Schwangerschaft als Dealbreaker

Diskriminierungen gehören auch in der Kanzleiwelt zum Arbeitsalltag. Wer offensiv mit dem Thema Familienplanung umgeht, kann schnell aufs Abstellgleis geraten: Eine junge Anwältin berichtet von ihrer Erfahrung während eines Bewerbungsprozesses.

Das Referendariat neigt sich langsam dem Ende entgegen. Nur noch ein letztes Mal büffeln für die anstehende mündliche Prüfung. Und dann liegt auch noch ein Angebot von der Hamburger Großkanzlei vor, bei der sie bereits die Anwaltsstation absolviert hat. Das wäre ihr Traumjob. Für die junge Referendarin, die mit der azur-Redaktion gesprochen hat und aus Sorge vor negativen Folgen unerkannt bleiben möchte, war diese Ausgangslage der Jackpot, der erfolgreiche Start ins Berufsleben schien gesichert. Doch am Ende kam alles anders. Zwar gab es kein schriftliches Angebot, doch der E-Mail-Verkehr, der der azur-Redaktion vorliegt, ist eindeutig. Von vorne: Unmittelbar vor ihrem Zweiten Staatsexamen forderte die angehende Anwältin bei ihrem damaligen Vorgesetzen, einem Partner im maritimen Wirtschaftsrecht, ihr Stationszeugnis an. Zu diesem Zeitpunkt antwortete er:

„Bei uns besteht voraussichtlich in Kürze Verstärkungsbedarf. Es würde mich freuen, wenn wir uns bei Gelegenheit zum Lunch treffen könnten und Sie mich über Ihre Pläne updaten.“  

Nur wenige Zeit später kam es zu einem Treffen mit zwei Partnern der Großkanzlei. Sie berichtet, dass ihr bereits während des Mittagessens ihr Traumjob angeboten wurde, ab dem 1. Juli 2019 sollte es losgehen.  Es seien auch schon Einzelheiten besprochen worden, etwa, dass sie ihren gebuchten Sommerurlaub nehmen könne. Zudem versicherten sie ihr, dass die Gesamtnote des zweiten Examens nach der bevorstehenden mündlichen Prüfung keine Rolle spiele.

Auch privat lief es rund. Die junge Frau hatte gerade geheiratet. Kurz darauf stellte sie fest, dass sie schwanger ist. Eine freudige Nachricht. Doch was bedeutet das für den anstehenden Berufseinstieg? Die Juristin entschied sich damals, vor mehr als fünf Jahren, ihrem künftigen Arbeitgeber gegenüber die Karten auf den Tisch zu legen. Obwohl sie rechtlich nicht verpflichtet war, im Bewerbungsprozess ihre Schwangerschaft offenzulegen, schien ihr dies der einzig kollegiale Weg.

Als das Treffen mit den Partnern stattfand, wusste die damalige Berufseinsteigerin schon von der Schwangerschaft. Deshalb bat sie um zwei Wochen Bedenkzeit.  Zuhause war alles schnell besprochen: Sie plante die ersten sechs Monate der nach Geburt in Elternzeit zu gehen, ihr Mann anschließend weitere sechs Monate.  Schließlich informierte sie den Partner und ehemaligen Vorgesetzten telefonisch über ihre Schwangerschaft und betonte, dass sie nichtsdestotrotz großes Interesse an der angebotenen Stelle habe. Daraufhin erklärte er, sich nach Absprache mit der Personalabteilung innerhalb von zwei Wochen erneut zu melden. Doch dann passierte: nichts. Nach weiteren zwei Wochen schrieb sie eine Mail, um sich nach einer Rückmeldung zu erkundigen:

„Können Sie mir bereits mitteilen, wie Sie sich intern hinsichtlich der Stellenbesetzung entschieden haben bzw. ob Sie hierzu noch beraten?  Da meine mündliche Prüfung in weniger als drei Wochen ansteht, müsste ich mich alternativ zeitig um eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bemühen.“

