Interview: „Es gibt mehr als genug Stoff zum Forschen“
Mit Nachhaltigkeit aus unternehmensrechtlicher Perspektive beschäftigt sich das neue Institut INUR in Köln. Eine der Gründerinnen, Johanna Hey, erklärt, warum sich dahinter viel mehr verbirgt als Umweltrecht.
azur: Vor einem Jahr haben Sie gemeinsam mit den Professoren Joachim Hennrichs, Barbara Dauner-Lieb, Jens Koch und Privatdozent Dr. Moritz Pöschke das INUR – Institut für Nachhaltigkeit, Unternehmensrecht und Reporting – an der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät gegründet. Klingt ganz schön kompliziert. Was genau ist das INUR?
Prof. Dr. Johanna Hey: Das INUR ist eine neue Initiative von uns Kollegen, allen voran Prof. Dr. Hennrichs, die sich intensiv mit den Zukunftsthemen beschäftigen, die sich rund um den großen Begriff Nachhaltigkeit ergeben. Nachhaltigkeitsaspekte berühren alle Rechtsgebiete, deswegen wollen wir im INUR die rechtswissenschaftlichen Forschungen im Team intra- und interdisziplinär vernetzen, bündeln, diskutieren und weiterentwickeln. Dabei geht die Grundidee weit über das Umweltrecht, das viele primär mit dem Thema Nachhaltigkeit verbinden, hinaus. Die Themen, die uns umtreiben, sind Unternehmensberichterstattung und -reporting, Corporate Governance und Unternehmensbesteuerung. Wegen diesem Fokus ist das INUR so innovativ und spannend. Unternehmen haben Berichtspflichten und müssen über ESG-Aspekte (Environmental, Social and Governance) informieren. Das INUR ist das erste Institut in Deutschland, das so breit aufgestellt ist und die Nachhaltigkeitsberichterstattung aus juristischer Sicht untersucht. Wir sind früh dran.
Warum haben Sie das INUR gegründet?
Wir möchten im INUR zum einen die wissenschaftliche Forschung zu Nachhaltigkeitsthemen aus unternehmensrechtlicher Perspektive fördern – da gibt es viele spannende und völlig offene Fragen. Das beginnt schon damit, was Nachhaltigkeit überhaupt ist. Ist sie messbar? Wie funktioniert Green Washing? Dreht es sich um ethische Standards? Sind diese Standards justiziabel? Braucht es neuartige rechtliche Instrumente? Diesen und vielen weiteren Fragen wollen wir uns in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Nachbardisziplinen, aus dem Ausland, aber auch etwa mit Ökonomen und Klimaforschern widmen. Aktuell sind die Juristinnen und Juristen insbesondere in der Empirie nicht besonders bewandert, dieses Feld bleibt vielfach den Ökonomen überlassen. Die Nachhaltigkeitsberichtserstattung haben sich die Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer stark auf die Fahnen geschrieben, die Juristinnen und Juristen arbeiten dazu derzeit noch weniger. Das alles möchten wir ändern.
Auf welche Rechtsgebiete fokussiert sich das INUR?
Während das Umweltrecht vorgelagert mit Verboten und Regulierung arbeitet, setzt beispielsweise das Reporting auf indirekte Verhaltenssteuerung durch Transparenz. Dieser steuernde Aspekt ist ein Kernthema des INUR. Uns liegt am Herzen, zu verdeutlichen, wie stark der Einfluss über solche Instrumente sein kann. Ganz konkret erlaubt es unser breiter unternehmensrechtlicher Ansatz, dass wir uns auch Bereiche wie Lieferketten und Kinderarbeit anschauen. Generell zieht sich der Nachhaltigkeitsaspekt durch alle Rechtsgebiete und das Bewusstsein dafür entsteht erst langsam. Das Ganze spielt sich nicht mehr nur im Öffentlichen Recht ab, sondern ist längst im Zivilrecht angekommen. Im Kapitalmarktrecht gibt es eine starke Schnittstelle zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Vom Gesellschafts- über das Kartell- bis hin zum Strafrecht etwa, wir sind gezwungen, unterschiedlichste Rechtsgebiete zu bündeln. Das macht natürlich auch den Reiz aus. Im Mai etwa führen wir eine Veranstaltung zu der Frage durch, ob sich aus Nachhaltigkeitserwägungen eine GmbH-Variante mit Ausschüttungssperre, eine so genannte GmbH mit gebundenem Vermögen, empfiehlt oder nicht. Man sieht, wie weit Nachhaltigkeit verstanden wird, was natürlich auch die Gefahr der Konturenlosigkeit mit sich bringt.
