Problemlösung in der Mittelstandsberatung

NRW-Wirtschaft, da dachte man früher an Stahl­industrie und Energiekonzerne. Heute ist der Westen ein Hort des Mittelstands, der gerne auf vertraute Berater setzt. Ein guter Berufsstart für junge Anwältinnen und Anwälte.

The German Mittelstand kann so richtig oldschool sein. Im Wirtschaftsleben mit alten Fabrikhallen, Maschinenlärm und Holzpaletten auf dem Hof. In der Beraterlandschaft auch: Bei der Kanzlei Grüter in Duisburg steht zum Beispiel ein veritabler Schallplattenspieler im Besprechungsraum. Das soll weder besonders hip sein, noch ist das solide Grundig-Modell beim Aufräumen übersehen worden – Grüter ist eben Tradition. Und so gar nicht oldschool ist das personelle Wachstum der vergangenen Jahre, das seit 2017 vier Anwältinnen in die vergleichsweise kleine Kanzlei gebracht hat. Das mach‘ mal einer nach. „Für den Ladies Lunch, den wir alle sechs Wochen veranstalten, brauchen wir mittlerweile einen relativ großen Tisch“, schmunzelt Dr. Ina-Maria Böning und ergänzt: „Jetzt kommt glücklicherweise mal wieder ein männlicher Associate hinzu.“

Die 59-jährige Böning hat als Grüter-Partnerin im Gesellschaftsrecht viel Renommee angehäuft, und sie kann mühelos belegen, wie wenig der Mittelstand mit dem Fabrik-Klischee zu tun hat. Die Remondis-Tochter REMEX wird regelmäßig beraten, ein Messtechnik­unternehmen mit rund 700 Millionen Euro Umsatz ist jahrzehntelanger Mandant. Böning: „Gerade im Mittelstand haben die Mandanten viel Vertrauen in die bekannten Köpfe. Aber auch wenn wir vieles aus einer Hand anbieten: Wir kommunizieren offen, wenn wir es in Spezialfragen für sinnvoll halten, andere Kanzleien hinzuziehen.“

Echte anwaltliche Arbeit

Dr. Charlotte Weber hat zum Berufseinstieg 2018 gezielt nach einer mittelständischen Kanzlei gesucht. Sie ist eine von den erwähnten weiblichen Neuzugängen bei Grüter. „Ich wollte weder in einer sehr kleinen Kanzlei starten noch in einer Großkanzlei, außerdem habe ich vorgehabt, eine Kanzlei im Ruhrgebiet zu finden“, erzählt die 32-Jährige. So kam sie zu Grüter, in das Team von Böning. „Es war von Anfang an echte anwaltliche Beratung mit Training on the Job. Also auch von Anfang lernen, wie wir mit Mandanten umgehen.“ Weber hat außerdem ein Jahr in Teilzeit gearbeitet und promoviert.

Dem Ruhrgebiet treu geblieben: Von Duisburg aus sind Charlotte Weber (li.) und Ina-Maria Böning für die Kanzlei Grüter im Gesellschaftsrecht und bei Transaktionen aktiv. (Foto: Michael Lübke)

Doch schneller Mandantenkontakt und Ausbildung sind nicht alles. Die Kanzlei verzeichnet am einzigen Standort Duisburg 22 Anwältinnen und Anwälte, die vor allem für ihre Beratung in den Bereiche Gesellschaftsrecht und M&A angesehen sind. Für den Erfolg von Grüter ist aber auch das Anwaltsnotariat mit verantwortlich. Die Kombination von Anwaltsberuf und Notaramt gibt es in Deutschland nur in manchen Regionen – Baden-Württemberg hat es neulich abgeschafft, aber in NRW erlauben das Ruhrgebiet und Westfalen (anders als das Rheinland) die Doppelrolle. Mehrere Notare in der eigenen Kanzlei zu haben, ermöglicht Kanzleien wie Grüter noch mehr Full Service anzubieten als andere: juristischen Rat, Vertragsentwürfe und -verhandlungen, aber auch Beurkundungen – mit anderen Worten, die gesamte Abfolge von Beratung und Umsetzung.

Ina-Maria Böning ist Anwältin und Notarin, Charlotte Weber strebt es mittelfristig an: „Ich habe von Anfang an im Notariat mitgearbeitet. Insbesondere die Notarvertretung, die zeitlich befristet wahrgenommen werden kann, bietet einen unverfälschten Einblick in die notariellen Aufgaben.“ Weber legt jetzt die notarielle Fachprüfung ab: „Da muss man schon einiges an Zeit fürs Lernen investieren, zum Beispiel an Vorbereitungslehrgängen teilnehmen und Übungsklausuren schreiben.“ Von vier Anwaltsnotaren bei Grüter sind übrigens zwei weiblich.

