang an klar, dass er kein kommerzielles Repetitorium buchen würde. Erstens, weil das Examinatorium an seiner Universität einen guten Ruf hat und zweitens, weil er sich das Geld sparen wollte. Dann kam Corona und das gesamte universitäre Repetitorium fand online statt. „Ich habe schnell gemerkt, dass das Lernen am Bildschirm mir nicht liegt und ich mich dabei gar nicht konzentrieren konnte“, erzählt der 27-Jährige, der zurzeit als Referendar bei Hengeler Mueller arbeitet. Kurzerhand beschloss Stein, sich selbstständig durch den Prüfungs­stoff zu kämpfen.

Jede Woche eine Klausur: Maximilian Stein verzichtete für das Erste Staatsexamen an der Uni Konstanz auf ein ­Repetitorium. Im Juli begann er als Referendar bei Hengeler Mueller. (Foto: privat)

Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Handelsrecht, vielfältige Strafrechtsfälle, aber auch Polizei- und Europarecht – vom allgemeinen Teil des BGB bis zu den jüngsten Urteilen des Bundesgerichtshofs kann im Ersten Staatsexamen alles abgefragt werden. Entsprechend hoch ist der Druck. Die staatliche Pflichtfachprüfung des Ersten Examens beginnt in den meisten Bundesländern mit sechs Klausuren – drei im Zivilrecht, zwei im Öffentlichen Recht und eine im Strafrecht. Welche Bereiche in den Klausuren tatsächlich geprüft werden, ist offen. So kann theoretisch in allen drei Zivilrechtsklausuren das Hauptgebiet Sachenrecht Thema sein. Ein anderer Prüfling muss stattdessen drei Fälle aus zivilrechtlichen Nebengebieten wie zum Beispiel Familien- und Erbrecht lösen.

Welche Rechtsgebiete am häufigsten abgefragt werden, zeigt eine Auswertung der Universität Köln: Baurecht etwa war zwischen 2015 und 2019 nur in jeder fünften Klausur ein Problemschwerpunkt der öffentlich-rechtlichen Examensklausuren. Dafür musste in fast jeder Klausur zum Thema Schuldrecht eine wirksa­me Einigung bzw. Angebot und Annahme geprüft werden. Um zu bestehen und möglichst ein Vollbefriedigend zu erzielen, müssen sich Studierende jedoch auf möglichst viele Themen gut vorbereiten.

Lernplan aufstellen

Dabei ist die erste Herausforderung, die riesige Stoffmenge in Lerneinheiten zu unterteilen. „Das Schwere ist, sich einen Überblick zu verschaffen“, sagt Maximilian Stein. Er hat an der Uni Konstanz studiert und dort im Frühjahr 2022 die staatliche Pflichtfachprüfung geschrieben. Dabei orientierte er sich an einem Lernplan, der 120 Lerneinheiten für 120 Tage vorschlägt. Ähnliche Übersichten, die für verschiedene Zeiträume ausgelegt sind, gibt es auch von den Universitäten. Pro Tag sollen Examenskandidaten nur eines der drei Hauptgebiete bearbeiten und genug Puffer zum Wiederholen und Ausruhen einplanen. Skripte zum Lernen schrieb Stein sich selbst zusammen: „Ich hatte schon immer Spaß daran, mich an den Schreibtisch zu setzen und die Bücher durchzuarbeiten.“

Anders als Stein setzen die meisten Studierenden auf professionelle Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung. Obwohl auch die Universitäten gute Angebote aufgebaut haben, sind kommerzielle Repetitorien wie Alpmann Schmidt, Hemmer oder JuraIntensiv beliebter. Die meisten Nachwuchsjuristen absolvieren einen Jahreskurs und besuchen an zwei oder drei Tagen pro Woche feste Seminare von drei bis vier Stunden. Drei feste Repetitoren gehen mit den Teilnehmenden den Stoff im Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlichen Recht durch. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Lösen von Fällen, wie sie auch in den Examensklausuren gestellt werden. Die Gewichtung ist jedoch unterschiedlich. Zum Service kommerzieller Anbieter gehören ausführliche Skripte, Rechtsprechungsübersichten sowie Karteikarten und Klausurenflatrates.

Austausch in der Gruppe: Die Oppenhoff-Referendarin Lydia Baumann besuchte ein Jahr lang das Repetitorium von Hemmer und parallel den Klausurenkurs der Uni Köln. (Foto: privat)

Je nach Anbieter sind neben Präsenzseminaren auch Onlinekurse und interaktive Livestreams verfügbar. Für die Jahreskurse zahlen Studierende zwischen 170 und 190 Euro pro Monat. Wer weniger Zeit hat, kann komprimierte Kurse über kürzere Zeiträume, Crashkurse an Wochenenden oder einzelne Rechtsgebietskurse buchen. Im Schnitt kostet die Vorbereitung außerhalb der Uni bis zu 2.000 Euro.

