Referendariat in Baden-Württemberg

Ohne Wartezeit in den Vorbereitungsdienst? Baden-Württemberg macht es möglich. Ein vielfältiges Ausbildungsangebot und eine niedrige Durchfallquote machen das Referendariat im Südwesten aus.

Keine Frage: Statistisch gesehen ist Freiburg eine Großstadt. Francesca Pisacane wuchs beschaulich in der Nähe des Bodensees auf. Für das Jurastudium entschied sie sich dann, nach Freiburg zu gehen – wegen der Nähe zur Natur. „In eine richtige Großstadt zu
ziehen, wäre viel zu krass für mich gewesen“, erzählt die 24-Jährige. Dass sie in derselben Stadt auch einen der begehrten Plätze für ein Referendariat ergatterte, verdankt Pisacane ihrer damaligen Anstellung am Lehrstuhl.

Zu den beliebtesten Standorten innerhalb der beiden baden-württembergischen Oberlandesgerichtsbezirken Stuttgart und Karlsruhe zählen ganz klar die Universitätsstädte. Insgesamt haben die beiden OLG-Bezirke 17 Ausbildungsstellen an den Land­gerichten in Baden-Württemberg. Wer Tübingen oder die badischen Städte Mannheim, Heidelberg und Freiburg als Standortpräferenz für das Referendariat angibt, kann allerdings nicht immer berücksichtigt werden. Bevorzugt werden die Bewerbenden mit den besten Noten im Ersten Staatsexamen oder sozialen Berechtigungen sowie wissenschaftliche Mitarbeitende an Fakultäten.

  • Oberlandesgerichte: Stuttgart und Karlsruhe
  • 17 Landgerichte als Ausbildungsstellen
  • Zulassung im April oder Oktober
  • Bewerbungsfristen: November oder Mai
  • ca. 750 Bewerbungen jährlich
Kanzlei statt Unternehmen: Francesca Pisacane möchte nach ihrem Referendariat in eine Mittelstandskanzlei einsteigen. (Foto: Kösler Fotografie)

Oftmals wird jedoch von einer Nebentätigkeit abgeraten, weil allein das zusätzliche Lernen für die Prüfungen viel Zeit in Anspruch nimmt. Mit Erfolg: Im bundesweiten Vergleich ist die Durchfallquote besonders niedrig. Zudem erreichen seit 2009 deutlich mehr Kandidatinnen und Kandidaten die Note „vollbefriedigend“ und besser.

Die Bewerbungsphasen für den juristischen Vor­bereitungsdienst laufen zweimal im Jahr: Für die Zulassung zum April sowie zum Oktober. Die Bewerbungsfrist für den Frühling endet im November des Vorjahres, für den Herbst bereits im Mai. Baden-Württemberg kommt auf jährlich etwa 750 Bewerbungen.

Digitaler Bewerbungsprozess

Alle Referendarinnen und Referendare werden eingestellt, eine Wartezeit gibt es überraschenderweise nicht. Seit dem vergangenen Herbst können die Bewerbenden Dokumente auf einer Onlineplattform hochladen. Außer beglaubigte Abschriften – die müssen weiterhin postalisch eingereicht werden. Zu den benötigten Unter­lagen gehören der Lebenslauf, eine amtlich beglaubigte Kopie eines Ausweisdokumentes, ein Führungszeugnis sowie eine beglaubigte Kopie des Zeugnisses über das Bestehen der ersten juristischen Prüfung. Alle erhalten eine Unterhaltsbeihilfe in Höhe von 1.402,51 Euro brutto, gegebenenfalls mit ­Familienaufschlag.

Der Sprung ins kalte Wasser

Die sechs Referendariatsstationen starten jeweils mit kurzen Einführungslehrgängen. Parallel dazu existieren Arbeitsgemeinschaften: Die Zivilrecht-AG beginnt mit der ersten Zivilstation, die Strafrecht-AG mit der zweiten Strafstation und die Verwaltung-AG mit der dritten Station, der Rechtsanwaltstation I. Alle Arbeitsgemeinschaften enden mit der schriftlichen Prüfung und beschränken sich nicht ausschließlich auf die
jeweiligen Stationen. Nach jeder Einheit stellt der zuständige Ausbildende ein Stationszeugnis aus.

Pisacane absolvierte die fünfmonatige Zivilstation am Landgericht (LG) Freiburg. Dort beschäftigte sie sich hauptsächlich mit Urteilsentwürfen zu insolvenzrechtlichen sowie Haftungsklagen. „Da wurde ich direkt in die Praxis hineingeworfen, es war anfangs etwas schwierig, mich hier einzufinden“, gesteht Pisacane. Doch die Dominanz der Richterrolle während Verhandlungen faszinierte sie.