Wieder keine Antwort. „Ich nehme an, dass man damals vermeiden wollte, mir eine klare Absage erteilen zu müssen, und hoffte, die Angelegenheit könne stillschweigend ausgesessen werden“, vermutet die heutige Zweifachmutter. Als sie ihn irgendwann erreichte, teilte er ihr lediglich kurz angebunden mit, dass die Stelle inzwischen anderweitig besetzt worden sei. „Damals war das für mich irgendwie okay, ich konnte das auch wirtschaftlich nachvollziehen“, sagt sie. Obwohl ihr auch zu jener Zeit klar war, dass das Vorgehen moralisch nicht in Ordnung war. Dennoch entschied sie sich, nicht gegen die Großkanzlei vorzugehen. Insgeheim hoffte sie sogar, in Kontakt zu bleiben und ihre Traumstelle vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt antreten zu können.  

Diskriminierung von berufstätigen Müttern

Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind Diskriminierungen von Schwangeren im Arbeitsalltag häufig. Die Ungleichbehandlungen erstrecken sich vom Bewerbungsprozess bis hin zur Rückkehr nach der Elternzeit. Seien es abwertende Kommentare von Vorgesetzten oder gar die Kündigung nach Ablauf der  Elternzeit. Während der Schwangerschaft eine neue Anstellung zu finden, ist alles andere als einfach. Mütter haben mit Vorurteilen zu kämpfen, dass sie wenig flexibel, wenig produktiv und wenig belastbar seien. Statt ihnen Verständnis bei kranken Kindern entgegenzubringen, verdrehen Kollegen vielmehr die Augen gegenüber berufstätigen Müttern. Deren Karrierechancen sinken in dieser Lebensphase deutlich.

Auch die Kanzleiwelt bildet dahingehend keine Ausnahme. Zahlreiche Teilnehmerinnen der diesjährigen azur-Associate-Umfrage berichten von einem „Umgang mit Müttern wie in den 80ern“, „Diskriminierung als ‚Teilzeitmuttis‘“ oder einem „Karriereknick durch Elternzeiten“. Anwältinnen zu finden, die offen über ihre persönlichen Erfahrungen sprechen, gestaltet sich schwierig, viele scheuen sich, das Thema anzusprechen.  Das verdeutlicht einmal mehr, wie relevant das Problem auch heute noch immer ist.

Einige Kanzleien promoten inzwischen ganz offensiv das Thema Familienplanung und Karriere. So möchte etwa die Kanzlei Noerr gegen die strukturelle Benachteiligung von Müttern und auch Vätern angehen.  Bislang liegt ihre Frauenquote in der Vollpartnerschaft  etwa bei 15 Prozent, obwohl der Frauenanteil insgesamt rund 35 Prozent beträgt. Um primär mehr Frauen in die Equity-Partnerschaft zu befördern, entwickelte sie zum Jahresbeginn den Noerr-Family-Track.  

Mehr Gleichstellung: Tibor Fedke ist Co-HR-Partner bei Noerr, im Team entwickelte er den neuen Family-Track mit. Foto: www.steffen-jaenicke.de

Sowohl Frauen als auch Männer erhalten die Fortzahlung von 50 Prozent des Gehalts während einer Elternzeit von sechs Monaten. „Das Programm ist definitiv zweckgebunden und begünstigt nur Elternteile, die größtenteils die Sorgearbeit übernehmen“, betont Dr. Tibor Fedke, der Co-HR-Partner der Kanzlei. „Wir wollen keine Weltreise finanzieren, wie andere Wettbewerber.“ Daher prüft Noerr eingehend, ob der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich Vollzeit die Kinderbetreuung verantwortet. Elternteile, die ihrem Partner oder ihrer Partnerin lediglich unter die Arme greifen, haben keinen Anspruch auf den Family-Track. Der stufenweise Wiedereinstieg wird zunächst durch eine subventionierte Teilzeit von bis zu sechs Monaten gewährleistet. Das heißt ohne unternehmerischen Druck und mit unbegrenzter Möglichkeit zum Homeoffice. Dieses Angebot richtet sich an alle angestellten Berufsträger.  Aktuell nutzen etwa zehn Mitarbeitende die Vorteile des Family-Tracks, darunter sind die Hälfte Frauen.  

