Belastungsprobe Referendariat

Eine aktuelle Umfrage unter Rechtsreferendaren hat ergeben, dass neun von zehn Befragten unter psychischen Beschwerden leiden. Das Fazit: Der juristische Vorbereitungsdienst muss dringend reformiert werden.

Sie berichten von Schlafproblemen, Angstzuständen und depressiven Verstimmungen. Nicht nur das Jurastudium, auch das Referendariat stellt die mentale Gesundheit vieler junger Menschen auf die Probe. Anders als für das Jurastudium fehlte es beim juristischen Vorbereitungsdienst bisher allerdings an belastbaren Daten. Aus diesem Grund führte die Referendariatskommission (RefKo) des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften als überparteiliche Interessenvertretung der Referendare im vergangenen Jahr eine bundesweite Umfrage zur konkreten Belastungssituation im Referendariat durch. Die Ergebnisse hat sie nun veröffentlicht.

Insgesamt 698 Rechtsreferendarinnen und -referendare nahmen zwischen März und Juni 2024 an der Umfrage teil. Diese umfasste 13 Fragen, die sowohl geschlossene als auch offene Antwortmöglichkeiten boten. Die nun daraus gewonnenen Erkenntnisse sind besorgniserregend: 91,8 Prozent der Befragten gaben an, unter psychischem Druck zu leiden. Bei den weiblichen Umfrageteilnehmerinnen lag der Anteil sogar bei 96,8 Prozent. Die Symptome der Befragten reichen von Schlafproblemen bis zu körperlichen Schmerzen.

Viele Stressfaktoren

Als Ursache für die hohe psychische Belastung nannte ein Drittel der Befragten die Mehrfachbelastung durch viele gleichzeitige Verpflichtungen. Knapp ein Viertel empfindet zudem die Menge des Prüfungsstoffs als überfordernd. Ebenfalls zu schaffen machen den angehenden Juristen die Erwartungshaltung der Ausbilderinnen und Ausbilder sowie die starke Abhängigkeit der beruflichen Perspektiven von der Examensnote, was bei vielen der Befragten Zukunftsängste auslöst.

Rund zehn Prozent der Teilnehmenden gaben zudem finanzielle Sorgen und die schlechte Organisation des juristischen Vorbereitungsdienstes, insbesondere die unzureichende Abstimmung zwischen Unterricht und praktischer Ausbildung, als Stressfaktoren an.

Dringender Reformbedarf

Die hohe psychische Belastung bleibt dabei nicht folgenlos: Mehr als ein Viertel der Befragten (29,2 Prozent) hat erwogen, den juristischen Vorbereitungsdienst vorzeitig zu beenden. Angesichts des steigenden Nachwuchsbedarfs in der Justiz und des zunehmenden Fachkräftemangels sind diese Zahlen alarmierend. „Die Ergebnisse zeigen deutlich: Der psychische Druck im Referendariat ist kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles“, sagt Andreas Knecht, stellvertretender Vorsitzender der RefKo.

Als konkrete Reformmaßnahmen fordert die RefKo daher von den Justizprüfungsämtern und Justizministerien der Länder eine angemessen hohe Unterhaltsbeihilfe, die den Lebensunterhalt abdeckt, eine strukturelle Verankerung der sogenannten Tauchstation zur Prüfungsvorbereitung und die Einführung einer verdeckten Zweitkorrektur, um eine objektivere Bewertung sicherzustellen. „Es ist höchste Zeit, dass die Politik Verantwortung übernimmt – für eine Ausbildung, die nicht krank macht“, sagt Justine Börngen, Referentin und Vorsitzende a.D. der RefKo.

Wenig Unterstützung durch die Länder

Die Mehrheit der Bundesländer hat zu Jahresbeginn die Unterhaltsbeihilfe erhöht. Fraglich ist aber, ob die reichen, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu decken. Die Höhe der Unterhaltsbeihilfe in den einzelnen Bundesländern liegt derzeit zwischen 1.380 Euro und 1.800 Euro brutto im Monat.

In Nordrhein-Westfalen müssen angehende Juristinnen und Juristen seit Januar sogar mit bis zu zwei Monatsbeiträgen weniger auskommen: Statt wie bis bisher nach 26 Monaten werden Prüflinge nun schon im 25. Monat mündlich geprüft. Die Wahlstation endet damit einen Monat früher – und mit ihr auch die Unterhaltsbeihilfe. Zudem gilt das Ausbildungsverhältnis mit dem Tag der bestandenen oder endgültig nicht bestandenen mündlichen Prüfung als beendet. Wer also früh im Monat geprüft wird, der muss auf fast zwei Monate Unterhaltsbeihilfe verzichten. Für Referendarinnen und Referendare in NRW bedeutet das, dass sie mit dem Prüfungstag beschäftigungslos sind und sich unmittelbar vor der Prüfung bei der Bundesagentur für Arbeit melden müssen.

Auch bayerische Referendarinnen und Referendare erfuhren zuletzt wenig Unterstützung durch die Landesregierung: Im Juli vergangenen Jahres hatte das Bayerische Staatsministerium der Justiz die bayerischen Rechtsanwaltskammern gebeten, die Rechtsanwaltskanzleien ihres Bezirks darüber zu belehren, dass das sogenannte Tauchen – in der Praxis von den Prüfungsämtern meist geduldet – nicht im Einklang mit ausbildungsrechtlichen Vorschriften stehe. Von einer strukturellen Verankerung der Tauchstation ist man in Bayern also noch weit entfernt.


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