Mit den Aufgaben wachsen

Ein Notariatsposten ist nur schwer planbar, da der Zugang streng reguliert ist und aktuell dem Vernehmen nach freie Plätze fehlen. Planbar hingegen ist laut Böning, wie man junge Anwältinnen und Anwälte bei Mandanten in eine gute Ausgangsposition bringt: „Die Idee ist, dass die Jüngeren bei Grüter relativ bald zu festen Ansprechpartnern werden, und immer mehr auch für die anspruchsvollen Fragen kontaktiert werden.“ Im M&A-Geschäft, also dem Kauf und Verkauf von Unternehmen, bedeutet dies: Berufsanfänger helfen zunächst bei der Prüfung von Dokumenten und Unterlagen. Beim zweiten Mandat arbeiten sie schon mit am Vertragsentwurf, markieren oder kommentieren wichtige Passagen, und beim dritten Vertrag sind sie vielleicht schon Verhandlungspartnerinnen und Mitautorinnen.

Erprobte Zusammenarbeit: Bei Unternehmenskäufen im Mittelstand haben die M&A-Expertin Martina Stasch (li.) und IP-Rechtlerin Ulla Kelp für die Kanzlei Orth Kluth schon mehrfach ein Team gebildet. (Foto: Michael Lübke)

‚Starke Frauen, starker Mittelstand‘ proklamierte 2022 die Zeitschrift des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft. Allerdings ist der Nachholbedarf beim Stichwort Stärke unverkennbar: Von den rund 3,8 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland werden nach einer Statistik der KfW aktuell nur 16 Prozent beziehungsweise 608.000 von Frauen geführt. Und vielfach sind nur die wirklich kleinen Firmen unter weiblicher Führung. Immerhin, so zählt die Bundesregierung, beschäftigen frauengeführte Unternehmen 2,4 Millionen Arbeitnehmende und bilden 100.000 junge Menschen aus.

Wenn wir für Mandate pitchen, dann ist unser diverses Team ein echter Pluspunkt.

Frauengeführte Kanzleien sind selten. Bei den meisten Sozietäten ist schon der Frauenanteil ein heikles Thema. Dabei hilft die Abkehr von der reinen Männerriege auch geschäftlich. „Wenn wir für Mandate pitchen, dann ist unser diverses Team ein echter Pluspunkt“, berichtet Martina Stasch (36), Senior Associate bei Orth Kluth in Düsseldorf. Sie ist seit 2017 in der Kanzlei und auf Unternehmenstransaktionen spezialisiert. „Das Geschlecht spielt wirklich keine Rolle mehr“, ergänzt Ulla Kelp (53), IP-Partnerin bei Orth Kluth.
Ob Mann oder Frau sei nicht entscheidend, sondern dass die Anwältinnen und Anwälte sich bei mittelständischen Mandanten als echte Helfer anbieten, so Kelp: „Unsere Rolle ist: Probleme wegschaffen, und nicht Probleme schaffen.“ Die Kanzlei ist mit rund 80 Berufsträgern mittelständisch orientiert wie Grüter, aber deutlich größer. Orth Kluth berät von A bis Z in beinahe allen wirtschaftsrechtlichen Bereichen und hat neben dem Stammbüro am Rhein einen Standort in Berlin für Regulierungsberatung aufgebaut.

Pragmatisch und schnell sein

Eine juristische Spezialisierung und Branchenwissen ist laut Kelp auf jeden Fall wichtig, auch bei der Ansprache des Mittelstands. „Aber es geht genauso gut darum, schnell zu sein und pragmatische Lösungen zu präsentieren. Vielfach sprechen wir in der Mittelstandberatung direkt mit der Geschäftsführung oder einer Ein-Mann-Rechtsabteilung“, berichtet Kelp. „Da geht es nicht immer um die letzte juristische Feinheit, sondern auch mal um kleinere Probleme, die passende Lösungen brauchen. Ich überlege immer: Was muss mein Ansprechpartner wissen, um arbeiten zu können?“

Martina Stasch hat den Eindruck, dass ein direkter Draht zu „kleineren“ Mandanten leichter entstehen kann als bei großen, vielleicht international aufgestellten Konzernen. „Man beobachtet schon, dass die meisten Konzerne komplexe Auswahlprozesse vor einer Mandatierung durchführen. Aber natürlich ist der Kontakt zu Großunternehmen und die Mandatsakquise dort eine ebenso gute und spannende Aufgabe, auch für jüngere Rechtsanwälte.“

