„Zum BGH zu kommen, ist nicht planbar“: Die BGH-Präsidentin im Interview
Ein Beitrag aus dem azur Karrieremagazin 1/2015
Seit knapp einem Jahr ist Bettina Limperg Präsidentin des Bundesgerichtshofes (BGH). Mit azur sprach sie über den Berufsalltag, Ausbildung und Karrierewege bei Gericht und in Ministerien. Das Gespräch führten Christina Geimer und Ulrike Barth. Aus azur 1/2015.
azur: Frau Limperg, warum ist das Richteramt attraktiv?
Bettina Limperg: Für mich war und ist das Faszinierende am Richterberuf, dass der Richter unabhängig entscheidet. Er oder sie muss sich nicht an den Interessen eines Auftraggebers ausrichten. Es ist eine Grundfrage, die man sich als junge Juristin, als junger Jurist stellen muss: Neige ich dem Beruf des Anwalts oder Unternehmensjuristen zu, dessen Aufgabe vor allem darin besteht, den Standpunkt seiner Partei durchzusetzen? Oder möchte ich eher als Richter für einen Ausgleich gegensätzlicher Interessen sorgen?
Junge Juristen wünschen sich häufig eine gute Work-Life-Balance. Ist es nur ein Vorurteil, dass das Richteramt die familienfreundliche Alternative zur Kanzlei ist?
Bettina Limperg: „BGH-Richter zu werden, ist die Krönung einer juristischen Laufbahn.Viel weiter geht es nicht.“
Das ist eher eine Verklärung des Richterberufes. Richter müssen sehr viel arbeiten. Sie setzen durchaus an Wochenenden und am Abend freie Zeit ein, um mit ihrem Pensum zurechtzukommen. Die Justiz hat sich aber gerade in den vergangenen Jahren angestrengt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern. Ich denke, dass diese Bemühungen Wirkung zeigen. Wir hören von den Länderjustizen immer häufiger bei Einstellungen, dass Bewerber die Un-abhängigkeit, aber auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Amtes reizvoll finden. Sicherlich wird auch registriert, dass es Möglichkeiten der Teilzeit gibt. Solche Modelle sind in Kanzleien schwieriger zu organisieren.
Sie haben sicherlich keinen Teilzeitjob. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag konkret aus, wenn Sie im BGH sind?
Nein, einen Teilzeitjob habe ich nicht. Das Präsidentenamt ist vor allem durch die Vielfalt der Anforderungen geprägt. Ich bin Vorsitzende mehrerer Senate: des Anwaltssenates sowie des Kartellsenates. Das ist traditionell der Präsidentensenat. Ich bin Vorsitzende der Großen Senate für Strafsachen und Zivilsachen sowie der vereinigten Großen Senate und Mitglied des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe. Diese Aufgaben bestehen nicht nur in der Theorie, sondern sind mit konkret zu entscheidenden Fällen verbunden. Das alles ist für sich schon arbeitsintensiv. Dazu kommen die Leitung der Verwaltung des Hauses mit über 400 Mitarbeitern und repräsentative Aufgaben. Der Bundesgerichtshof pflegt zudem internationale Kontakte zu einer ganzen Reihe europäischer und außereuropäischer Länder. Es gibt ein Netzwerk der europäischen Gerichtspräsidenten, dem ich angehöre. Ferner stehe ich in regem Austausch mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, zu dessen Geschäftsbereich der Bundesgerichtshof gehört. -Außerdem bringt sich der Bundesgerichtshof auch in aktuelle Reformbestrebungen der Bundesregierung und des Bundestags ein. Es ist also immer genug zu tun.
Sie sind nun seit knapp neun Monaten Präsidentin des Bundesgerichtshofes, nachdem Sie zuvor Amtschefin des Justizministeriums in Baden-Württemberg waren. Pflegen Sie einen besonderen Führungsstil?
Es gibt verschiedene Wege erfolgreicher Führung. Für mich ist vor allem Kommunikation ein besonders erfolgversprechendes Moment. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Einbindung in die Entscheidungsfindung immer ein wichtiger Schritt ist. Vielfach bekommt man dadurch auch Anregungen für das weitere Vorgehen. Gelegentlich muss man Verständnis wecken für Verwaltungszwänge, die auch in der Justiz bestehen. Aus meiner Sicht ist der nachhaltigste Weg: erklären, kommunizieren, gemeinsam nach Lösungen suchen. Dann stoßen Entscheidungen in der Regel auch auf dauerhafte Akzeptanz.
Der BGH gilt als eine Welt der stillen Geistesarbeiter. Muss ein Richter trotzdem auch in der Öffentlichkeit stehen, um erfolgreich zu sein?
Ein Richter, der zum BGH kommt, ist in seinem Leben schon erfolgreich gewesen. Um am BGH Erfolg zu haben, muss man weder in der Öffentlichkeit stehen, noch ist das umgekehrt ein Ausschlussgrund. Es ist wichtig, dass BGH-Richter mittels Fortbildungen oder Vorträgen über die konkrete Fallentscheidung hinaus ihr Wissen weitergeben. Die Kollegen nehmen diese Möglichkeiten wahr, etwa im Rahmen der Richterakademie. Eine gewisse Arbeit für die Fachöffentlichkeit ist durchaus erwünscht und richtig. Da die Zuständigkeit der Strafsenate des BGH im Wesentlichen nach Gerichtsbezirken geordnet ist, stellen diese aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung auch oftmals direkt vor Ort bei Besuchen „ihrer“ Instanzgerichte vor.
Wenn Sie eine Qualifikationsliste für eine Karriere beim BGH schreiben müssten, was wären die wichtigsten Kompetenzen?
