Stressfrei durchs Examen
Kein Abschluss – und das nach sechs bis acht Jahren Studium. Das droht Jurastudierenden, die im Examen durchfallen. Der Druck könnte nicht höher sein, denn wenige Prüfungstage entscheiden alles. Doch wer sich mental gut auf den Prüfungsstress vorbereitet, der wappnet sich nicht nur für die Examina.
„Heulkrämpfe, Panikattacken, Alkoholismus, Medikamentensucht, all das ist unter Jurastudierenden leider völlig normal“, berichtet Laura (Name von der Redaktion geändert). Die 30-Jährige steckt gerade mitten in der Vorbereitung für das Zweite Staatsexamen. „Erst vor ein paar Tagen bin ich selbst morgens wieder unter Tränen aufgewacht.“ Sie ist dabei kein Einzelfall. Situationen wie diese erleben viele Jurastudierende.
Der Fehler liegt im System
Doch woher kommt dieses Leid? Immer wieder wird Kritik laut, dass das juristische Studium und der Vorbereitungsdienst mit seinen zwei Staatsexamina veraltet ist und grundlegende Reformen nötig seien. Die AbsolventInnen-Befragung der Bundesfachschaft Jura aus dem Jahr 2022 untermauert dies: Nur jeder Dritte empfiehlt das Studium weiter. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber vor allem der psychische Druck ist für viele Jurastudierende ein zentraler Schmerzpunkt. Teilnehmende der Umfrage bezeichnen das Studium als „extrem fordernd und psychisch zu sehr belastend“ und kritisieren: „viel zu viel Prüfungsstoff und ein überaltetes Notensystem“. Ein Teilnehmer aus München stellt fest: „Alle Kommilitonen inklusive mir hatten während der Examensvorbereitung mehrere Panik- und Heulattacken sowie mentale Zusammenbrüche.“ Dass die Betroffenen solche Belastungssituationen nicht unbeschadet überstehen, ist nicht überraschend. Eine weitere Stimme aus der Befragung macht den Leidensdruck deutlich: „Auch ein Jahr nach dem Juraabschluss bekomme ich Tränen in die Augen, wenn ich an diese stressige Zeit denke.“

Einige Universitäten ermöglichen inzwischen einen Zwischenabschluss, sodass Studierende ‚wenigstens‘ einen Bachelor-Abschluss erlangen und nicht mit vollkommen leeren Händen am Ende der langen Studienzeit dastehen. Doch wer das Ziel Volljurist anvisiert, der muss durch beide Examina und diese eigentlich auch mit Prädikat bestehen, um bei einer renommierten Kanzlei oder im Staatsdienst eine Chance auf einen Job zu haben. „In den Prüfungen ist die extreme Nervosität zu spüren. Kein Wunder, es hängt so viel an den Ergebnissen dran“, sagt Christian Ertel. Der 33-Jährige ist Senior Associate bei GvW Graf von Westphalen in Hamburg. Sein Examen hat er 2020 abgelegt, heute prüft er selbst im ersten Examen. „Die Prüfungskommission besteht oft aus ‚alten, weißen Männern‘. Da kann ich wenigstens den Altersdurchschnitt etwas nach unten ziehen“, sagt Ertel zur Begründung für sein frühes Engagement als Prüfer. Für ihn war zudem klar: „Als Jurist möchte ich auch etwas zurückgeben, deswegen bringe ich mich in der Ausbildung ein.“ Auch in seiner Kanzlei betreut er angehende Juristinnen und Juristen bei der Vorbereitung auf das Examen.
Wie viele Kanzleien bietet GvW Kurse für ihre Referendarinnen und Referendare an, ein wichtiger Bestandteil davon ist das mentale Training. Ertel übt mit den Studierenden Aktenvorträge, gibt Tipps aus seiner eigenen Erfahrung im Examen und aus Sicht des Prüfenden. „Es kann helfen, den Vortrag in einem unangenehmen Umfeld zu üben, zum Beispiel vor dem Chef oder in der Öffentlichkeit“, so Ertel. Aber auch Atemübungen bei Panikattacken empfiehlt er als Vorbereitung.