Geht es um die Transaktionsberatung, macht die Unternehmensgröße ohnehin keinen Unterschied. „Meistens gibt es dann eine intensive Teamarbeit, viel Kommunikation und Zeitdruck. Wenn ein Unternehmenskaufvertrag an einem Montag beurkundet werden soll, stehen wir als Berater natürlich auch mal am Wochenende zur Verfügung.“ Auch in einer Kanzlei wie Orth Kluth, die Teilzeitarbeit auf allen Karrierestufen fördert, auch unter den Partnerinnen und Partnern. „Das ist aber nicht der Alltag, sondern die Ausnahme.“

Vertragsentwurf am Bildschirm

Wie stehen denn Mittelständler zum Homeoffice? Soll der Anwalt des Vertrauens nicht regelmäßig in der ­Firma stehen, Stichwort Fabrikhalle, Maschinenlärm, Europaletten? Dr. Katja Longrée (36), Partnerin der Essener Kanzlei Kümmerlein, winkt ab. „Der Mittelständler sieht das pragmatisch und zielorientiert. Aus Mandantensicht ist es einfach oftmals praktisch und natürlich kostengünstiger, wenn die Beraterinnen und Berater nicht allzu viel herumfahren, sondern direkt erreichbar sind – und arbeiten.“ Longrée, die vor allem im Gesellschaftsrecht und bei Transaktionen berät, hat während ihrer Schwangerschaft viel von Zuhause gearbeitet und meint: „Besonders das gemeinsame Anschauen und Bearbeiten von Dokumenten in virtuellen Meetings, etwa von Vertragsentwürfen, hat sich etabliert und ist wirklich sehr effizient für beide Seiten. Man möchte diese Variante der Abstimmung gar nicht mehr missen.“

Doch auch der persönliche Kontakt zählt. „Die Beziehung zwischen Anwältin und Mandanten ist im Mittelstand deutlich weniger anonym und viel direkter. Das Geschäft ist vielschichtiger, man könnte sogar sagen ganzheitlicher, und dadurch ganz nebenbei auf der menschlichen Ebene ein bisschen netter.“ Die meisten Mittelständler sind nicht ständig mit M&A-Transaktionen oder Nachfolgelösungen befasst – je seltener diese Dinge anstehen, desto aufgeregter ist die Atmosphäre, wenn so etwas ansteht. „Die optimale rechtliche Lösung für den Mandanten zu finden, ist dann nicht immer leicht“, erzählt Longrée. „Es ist nicht selten der Fall, dass man sich als Beraterin aus der rein juristischen Perspektive lösen und mehr das Ganze vor Augen haben muss, damit für den Mandanten die für ihn zugeschnittene und optimale Lösung gefunden wird.“

Eignung für den Mittelstand

Bei Kümmerlein sind rund 60 Juristinnen und Juristen tätig. Nicht jeder Berufsanfänger und jede Berufsanfängerin eignet sich für eine pragmatische oder schnell auf den Punkt kommende Beratung, meint Longrée. Aber das sei auch nicht schlimm: „Bei Kümmerlein sind alle Anwaltspersönlichkeiten unterschiedlich. Nicht alle Anwälte passen zu allen Arten von Mandanten, aber die richtige Passform findet sich meist mit der Zeit, wenn sich die Persönlichkeit im Beruf entwickelt.“ Für genügend Flexibilität aufseiten der Kanzlei steht auf jeden Fall die neu eingeführte Karrierestufe eines Counsels, die mit der Abkehr vom früheren Up-or-out eingeführt wurde. Und eine Neupartnerin des Jahres 2023 arbeitet in Teilzeit.

Unverkennbar ist: Mittelständler als Mandanten zu beraten, das machen alle Anwältinnen richtig gerne. Die mittelständischen Kanzleien müssen nicht auf das eine, große Projekt warten, sondern sind regelmäßig für ihre Mandanten im Einsatz. Longrée: „Oft gibt es ein sehr stabiles Vertrauensverhältnis mit mittelständischen Mandanten, und Berater werden nicht einfach einmal schnell ausgewechselt.“

Hartnäckig hält sich das Vorurteil, Mittelstandsgeschäft sei nicht international genug. Aber sowohl Grüter als auch Kümmerlein und Orth Kluth landen regelmäßig – vielleicht sogar immer häufiger – auf den Beraterlisten internationaler Deals. Die kanadische Grüter-Mandantin EXCO Technologies hat kürzlich in Deutschland und Italien investiert – „da waren wir mit einem rein weiblichen Anwaltsteam drauf“, erzählt Ina Maria Böning und lacht. Ende der Vorurteile.


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