„Ich habe das erste Mal eine Idee davon bekommen, wie ein Anwalt wirklich arbeitet.“

Darauf folgte für drei Monate die Strafrechtsstation. Diese verbrachte Pisacane bei der Staatsanwaltschaft Freiburg und entschied sich somit gegen eine praktische Ausbildung an einem Strafgericht. Es war die für sie beeindruckenste Station: „Ich habe sogar einen Fall mit einer fahrlässigen Tötung verhandelt, das werde ich nie vergessen.“ Damals ging es um einen Unfall, bei dem ein Lkw auf eine Tankstelle in Schrittgeschwindigkeit einbog und einen Rollerfahrer tödlich verletzte. An­gesichts der weitreichenden Folgen einer Verurteilung wollte sich Pisacane für einen Freispruch des Berufsfahrers einsetzen. Doch ihre Bemühung blieb erfolglos, der Täter wurde verurteilt.

Zweigeteilte Anwaltsstation

Anders als in manchen Bundesländern ist die Station bei einer Kanzlei in Baden-Württemberg in zweimal viereinhalb Monate aufgeteilt. In der Theorie können Referendarinnen und Referendare dafür bei zwei unterschiedlichen Kanzleien anheuern. Allerdings wählen die meisten nur eine Kanzlei für beide Stationen. Das hat den Vorteil, dass sie während der ersten Hälften einen realistischen Eindruck in den Alltag des Anwaltsberufs erlangen können. Pisacane bewarb sich erfolgreich bei der Mittelstandskanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner, wo sie während der ersten Station ein bis zwei Tage vor Ort anwesend war. „Ich habe das erste Mal eine Idee davon bekommen, wie ein Anwalt wirklich arbeitet“, resümiert sie.

Erfahrungsgemäß wird die zweite Hälfte als sogenannte „Tauchstation“ genutzt. Mit Blick auf die unmittelbar bevorstehenden schriftlichen Prüfungen liegt der Fokus dann auf dem intensiven Lernen. Wie viel Zeit den Prüflingen zum Lernen eingeräumt wird, hängt natürlich von der jeweiligen Sozietät ab. Friedrich Graf von Westphalen hat deutschlandweit jährlich bis zu 30 Referendare. Sie berät ihre Prüflinge intern zur Klausurenvorbereitung und übernimmt die Kosten für Probeklausuren bei einem Repetitor.

Unternehmen statt Kanzlei: Marina Kastner zieht es nach ihrem Zweiten Staatsexamen in die freie Wirtschaft als Syndikusanwältin. (Foto: Kösler Fotografie)

Zwischen den beiden Anwaltsstationen liegt die dreieinhalbmonatige Verwaltungsstation. Neben den Kommunal- und Verwaltungsgerichten oder anderen Behörden im Land kann man diese als baden-württembergischer Referendar auch im Ausland verbringen – allerdings nur bei der Europäischen Union oder dem Europarat. Die Möglichkeit für einen Auslands­aufenthalt besteht auch während der Wahl- und Anwalts­station, wobei Letzteres eher unüblich ist. Hier hängt sehr viel vom persönlichen Engagement der Referendarinnen und Referendare ab.
Neben den AGs stellt Baden-Württemberg seinem zukünftigen juristischen Nachwuchs Onlinelerninhalte zur Verfügung, die teilweise auch verpflichtend sind. Zudem können freiwillig Klausuren abgerufen und per Post zur Korrektur eingeschickt werden. Derzeit arbeitet das Land an einer cloudbasierten Lösung, um den Prozess vollständig zu digitalisieren. Ebenso ist der Erwerb von Zusatzqualifikationen gegen eine geringe Aufwandspauschale möglich. Das vielfältige Angebot erstreckt sich von Kursen zur Rhetorik bis hin zu verschiedenen Fremdsprachenlehrgängen. Neu hinzugekommen sind die Themen Legal Tech sowie KI.

Unternehmen als bewusste Wahl

Vor der mündlichen Prüfung steht die Wahlstation an. In Baden-Württemberg sind viele große Unternehmen mit eigenständigen Rechtsabteilung ansässig. Für immer mehr Berufseinsteiger ist das eine interessante Alternative. Daher entschied sich Marina Kastner, nach den schriftlichen Prüfungen ihre dreimonatige Wahlstation bei EnBW zu verbringen. Der in Karlsruhe und Stuttgart ansässige Konzern ist Deutschlands drittgrößter Energieversorger. Für EnBW sind insgesamt rund 90 Juristen tätig, davon 55 in der Rechtsabteilung des Hauptkonzerns. Obwohl Karlsruhe keine Universitätsstadt ist, ist auch hier ein Referendariatsplatz besonders begehrt.