Mentale Stärke aufbauen
„Der Prüfungsdruck ist so hoch, es darf das Normalste der Welt sein, sich Hilfe zu holen, um damit richtig umgehen zu können“, ist Mireen Lintl überzeugt. Die 33-jährige Volljuristin hat nach ihrem zweiten Examen, das sie im Jahr 2020 abgelegt hat, eine Entscheidung getroffen: Anwältin wird sie erstmal nicht. „Schon früh im Studium hat mich die Begeisterung für das Lernen selbst gepackt. Wie lerne ich so viel Stoff richtig?“ Durch verschiedene Podcasts, Literatur und Coachings hat sie sich intensiv mit der Lernpsychologie befasst. Das hat ihr bereits dabei geholfen, das eigene Studium und Referendariat zu bewältigen. Nach einer einjährigen Coaching-Ausbildung hat sie dann den Schritt in die volle Selbstständigkeit gewagt. Heute bietet sie mit JuraMind Kurse zur mentalen Vorbereitung auf die Prüfungssituationen für angehende Juristinnen und Juristen an.

Das Onlineangebot setzt früh an: So können bereits Studierende auf für sie passende Kurse zurückgreifen. Zwei weitere Kurseinheiten bereiten dann gezielt auf das erste oder das zweite Examen vor. „Lernstrategie und mentale Stärke werden in der klassischen Juraausbildung vernachlässigt“, sagt Lintl. „Dabei ist das neben dem fachlichen Lerninhalt mindestens genauso wichtig, um erfolgreich und gesund die Examina abzulegen.“
Nach dem Studium ist nicht Schluss
Das Ernüchternde ist: Nach dem erfolgreichen Examen endet der mentale Druck meistens nicht. Die typische Juristenkarriere bringt auch danach viele Herausforderungen mit sich. Gerade in Wirtschaftskanzleien aber auch im Staatsdienst ist die Arbeitsbelastung enorm hoch, das Betriebsklima ist nicht immer von Rücksicht oder Kollegialität geprägt. Wer sich also früh mit mentaler Gesundheit befasst und Techniken zur Resilienz erlernt, ist auch für das spätere Berufsleben besser gewappnet. Zwar bieten immer mehr Kanzleien Trainings für ihre angestellten Anwältinnen und Anwälte an. Sie veranstalten beispielsweise Aktionswochen, um die Aufmerksamkeit auf das Thema Mental Health und Burn-out zu lenken. Doch auch in der aktuellen azur-Associate-Umfrage wird deutlich, dass am Ende oft keine Zeit für die Angebote da ist. Ein Associate in einer großen deutschen Kanzlei erwartet „echte Angebote, die auch wahrgenommen werden können und nicht im Arbeitsstress untergehen“. Verbesserungspotenzial sehen viele Associates, die an der Umfrage teilgenommen haben, auch bei den Führungskräften, ihnen fehle oftmals noch die Sensibilität für das Thema. „Partnerinnen und Partner müssten geschult werden, Anzeichen einer Depression, eines Burn-outs oder einer inneren Kündigung zu erkennen und engagierter einschreiten. Mentale Gesundheit ist noch immer ein absolutes Tabuthema”, berichtet ein Associate einer anderen deutschen Großkanzlei in der azur-Associate-Umfrage.
Dem Trauma trotzen
Für Laura ist es bereits der zweite Versuch im zweiten juristischen Staatsexamen. Beim ersten Mal hat sie nur knapp den Durchschnitt zum Bestehen nicht erreicht. Und das, obwohl sie in den praktischen Stationen durchgehend Top-Noten hatte. „Das ist ein Schlag ins Gesicht. Denn unterm Strich bedeutet ein nicht bestandenes Examen, dass ich nicht für den juristischen Beruf qualifiziert bin“, so Laura. Doch für sie ist inzwischen klar: Auch wenn sie am Ende das Examen nicht bestehen sollte, hat sie für sich tolle Jobmöglichkeiten ausgemacht, für die nicht beide Examina notwendig sind. Ein LL.M.-Abschluss, den sie zwischen erstem und zweitem Examen absolviert hat, gibt ihr zusätzliche Sicherheit für einen alternativen Weg. „Viele denken, dass sie ohne erstes Examen nichts im juristischen Leben erreichen könnten. Umso wichtiger ist es, in sich hineinzuhorchen, auch Alternativen wie etwa einen LL.B. in Betracht zu ziehen und nicht nur auf andere zu hören“, ist Laura überzeugt. Das mindert den enormen mentalen Druck in dieser einen Prüfung, die so viel entscheiden kann.