Wie in der Schule

Lydia Baumann (29), mittlerweile Referendarin bei Oppenhoff in Köln, entschied sich nach dem Probehören für einen Jahreskurs von Hemmer. „Das Repetitorium der Uni Köln hat zwar einen sehr guten Ruf. Für Hemmer sprach die engere Betreuung und die intensive Lernatmosphäre in der kleinen Gruppe,“ erklärt Baumann. Ihr war es wichtig, schnell fertig zu werden, auch weil die Diplomfinanzwirtin bereits ein Erststudium hinter sich hatte. Im Seminar hatte jeder einen festen Platz, die Atmosphäre erinnerte sie an die Oberstufe: „Es gab viel Raum für Diskussionen. Dadurch lernt man besonders viel.“ Ein Pluspunkt war auch die Nähe zur Jurafakultät. So ging die Gruppe aus dem Repetitorium im Anschluss gemeinsam in die Mensa und dann geschlossen in die Bibliothek.

Jonathan Steinthal besuchte sowohl ein kommerzielles Repetitorium von JuraIntensiv als auch die Hälfte der Repetitoriumskurse an der Universität Jena. „Ich habe von beiden Angeboten profitiert“, sagt der 28-Jährige. Die Kurse bei JuraIntensiv empfand er tendenziell als problemorientierter. Dort übte er anhand von Problem­en immer wieder Prüfungsschemata anzuwenden. An der Uni suchte er sich zusätzlich die Gebiete heraus, in denen er sein Grundlagenverständnis vertiefen wollte, um mit Überraschungen in den Klausuren umgehen zu können. „Ich wusste, ich habe das Handwerk, auch ein unbekanntes Problem in der vorgegebenen Zeit zu lösen.“ Neben den Repetitorien setzte Steinthal auch auf den Austausch auf dem Campus. Mit Kommilitonen eine Mate zu trinken und einfach mal darüber zu reden, was man zuletzt wiederholt hat, hilft seiner Meinung nach manchmal am meisten. „Dann merkt man vielleicht einen Monat vor der Klausur: Europarecht existiert ja auch noch.“

Überließ nichts dem Zufall: Jonathan Steinthal besuchte sowohl das Repetitorium der Uni Jena als auch ein kommerzielles Repetitorium von JuraIntensiv. Aktuell arbeitet er in seiner Anwaltsstation im Baurechtsteam bei Redeker Sellner Dahs. (Foto: privat)

Besonders gut fand Steinthal den Klausurenkurs an der Uni. Die Korrekturzeit ist dort zwar etwas länger als in kommerziellen Kursen. Dafür können die Teilnehmer häufig echte Altklausuren schreiben, erhalten die Originallösungen und bekommen einen realistischen Eindruck, was auf sie zukommt. In Konstanz besuchte Maximilian Stein den Klausurenkurs seiner Uni. Ein Jahr lang schrieb er jede Woche eine Klausur. „Es ist bei allen so, dass die Klausuren am Anfang sehr schlecht sind und dann immer besser werden.“ Die sich steigernden Ergebnisse stärkten sein Selbstbewusstsein für die echten Prüfungen. Wer viele Klausuren schreibt, übt die Klausurzeit richtig einzuschätzen und schult den eigenen Stil. Auch Lydia Baumann schrieb die Klausuren der Uni Köln mit. Da sie den Freischuss wahrnahm, durfte sie nach NRW-Regelung ‚abschichten‘. Sie musste die Klausuren nicht in einem Block schreiben, sondern hatte dazwischen einige Monate Zeit. Danach bereitete sie sich auf die mündliche Prüfung vor und belegte einen Kurs zur Prüfungssimulation. Examenskandidatinnen dürfen außerdem bei der mündlichen Prüfung anderer zuhören, sodass sie einen guten Eindruck davon bekommen, was auf sie zukommt.

Nicht verrückt machen lassen

Die Nerven zu behalten und die eigene Lernmethode nicht zu sehr zu vergleichen, hat auch Maxi Müller während der Examensvorbereitung gelernt. Die 23-Jährige hat sofort nach dem Abitur mit dem Jurastudium begonnen und ist dafür von Chemnitz nach Leipzig gezogen. Für die Examensklausuren im Februar verlässt sie sich auf das universitäre Repetitorium ‚LEO‘ und ihre eigene Lernstruktur. „Viele Punkte sprachen gegen das kommerzielle System“, sagt sie.

