Schöne Probleme: Sowohl Bewerber als auch Arbeitgeber finden Einstiegsgehälter zu hoch
Welche Priorität hat das Einstiegsgehalt bei Bewerbern? Wie groß ist die Spanne für Juristen mit der gleichen Qualifikation? Und wie verhält sich das zum Gehaltsniveau in Rechtsabteilungen? azur hat Antworten.
Für die Mehrzahl der Jurastudierenden und Referendare ist das Gehaltsniveau der großen Wirtschaftskanzleien ein Kuriosum, müssen sie sich doch neben allen anderen Stressfaktoren mit exorbitanten Wohnungsmieten, Kursgebühren fürs Repetitorium und insgesamt hohen Lebenshaltungskosten herumschlagen. So sieht es vor den Examina aus. Der Großteil von ihnen, so die nüchterne Aussage der Absolventen-Statistik, wird trotz aller Plackerei kein Prädikatsexamen schaffen und darf sich allein schon deshalb nicht mit der diffizilen Frage auseinandersetzen: Reicht mir ein Jahresgehalt von 120.000 Euro? Stehen mir nicht eigentlich 180.000 Euro zu? Und wo gibt es einen Bonus, der mich vielleicht sogar über die 200.000-Euro-Latte springen lässt? Im ersten Jahr der Berufstätigkeit, wohlgemerkt.
Bewerber mit eindeutigen Präferenzen
Seit vielen Jahren fragt azur in der Bewerberumfrage nach den Präferenzen bei der Arbeitgeberwahl. Die Bewerberinnen und Bewerber dürfen nur ein Thema als „das entscheidende bei der Arbeitgeberwahl“ ankreuzen. Spoiler: Das Gehalt ist es nicht. Es liegt mit weitem Abstand auf Platz 4. In einer neun Jahre (2016 bis 2024) umfassenden Betrachtung fanden nur durchschnittlich 12 Prozent der Befragten den finanziellen Aspekt ausschlaggebend. (Der 2024er-Wert betrug 14 Prozent.) Die große Mehrheit setzt demnach vor allem auf andere Nettigkeiten – ein gutes Betriebsklima ist Priorität Nummer eins (30 Prozent) gefolgt von der Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit/Familie (27 Prozent). Die Aufstiegschancen beim zukünftigen Arbeitgeber bewerten 15 Prozent der Umfrageteilnehmer als entscheidendes Kriterium auf Platz 3.
Ab welcher Euro-Schwelle die Bewerber ein Angebot als gut oder unangemessen betrachten, hat sich über die Jahre natürlich verschoben. Um die Stimmung zu messen, gibt der azur-Fragebogen folgende Aussage vor: „Bei einem Gehalt von unter 120.000 Euro fange ich gar nicht erst an.“ Dem stimmten im letzten Durchgang 2024 lediglich 21,6 Prozent der Befragten zu, „voll und ganz“ sogar nur 6,3 Prozent. Der große Rest ist auch mit weniger zufrieden.
Erwartungshaltung niedriger
Das erwartete Einstiegsgehalt per annum gaben dieselben Bewerber nämlich mit durchschnittlich 96.000 Euro an – gut halb so viel wie das in Deutschland höchste Gehalt von 180.000 Euro, das die US-Kanzleien Milbank und Skadden Arps Slate Meagher & Flom zahlen. Das heißt wohl: Das Gehälterwettrennen hat auch in den Köpfen der Bewerber Spuren hinterlassen. 2018 wollte ein Bewerber laut azur-Umfrage durchschnittlich 74.000 Euro im ersten Jahr erzielen. 2021 waren es schon 84.000 Euro. Die Erwartungshaltung steigt – und bewahrt doch den mentalen Abstand zu den tatsächlich gezahlten Spitzengehältern.
Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen dem Gehälterwettkampf der großen Kanzleien und dem Idealbild der Bewerber? Denn beide Gruppen handeln ja offensichtlich gegen ihren eigenen Willen. Die Bewerber sind von ganz anderen Kriterien eingenommen als vom Geld. Und die Kanzleimanager auf der ‚Gegenseite‘ sind eigentlich davon überzeugt, dass sie zu viel zahlen – „weil es den jungen Leuten nicht gut tut“, doch das klingt eher scheinheilig. Viel eher, weil die hohen Gehaltssummen die Profitabilität einer Kanzlei beeinträchtigen.