In erster Linie ist fachliche Befähigung und Leistung entscheidend. Damit meine ich überragende Kenntnisse des Zivilrechts oder des Strafrechts. Aber auch Leistungsbereitschaft und Effizienz sind erforderlich, ebenso die Befähigung zur vertieften Bearbeitung eines juristischen Themas. Dazu müssen eine hohe Sozialkompetenz, Kommunikationsfähigkeit und alle anderen sogenannten weichen Faktoren kommen, die auch sonst im (Berufs-)Leben eine wichtige Rolle spielen.
Kann man eine BGH-Karriere planen?
Nein, zum BGH zu kommen, ist nicht planbar, schon gar nicht innerhalb eines bestimmten Zeitfensters. Neben der persönlichen Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten spielen bei der Wahl der Bundesrichter auch weitere Aspekte eine Rolle. Zum Beispiel ist es ein berechtigtes Anliegen, dass beim Bundesgerichtshof Richterinnen und Richter aus allen Bundesländern vertreten sind.
Ist der BGH der Gipfel der Richterkarriere oder stehen hier noch weitere Optionen offen?
Das kommt immer auf den Einzelnen an. BGH-Richter zu werden, ist schon die Krönung einer juristischen Laufbahn. Viel weiter geht es nicht. Jedenfalls würde mir nicht viel mehr einfallen, das man noch anstreben könnte.
Die meisten Ihrer Kollegen beenden also ihre Karriere beim BGH?
Die überwiegende Zahl geht als Richter oder Vorsitzender Richter am BGH in den Ruhestand. Einzelne wechseln zu europäischen Gerichten und in ganz wenigen Fällen zum Bundesverfassungsgericht. Das sind aber letztlich ebenfalls Schritte, die niemand planen kann. Ich glaube, für die meisten Kolleginnen und Kollegen ist das hier ein wunderbares Amt.
Derzeit gibt es eine relativ starre Trennung von Richteramt und Wirtschaftsanwälten. Brächte ein durchlässigeres System Vorteile?
Die Wechsel sind auch ein zeitliches Problem: Bis man eine erfolgreiche Wirtschaftsanwältin, ein erfahrener Anwalt ist, ist man im Zweifel schon in einem Alter, in dem es nicht mehr leicht ist, in die Justiz zu wechseln. Umgekehrt gilt das Gleiche. Teilweise haben die Länder versucht, die Durchlässigkeit zu erhöhen, indem Altersgrenzen aufgelöst und auch die Mitnahme von Versorgungsanwartschaften erleichtert worden sind. Es gibt Richter, die selbst aus einem Bundesrichteramt wieder zurück in die freie Wirtschaft gehen, sei es als Anwälte oder als Unternehmensjuristen. Umgekehrt kommen Kollegen aus großen Wirtschaftskanzleien in die Justiz, meistens noch in relativ jungem Alter, nach vier, fünf Jahren Anwaltserfahrung. Das ist keine kleine Gruppe, die ihre Erfahrungen mit der Wirtschaftswelt gemacht hat und sich letztlich auf den Richter- oder Staatsanwaltsberuf besinnen möchte.
Auch der Wechsel in Ministerien ist möglich. Wie sehr unterscheidet sich die Arbeit?
Gravierend, weil Sie in einem Ministerium ganz andere Aufgaben und Hierarchien vorfinden. Sie arbeiten nicht mehr in richterlicher Unabhängigkeit. Dafür haben Sie andere Möglichkeiten. Sie können etwa Impulse in Richtung des Gesetzgebers geben oder arbeiten in justizpraktischen Bereichen, wie etwa dem Strafvollzug oder einem Justizprüfungsamt. Eine Zeitlang als Jurist in der Justizverwaltung zu arbeiten, eröffnet in jedem Fall einen neuen Blickwinkel. Erstens kann man dann leichter entscheiden, was man dauerhaft tun möchte. Zweitens nimmt man immer Kenntnisse aus dem früher bearbeiteten Bereich mit in ein neues Tätigkeitsfeld.
Wenn Sie sich aus Ihrer Berufserfahrung heraus etwas wünschen könnten, was sich in der Ausbildung – sei es im Studium oder im Referendariat – für Juristen ändern sollte, was wäre das?
Das ist schwer zu sagen. Die Überlegungen, mehr praktische Phasen in das Studium einzubauen, sind sicher nicht ganz falsch. Nach meiner Einschätzung fällt es vielen Studierenden schwer, zu verstehen, warum sie bestimmte Dinge im Studium lernen sollen. Wenn man nicht überblickt, wo die Anwendung am Ende spannend wird, fällt es einem auch schwerer, die Theorie des Stoffes wirklich zu erfassen. Von daher glaube ich, dass gewisse Praxisbezüge, wie sie heute im Studium schon mit angelegt sind, durchaus sinnvoll sind und vielleicht auch noch ausgebaut werden könnten. –
Bettina Limperg: Die Neue am BGH
■ Bettina Limperg (55) studierte Jura in Freiburg und Tübingen. Sie begann ihre Karriere 1989 als Staatsanwältin in Stuttgart. Nach einem Jahr wurde sie Richterin am Amtsgericht Stuttgart, um nach einem weiteren Jahr zum Landgericht zu wechseln.
■ 1994 machte sie Station als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht. 2001 wurde die gebürtige Wuppertalerin Richterin am Oberlandesgericht Stuttgart. Nach drei Jahren ging sie als Direktorin zum Amtsgericht Waiblingen, um 2009 zur Vizepräsidentin des Landgerichts Stuttgart aufzusteigen.
■ Von 2011 bis 2014 wechselte sie als Amtschefin des Justizministeriums Baden-Würtemberg in die Verwaltung. Seit 1. Juli 2014 ist sie Präsidentin des Bundesgerichtshofes.