Entscheidend ist ihrer Meinung nach, dass man mit der universitären Lehr- und Lernmethode zurechtkommt. Damit hatte sie vom ersten Semester an kein Problem. Manche der Professoren halten das Repetitorium im Vorlesungsstil, andere Veranstaltungen sind besonders gut konzipiert. „Das Strafrechtsrepetitorium kommt nah an kommerzielle Repetitorien heran, dort sitzen aber statt 20 eben 100 Leute“, erzählt sie. Die Universität Leipzig weitet ihr Angebot zur Examensvorbereitung seit 2020 aus und bietet Studierenden umfassende Unterstützung an. Dabei kooperiert das LEO-Management mit anderen Hochschulen. Teilnehmende können neben dem Präsenzrepetitorium auf eine Klausurdatenbank, Karteikarten, Skripte, Definitionen-Trainer, Rechtssprechungsauswertungen sowie Streitstandübersichten zugreifen. Außerdem produziert die Uni Video-Podcasts. „Die Videos sollen Gelegenheit zur Wiederholung besonders examensrelevanter Themenbereiche geben oder auch die Vorlesungen entlasten. Im Strafrecht zum Beispiel gibt es viel zu viele Delikte und Problemfälle, um in einer Präsenzveranstaltung alle gezielt anzusprechen“, erklärt LEO-­Organisator Nico Bilski (28). Wenn die Studierenden bereits eine kompakte Einführung zum Schadensrecht als Video gesehen haben, fällt in der Veranstaltung Frontalunterricht weg und es bleibt mehr Raum für Austausch und Diskussion.

Arbeit als Ausgleich: Maxi Müller bereitet sich seit anderthalb Jahren mit dem LEO-Repetitorium der Uni Leipzig auf das Staatsexamen vor. Die Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Luther gibt ihr Selbstbewusstsein für die Prüfungen im Februar. (Foto: privat)

Maxi Müller nutzte zudem die Option, schon ab dem vierten Semester Klausuren auf Examensniveau mit Hilfe eines ausgegebenen Spickzettels mitzuschreiben. Mittlerweile löst sie zusätzlich zum LEO-Klausuren­kurs jede Woche eine Klausur in ihrer Lerngruppe mit zwei Kommilitonen. „Die Klausuren geben mir ein ganz gutes Gefühl“, sagt sie. Zuversicht für die Prüfung zieht sie auch aus ihrer Tätigkeit als Wissenschaftliche Hilfskraft bei Luther. Die Arbeit verlängert zwar die Vorbereitungszeit aufs Examen. Der Kanzleialltag zeigt ihr aber auch, wofür sie so viel lernt, und die Arbeitserfahrung gibt ihr Selbstbewusstsein: „Das Gefühl der Überforderung, das in Klausuren aufkommen kann, kenne ich aus der Kanzlei. Ich weiß aber auch, dass ich schon etwas kann.“

Lydia Baumann ist aktuell in der Zivilstation. Anders als im Ersten Examen geht es nun um das prozessuale Recht, während das materielle vorausgesetzt wird. „In der Arbeitsgemeinschaft lerne ich gerade, wie ich ein Urteil schreibe, Zeugen vernehme und Zeugenaus­sagen würdige.“ Im Landgericht wendet sie dieses Wissen an.

Das Zweite Examen

Beim Lernen für das Zweite Examen will Baumann auch kommerzielle Angebote nutzen. In der Anwaltsstation übernimmt Oppenhoff Kosten für Kaiserseminare, die bei Referendarinnen und Referendaren beliebt sind. Baumann profitiert außerdem von kanzleieigenen Seminaren, wie sie viele große Kanzleien anbieten. Jonathan Steinthal steht mittlerweile vor dem Zweiten Staatsexamen. Er ist Referendar in Thüringen und Gastreferendar in NRW, da er dort seine Anwaltsstation im Baurechtsteam von Redeker Sellner Dahs absolviert. Bis zur Prüfung im Dezember schätzt er, wird er 50 Klausuren geschrieben haben. Zu je zwei Klausuren in den Arbeitsgemeinschaften kommt der Klausurenkurs in Thüringen, den Steinthal als überragend bezeichnet. Für das Examen fühlt er sich gut vorbereitet.

Hengeler-Referendar Stein arbeitet seit Juli im Team Corporate/M&A in München mit. Für das Zweite Examen im Juni 2024 wird er auch kommerzielle Kurse nutzen. Seine Entscheidung, das Erste Examen ohne Repetitorium anzugehen, findet er immer noch richtig. Beim Lernen hat ihm gerade das freie Navigieren durch den Stoff Spaß gemacht. „Man fühlt sich ein bisschen wie ein Entdecker, wenn man nicht nur die essenziellen Eckpunkte präsentiert bekommt, sondern selbst herausfindet, worauf es ankommt.“


Teilen:

Lies mehr zum Thema

azur Mail abonnieren