Win-win, wenn’s läuft: Juristen-Karriere und Digitalisierung
Kann Legal Tech die Zukunftsfragen einer ganzen Anwaltsgeneration beantworten? Manche Legal-Tech-Unternehmen, die sich auf die Vermittlung von Anwälten spezialisiert haben, werben damit, dass sie Juristen eine aktive Steuerung der eigenen Karriere ermöglichen.
Überzeungsarbeit müssen die Anbieter dafür kaum leisten: viele erfahrene Associates erleben den Spagat zwischen Vollzeitarbeit und Familie als unlösbaren Konflikt. Auch Digitorney („The Digital Attorney“), erst im Juni an den Start gegangen, will hochqualifizierten Juristen den Ausstieg aus der Tretmühle Großkanzlei schmackhaft machen.
Gründer Dr. Rüdiger Theiselmann (39) war nach langjähriger Tätigkeit für die Commerzbank als Vorstandsassistent und im Bereich Corporate Finance zwei Jahre lang Executive Partner in der insolvenzrechtlich spezialisierten Kanzlei Wellensiek. Er hat Lehraufträge an der EBS Law School in Wiesbaden sowie im Masterstudiengang Wirtschaftsrecht an der Universität Köln.
Kern seines Unternehmens ist die mandatsbezogene Vermittlung von Anwälten an Kanzleien. Digitorney versteht sich außerdem als Rundum-Dienstleister: Poolanwälte und ihre Aufttraggeber kommunizieren über eine sichere Plattform und können auf juristische Datenbanken zugreifen. Abgeklärt werden auch Interessenkonflikte, Versicherungsfragen und Haftungsbegrenzungen. So soll die Online-Kollaboration einen Mehrwert bieten – auch für die Karriere. Ob sich die mosaikartige Tätigkeit am Ende rechnet, muss dann jeder Poolanwalt selbst entscheiden. (Markus Lembeck)
azur-online: Sie werben um hochqualifizierte Anwälte, die eigentlich die nächste Partnergeneration der großen, internationalen Kanzleien stellen müsste. Warum sollten sich diese Anwälte für eine digitale Plattform entscheiden?
Theiselmann: Ich kenne viele Beispiele von Anwälten in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren, die in Top-Kanzleien in Top-Mandaten arbeiten, aber schon wissen, dass sie nicht Partner werden – einerseits, weil die Partnerränge mehr oder weniger versiegelt sind, andererseits, weil sie selbst nicht Partner werden wollen. Viele Anwältinnen und Anwälte, die eine Familie gegründet haben und sich neben dem Beruf um Kinder kümmern, wissen ganz genau, was sie beim Schritt vom Senior Associate zum Partnerstatus erwartet: Unter Hochdruck und lange arbeiten. Im Kanzleialltag wird man Vollzeit gebraucht, erst recht als Partner – Teilzeit zu arbeiten, konkret: am frühen Nachmittag für die Kinder oder das Privatleben zuhause zu sein und sich frei die Arbeit einzuteilen, ist Utopie im Kanzleialltag.
Es gab in den vergangenen Jahren zahlreiche Neugründungen von Kanzleien, in denen die Gründer genau aus dieser Altersgruppe kommen. Die Idee dieser Spin-offs geht in eine ähnliche Richtung.
Theiselmann: Der Kanzleimarkt hat immer noch äußerst starre Strukturen. Dabei verlieren die Kanzleien häufig gute Anwälte, die in den öffentlichen Dienst oder in Rechtsabteilungen wechseln. Ob man dort immer einen Einklang zwischen Beruf und Familie hinbekommt, ist eine gute, nicht einfach zu beantwortende Frage. Doch nirgendwo ist der Interessenkonflikt zwischen Beruf und Familie so groß wie in den klassischen Großkanzleien. Wenn jetzt einige Sozietäten wieder die Einstiegsgehälter erhöhen, erscheint mir das fast schon kontraproduktiv. Ich habe nämlich aus vielen Gesprächen auch im Rahmen meiner Lehraufträge seit Jahren den Eindruck, dass viele gute Juristen unter 30 Jahren weniger das Geld oder Aufstiegschancen, sondern vielmehr die Arbeitsumgebung interessiert. Und damit sind weniger rein materielle Dinge gemeint, sondern der Job muss cool sein.
Was heißt das konkret?
Theiselmann: Ich höre, dass es auf den richtigen Mix aus einer attraktiven Marke, einem überwiegend digitalbasierten Arbeitsumfeld, spannenden Mandanten beziehungsweise Themen und in der Folge dann auch attraktiven Vergütung ankommt. Kurzum: man will sich mit seinem Job blicken lassen können und er muss einen weiterbringen.
Bringt denn die Selbstständigkeit nicht Abstriche mit sich – am Verdienst und an der Qualität der Mandate?
Theiselmann: Die Prädikatsabsolventen können es sich aussuchen, wo sie am liebsten arbeiten. Digitale Tools ermöglichen eine sehr effiziente und flexible Arbeit. Das ist unsere Rolle. Wir wollen mit unserer Plattform tatsächlich eine Art Einzelpersonen-Spin-off ermöglichen. Aber wir stehen im Gegensatz zu typischen Anwaltsvermittlern gerade nicht in Konkurrenz zu Großkanzleien. Denn Digitorney arbeitet nie für Rechtsabteilungen und bietet Großkanzleien zudem beispielsweise die Möglichkeit, Belastungsspitzen aufzufangen und sich projektbezogen mit guten, erfahrenen Juristen zu verstärken.
Aber unter Karrieregesichtspunkten ist es eine Konkurrenz?
Theiselmann: Die Festanstellung in einer Kanzlei hat ihre Berechtigung – genauso, wie die Selbstständigkeit. Ich kenne viele Anwälte mit etwa 10 bis 15 Jahren Berufserfahrung, die ihr Leben freier gestalten und die Arbeit nach Bedarf einteilen möchten. Und die sich vielfach in erster Linie über fachliche Exzellenz definieren und nicht über den Status in einer Kanzlei. Je länger sie dort arbeiten, desto realistischer ist ihr Blick auf die Partner-Position: mehr Akquise, mehr Arbeit, weniger Zeit – das Gegenteil von Flexibilität. Natürlich wird die Festanstellung bzw. der Partnertrack auch weiterhin ein Berufsweg bleiben, aber eben nicht für alle. Mit Digitorney haben wir eine komplementäre Alternative geschaffen.
Interview: Markus Lembeck