Die 28-Jährige Kastner studierte zwar in Konstanz und Heidelberg, wuchs aber im Umland von Karlsruhe auf, wodurch sie vermutlich für eine Zuordnung am Karlsruher LG priorisiert wurde. Ihre beiden Anwaltsstationen verbrachte Kastner noch in einer kleinen Karlsruher Sozietät namens Schäufele Zerfowski Holderbaum. Somit hat sie den direkten Vergleich: „Auch wenn ich mir eine Tätigkeit als Anwältin gut vorstellen könnte, kommt der Berufseinstieg bei einem Unternehmen für mich eher in Frage. Der Altersschnitt ist geringer und der Umgang zwangloser.“ Zudem überzeugt sie der starke Fokus auf die Arbeit innerhalb des Teams. Durch die Arbeitsteilung ließen sich auch viel besser flexible Arbeitszeitmodelle umsetzen, hat Kastner beobachtet. Dadurch sei der Beruf des Syndikusanwalts viel familienfreundlicher.

Bei EnBW arbeitet sie größtenteils einem Team rundum konzessionsrechtlichen Fragestellungen zu. Kleinere Anfragen zu rein zivilrechtlichen Themen bearbeitet sie sogar weitestgehend eigenständig. „Die Rechtsabteilung arbeitet auch eng mit den einzelnen Fachbereichen des Unternehmens zusammen. Es ist spannend, so viel über die fachlichen Hintergründe zu erfahren“, sagt die Referendarin.

Egal ob Unternehmen oder Sozietäten: Viele Arbeitgeber nutzen den juristischen Vorbereitungsdienst als Recruiting-Instrument. Da der Kampf um den Nachwuchs härter ist denn je, sind frühe Kontakte für die Arbeitgeber immens wichtig. Natürlich profitieren auch die Referendarinnen von den vielfältigen Erfahrungen. Für Pisacane aus Freiburg kommt eine Anstellung in der Rechtsabteilung eines Unternehmens erst einmal nicht in Frage. „Wie schon so viele Berufsträger bei Friedrich Graf von Westphalen, würde ich gerne im Anschluss meines Referendariats bei der Kanzlei einsteigen“, erklärt sie. Und so vielleicht auch noch andere Großstädte kennenlernen außer Freiburg.

Prüfungsstress

Etwa ein halbes Jahr vor dem schriftlichen Examen endet die Frist zur Festlegung eines Schwerpunktes. Anders als noch vor einigen Jahren hängt die individuelle Spezialisierung nicht mehr zwangsläufig mit der Wahlstation zusammen. Bei den schriftlichen Prüfungen sind Kommentare zugelassen. Je nachdem zu welchem Zeitpunkt der Vorbereitungsdienst gestartet ist, fällt die zweite juristische Staatsprüfung entweder auf das Frühjahr oder den Herbst. Dann stehen innerhalb von zwei Wochen insgesamt acht schriftliche Klausuren an. Im Zivilrecht sowie im Strafrecht sind es jeweils drei Klausuren. Im Öffentlichen sind es nur zwei, wobei diese wie drei gewertet werden. Die mündliche Prüfung beinhaltet einen zehnminütigen Aktenvortrag und ein halbstündiges Prüfungsgespräch. Beim Gespräch werden das Zivil-, Straf- und Öffentliche Recht sowie der individuelle Schwerpunkt abgefragt. Der schriftliche Teil macht 70 Prozent der Gesamtnote aus, der mündliche 30 Prozent.

Teilzeitreferendariat auch im Ländle

Seit April dieses Jahres können angehende Juristinnen und Juristen, die ein minderjähriges Kind betreuen oder erstgradige Verwandte sowie Ehegatten beziehungsweise Lebensgefährten pflegen, das Referendariat in Teilzeit absolvieren. In bestimmten Fällen haben auch Menschen mit schweren Behinderungen diesen Anspruch. Die vorgesehenen zwei Jahre für den juristischen Vorbereitungsdienst verlängern sich dann um sechs Monate. Dafür sinken Dienstzeit und Besoldung um 20 Prozent. Diese Perspektive ergab sich erst aus der Änderung des Deutschen Richtergesetztes 2021. Seither setzen die Bundesländer die neue Regelung nach und nach um.

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