Durch die Elternzeit verlängert sich – wie zuvor auch – der Partnertrack oder der Karriereweg nicht. Die Kanzlei erhofft sich zudem, dass Kolleginnen und Kollegen durch Veranstaltungen oder Fortbildungen auch während der Elternzeit in Kontakt bleiben. „Selbstverständlich beruht die Teilnahme an diversen Events auf freiwilliger Basis“, stellt Fedke klar.

Der Wendepunkt

Die Anwältin, die damals wegen ihrer Schwangerschaft diskriminiert wurde, arbeitet heute bei einer deutlich kleineren Kanzlei in Hamburg. Ihre zweite Schwangerschaft zeigte ihr, dass es auch anders geht. „Meine Kolleginnen und Kollegen haben sich mit mir gefreut“, erzählt sie. Heute erfährt sie durchweg Lob und Anerkennung für die Arbeit und ihre Doppelbelastung.  Diese Tatsache bewegte sie unter anderem dazu, ihre negativen Erfahrungen noch einmal hervorzuholen.  Rückblickend ärgert sie sich, diese Ungerechtigkeit auf sich sitzen gelassen zu haben. Selbst Jahre später beschäftigte sie, wie die Verantwortlichen damals mit ihrer Situation umgegangen sind. Also entschloss sie sich im vergangenen Oktober, ein umfassendes Schreiben an den aktuellen Managing-Partner sowie den involvierten Partner der besagten Großkanzlei zu richten.  Darin schilderte sie die Vorkommnisse und erhoffte sich zumindest eine Entschuldigung.

„Ich wünsche mir nach wie vor eine offizielle Stellungnahme, Entschuldigung und Wiedergutmachung sowie im besten Fall eine verstärkte Kommunikation der Thematik auf Partnerschafts- sowie auf Personalmanagementebene.“

Doch Fehlanzeige, von Einsicht keine Spur. In der Antwort hieß es dann, dass ihr keine Stelle angeboten worden sei. Ebenso bestritt die Kanzlei, dass damals überhaupt ein Platz im Team zu vergeben war. Das allerdings widerspricht der früheren Aussage, die Stelle sei anderweitig besetzt worden.  

„Ihre Schilderungen habe ich zum Anlass genommen, dem persönlich nachzugehen.  Ihre Darstellung der Geschehnisse jedoch kann ich nach den mir nunmehr vorliegenden Informationen objektiv nicht in vollem Umfang bestätigen.“

„Diese offensichtlichen Unwahrheiten waren für mich dann wie ein zweiter Schlag ins Gesicht“, erzählt die Juristin. Zwar berichtet sie, dass es Anfang dieses Jahres noch zu einem persönlichen Treffen mit dem Managing-Partner kam, doch die erhoffte Entschuldigung  blieb aus. Nach der erneuten Enttäuschung war sie bereit, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. „Es sollte seitens der Arbeitgeber klar signalisiert werden, dass eventuelle Auszeiten aufgrund einer Schwangerschaft oder Elternschaft überbrückt werden können“, findet sie. „Es ist rechtlich, moralisch und gesellschaftlich problematisch, wenn wie in meinem Fall Familienplanung und Kinder zum Dealbreaker werden“.  