Mit der GmbH mit gebundenem Vermögen haben sie schon ein konkretes Beispiel genannt. Was sind weitere typische Forschungsfragen?
Da gibt es eine Menge. Zum Beispiel, was Greenwashing genau ist, wie es gemessen, verhindert und sanktioniert werden kann. Konkret, wie das Corporate- Governance-System aufgestellt sein muss, um Greenwashing zu bekämpfen. Oder: Haften Finanzberater für grüngefärbte Nachhaltigkeitsberichte? Durch fehlerhaftes Reporting könnten etwa auch Klimaklagen befeuert werden. Andererseits sind Klimaklagen ein
Risiko, über das zu berichten ist und das die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen beeinflussen kann. In diesem Zusammenhang sind die Fragen spannend, ob Klimaklagen nach deutschem Recht denkbar sind und welche Pflichten entlang der Lieferkette bestehen. Mein Steckenpferd ist natürlich das Steuerrecht. Es gibt derzeit eine hochspannende politische Diskussion um die Rehabilitation von Steuervergünstigungen sozusagen als Belohnung für Nachhaltigkeitsbemühungen. Welche Rolle kann und sollte das Steuerrecht bei der grünen Transformation zukünftig spielen? Sind die Kriterien für grüne Steuervorschriften hinreichend konkret und justiziabel? Gibt es schon genügend Anreize zum nachhaltigen Wirtschaften, ist eine Verengung über das Steuerrecht überhaupt notwendig? Es gibt mehr als genug Stoff zum Forschen.
Sie wollen auch in die Lehre hineinwirken. Wie will Ihr Institut das erreichen?
Das INUR hat ein Doktorandenprogramm aufgesetzt, das sich über die nächsten Jahre entwickeln wird. Parallel bauen wir an der Universität Köln einen neuen Schwerpunkt auf – so bekommen die Studierenden die Möglichkeit, sich mit den Zukunftsthemen, die sie politisch und beruflich in den nächsten Jahren zwangsläufig umtreiben werden, auch examensnah zu beschäftigen. Zukünftig dürften etwa im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung auch neue Arbeitsfelder für Juristinnen und Juristen entstehen.
Die Finanzierung von universitären Instituten ist aufgrund der Mittelknappheit häufig ein Spannungsfeld. Auch das INUR finanziert sich durch Förderer. Wie bewahrt es sich seine Unabhängigkeit?
Wir haben nicht einen großen, sondern eine ganze Reihe von Förderern, allein schon, um uns thematisch nicht einzuengen. Mit unseren sogenannten Ankerpartnern – dazu zählen Unternehmen, Verbände, Arbeitskreise und Wirtschaftskanzleien – arbeiten wir aber nicht nur aus der Notwendigkeit der Finanzierung heraus zusammen. Vielmehr ist die Vernetzung, die Brücke zur Praxis, unser erklärtes Ziel. Dieser regelmäßige Austausch ist insbesondere für unsere Doktorandinnen und Doktoranden extrem wichtig. Ich persönlich halte die Angst vor Einflussnahme für übertrieben und für eine sehr deutsche Angst.
Eine letzte Frage: Wie definieren Sie persönlich Nachhaltigkeit?
Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ja ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bedeutet unter anderem, dass man nicht mehr Bäume fällt als nachwachsen. Im Steuerrecht ist Nachhaltigkeit als langfristiges, planvolles Handeln definiert. Ich selbst habe noch keine Definition von Nachhaltigkeit. Ich glaube auch, dass es nicht die eine Definition geben wird. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, den Begriff der Nachhaltigkeit zu konkretisieren und das wird in jedem Rechtsgebiet anders sein. Noch vor fünf Jahren wurde ESG kritisch beäugt, als Einschränkung gesehen. Heute ist klar, dass nachhaltiges Wirtschaften zum Unternehmenserfolg beiträgt. Damit ist schon viel gewonnen.
Das Gespräch führte Silke Brünger.
Zur Person: Prof. Dr. Johanna Hey promovierte 1996 bei dem legendären Kölner Steuerrechtsprofessor Joachim Lang zur Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa. Im Alter von 31 Jahren habilitierte sie sich, 2002 übernahm sie den Lehrstuhl für Unternehmenssteuerrecht der Universität Düsseldorf. 2006 kehrte sie schließlich als Nachfolgerin Langs zurück nach Köln und wurde Direktorin des Instituts für Steuerrecht – einem der wichtigsten steuerrechtlichen Lehrstühle Deutschlands. Seit 2021 ist sie Prorektorin für Internationales der Universität zu Köln.