Auch deshalb versuchen Kanzleien, andere Leistungsanreize zu setzen und propagieren Bonuszahlungen als Bestandteil der Vergütung. Ein maximales Grundgehalt plus ein maximaler Bonus können so die individuell gezahlte Jahressumme auf über 200.000 Euro erhöhen. Doch es gibt hohe Hürden, wie Kommentare von Associates in der azur-Umfrage zeigen. Der Verdacht: Das Bonusangebot ist nur ein Druckmittel. „Die Festvergütung ist nicht marktgerecht und die Voraussetzungen zur Erreichung des Bonus sind vergleichbar mit denen großer Transaktionskanzleien. Insgesamt passen Vergütung, Arbeitszeit und Eigenwahrnehmung nicht zusammen“, so eine Stimme. Ein anderer schreibt: „Die Gehaltsstruktur für Associates ist an Intransparenz nicht zu überbieten. Man hat das Gefühl, dass Gehaltsstrukturen nur dafür erdacht werden, um möglichst hohe Maximalgehälter zu kommunizieren. Dass diese Maximalgehälter wohl niemand erreicht, oder wie man sie erreicht, wird verschwiegen.“
Bonus und Zufriedenheit
Dass viele Kanzleien an der Stellschraube Bonus drehen, ist allerdings nicht nur wegen ihres Profitabilitätsdrucks verständlich. Denn über die Jahre hat sich gezeigt, dass die Zufriedenheit der Associates mit ihrem Gehalt extrem stabil ist. Mit anderen Worten: Die Erhöhungsrunden, die sich alle Jahre wieder im Markt abgespielt haben, bringen die Gehaltszufriedenheit kaum nach oben. Jeder Gehaltsaufschlag hat zwar einen kurzfristigen Effekt, wie die Ergebnisse der azur-Associate-Umfrage belegen. Doch schon ein Jahr später ist die Freude passé – man will nicht undankbar erscheinen, aber in Kanzlei XY bekommen die Leute ein höheres Gehalt. Da könnte sich der jährlich neue Bonusanreiz vielleicht stärker auf die kurzfristige Motivation auswirken. Ob er aber eine längerfristige Bindung der Associates an ihre Kanzleien fördert, steht auf einem anderen Blatt.
Honorare sind ausschlaggebend
Es ist ja so: Einige Jahre dauert es schon, bis Junganwältinnen und -anwälte ihre Kosten mit Mandantenhonoraren wieder einspielen oder, noch besser, einen Gewinn erwirtschaften. Laut einer JUVE-Umfrage rechnen Kanzleien für Associates rund 300 Euro pro Stunde ab. Dieser Durchschnitt umfasst alle möglichen Rechtsgebiete und Kanzleitypen. Berät eine Spitzenkanzlei eine Milliarden-Transaktion, ist vielleicht auch 600 Euro in der Stunde möglich, oder mehr; kümmert sich eine Großkanzlei um Standardschriftsätze in einem Klage-Massenverfahren, kommen vielleicht nur 150 Euro pro Stunde auf die Rechnung.
Ein sehr gut ausgelasteter Associate, der in 44 Wochen an 5 Werktagen jeweils 8 Stunden auf seinem Stundenzettel hat, könnte in diesen 1.760 Stunden pro Jahr mit dem 300-Euro-Stundensatz also eine Honorarsumme von 528.000 Euro erwirtschaften – für den zuständigen Partner, der die Hand auf den Stundenzurechnungen hat, beziehungsweise für die Kanzlei. Die halbe Million ist sicherlich okay, sie ist aber nur eine Modellrechnung. Nicht alle Stunden bringen so viel ein, nicht alle Arbeitstage bringen acht abrechenbare Stunden, nicht alle Mandanten bezahlen die Arbeit von Anfängern. Und diese Bereitschaft wird weiter zurückgehen: Der Einsatz von Legal Tech und künstlicher Intelligenz in der Rechtsberatung schürt die Erwartungshaltung auf Mandantenseite, dass Standardaufgaben nicht mehr per Stundensatz in Rechnung gestellt werden, weil die Arbeit kein Associate mehr erledigt, sondern von Kollege Computer. Mit dem KI-Einsatz beschäftigen sich auch immer mehr Inhouse-Abteilungen selbst.
Eigene Liga
Dort, in den Rechtsabteilungen, werden Kanzleirechnungen akribisch geprüft, von Leuten, für die 100.000 Euro Jahresgehalt durchaus noch eine magische Zahl ist. Speziell zum Berufseinstieg wäre ein sechsstelliges Jahresgehalt dort eine krasse Ausnahme. In der aktuellen azur-Associate-Umfrage liegt der Durchschnitt aller angegebenen Syndikusgehälter bei 107.000 Euro. Der Durchschnitt aller genannten Kanzleigehälter lag bei 134.000 Euro, also quer durch alle Kanzleigrößen, mit viel oder wenigen Jahren Berufserfahrung. Das heißt: Die Spitzen-Einstiegsgehälter von Milbank, Skadden und Co. bilden tatsächlich eine Liga für sich.
Quizfrage: Welche Gruppe ist angesichts dieser Ungleichheiten zufriedener mit ihrem Gehalt, Kanzleianwälte oder Syndizi? Antwort: Die Unternehmensjuristen. Dabei gestatten sich die meisten Unternehmen, die über die Bezahlung ihrer Juristen Auskunft geben, eine große Spanne und fangen zum Beispiel bei 60.000 Euro (Vetter Pharma) oder 65.000 Euro (BASF) an. Nur ganz vereinzelt können Syndizi damit rechnen, zum Berufsstart 120.000 Euro oder mehr zu verdienen (Darf’s ein bisschen weniger sein?). Vielleicht ist das Bewusstsein, in einer großen Firma zu den Bestverdienern zu gehören, eine gute Erfahrung, die Bescheidenheit lehrt, auch im Vergleich mit anderen Juraberufen. Auch in einer großen wirtschaftsnahen Behörde wie der BaFin sind gut 60.000 Euro der Startpunkt. Richterinnen und Richter dürften je nach individuellen Zuschlägen im ersten Jahr meistens darunter liegen.