Role Models ermutigen

Positivbeispiele von Anwältinnen, die ihre Karriere auch mit Kindern erfolgreich meistern, geben Hoffnung. Doch dafür braucht es immer noch mehr Vorbilder, wie zum Beispiel Dr. Carola Rathke. Die Partnerin arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren im Finanzaufsichtsrecht. Rathke entschied sich früh dazu, Mutter zu werden, in ihrem zweiten Berufsjahr. Als sie 2008 in München bei Eversheds Sutherland in die Partnerschaft befördert wurde, hatte sie schon drei Kinder zur Welt gebracht und war mit dem vierten schwanger. „Als ich anfing, haben das wenige Frauen so gemacht“, erinnert sie sich. Damals arbeitete die Anwältin zwar mit reduzierter Stundenzahl, kam aber trotzdem täglich ins Büro, um visibel zu bleiben. Früh stellte sie fest, dass sie vielleicht anders arbeitete als ihre männlichen Kollegen, aber mindestens genauso viel. So kümmerte sie sich meist am Nachmittag um ihre Kinder und setzte sich abends noch einmal an den Schreibtisch.  

Positivbeispiel: Die Co-Managing-Partnerin von Ypog, Carola Rathke, stellte ihre Familienplanung nicht hinter die Karriere zurück – mit Erfolg. Foto: Ypog

Ihr persönlicher Schlüssel für eine Vereinbarkeit von Familie und einer Kanzleikarriere mit Mandatsverantwortung ist die Flexibilität. „Das funktioniert natürlich nur, wenn man in dringenden Fällen auch außerhalb der abgestimmten Arbeitszeiten verfügbar ist“, sagt die heute 54-Jährige.  

In den darauffolgenden Jahren kletterte Rathke die Karriereleiter immer weiter nach oben. 2011 eröffnete sie für Eversheds das Hamburger Büro. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre vier Töchter alle noch sehr jung. Bei aller persönlich investierten Energie, berichtet Rathke mit Blick auf ihren eigenen Weg, brauche es Förderer, die sich in entscheidenden Momenten vor einen stellen. Auch sie kam in ihrer Karriere nicht um negative Erfahrungen herum. „Den einen oder anderen blöden Spruch wird es immer geben“, erklärt sie. Das nahm sie in Kauf, weil sie aufzeigen wollte, dass Männer und Frauen gleichermaßen erfolgreiche Anwälte beziehungsweise Anwältinnen werden können. Der Wunsch nach einem gesellschaftlichen Wandel trieb sie an. „Ich möchte, dass es meine Töchter einfacher haben“, sagt Rathke.

Nachdem Rathke 2020 ins deutsche Management der internationalen Großkanzlei rückte, wechselte sie 2022 schließlich zu Ypog. Dort gibt es neben ihr nur zwei weitere Partnerinnen in der Vollpartnerschaft.  Müttern in der Kanzleiwelt rät sie, mutig zu sein und ihren Weg zu gehen. Es sei wichtig, offen die Bedürfnisse anzusprechen und gemeinsam im Team flexible Lösungen zu finden. „Ein Netzwerk aus berufstätigen Müttern, die in derselben Haut stecken wie man selbst, ist ebenfalls ein wichtiger Airbag“, sagt sie.  

Für mehr Transparenz sorgen

Ob die Anwältin aus Hamburg, die sich mit ihrer Geschichte an die azur-Redaktion gewandt hat, in der gleichen Situation heute wieder so transparent mit ihrer Schwangerschaft umgehen würde, weiß sie nicht.  Sie müsste jedenfalls lange darüber nachdenken. „Ich kann jede Frau verstehen, die sich entscheidet, dies nicht zu tun“, gesteht sie. Man müsse letztlich abwägen, ob man sich beim künftigen Kollegium direkt unbeliebt mache oder eine Zusage gar ganz ausbliebe.  Negativbeispiele wie dieses kursieren immer wieder unter Juristinnen. Das führt zwangsläufig dazu, dass Frauen nicht offen mit ihrer Schwangerschaft umgehen und gemeinsam mit ihrem künftigen Arbeitgeber die Zusammenarbeit planen können. Damit ist aber auch die Chance auf eine positive Gestaltung vertan. Nach ihren negativen Erfahrungen würde sie in dieser Kanzlei sowieso nicht mehr arbeiten wollen – Traumstelle hin oder her.  


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