Pioniergeist in der BNetzA
Spätestens seit Beginn der Energiekrise ist die Bundesnetzagentur vielen ein Begriff. Wer dabei an eine verstaubte und unbewegliche Behörde denkt, täuscht sich gewaltig: Juristinnen und Juristen leisten dort Pionierarbeit.
Im Februar 2022 musste plötzlich alles ganz schnell gehen: Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stand auch die deutsche Energieversorgung in Frage. Lösungen mussten her, besonders dringend für Gazprom Germania, die deutsche Tochter des russischen Staatskonzerns. „Dafür wurde in der Bundesnetzagentur eine Gruppe von Menschen zusammengezogen, die Erfahrungen im Gasbereich hatte“, erzählt Anne Zeidler (46). Bereits Anfang April übernahm die Behörde mit Hauptsitz in Bonn die Treuhänderschaft über das Gasunternehmen. Auch Zeidler war Teil der dafür eingerichteten ‚Sonderstelle Treuhänderische Angelegenheiten‘. „Für uns alle war die Aufgabe als Treuhänder komplett neu. Wir mussten sehr schnell Entscheidungen treffen, die unmittelbare Auswirkungen hatten.“
Zeidler und ihr Team beschäftigen sich mit Fragen, die sich so vorher noch niemand gestellt hatte. Bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) ist das keine Seltenheit. Denn ihr Marktumfeld wandelt sich kontinuierlich und damit auch ihr Zuständigkeitsbereich. Die oberste deutsche Regulierungsbehörde ist für den Wettbewerb auf den fünf ‚Netzmärkten‘ Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnverkehr verantwortlich. Durch Regulierung soll sie faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Auch die Qualität der Dienstleistungen der unterschiedlichen Marktakteure soll sie sicherstellen. Für diese Aufgaben sind Juristinnen und Juristen unverzichtbar.
Zahlen und Fakten zur Bundesnetzagentur
Gegründet wurde die Behörde 1998, zunächst als ‚Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post‘.
Über die Jahre übernahm sie zudem die Zuständigkeit für die Energie- und Eisenbahnregulierung.
■ Präsident: Klaus Müller (seit Februar 2022)
■ Gründung: 1998
■ Zentralstandorte: Bonn (Hauptsitz), Mainz, Berlin, Cottbus, Saarbrücken
■ Beschäftige: rund 3.000 (ca. 1.200 davon in Bonn)
■ Verantwortlich für die Regulierung auf den Netzmärkten Telekommunikation, Post, Elektrizität, Gas (beide seit 2005) und Eisenbahnverkehr (seit 2006)
■ Eine von sechs Behörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz
Mammutprojekt Stromnetze
Seit 2011 ist die BNetzA außerdem für den Ausbau der Stromnetze in Deutschland verantwortlich – nach wie vor ein Mammutprojekt. Für diese neuen Aufgaben mussten Strukturen aufgebaut sowie Mitarbeitende eingestellt werden. Eine von ihnen war 2004 Anne Zeidler. Die Arbeit bei einer Bundesbehörde hatte sie bereits während ihrer Referendariats-Stage bei der Bundesanstalt für Finanzaufsicht kennengelernt. „Das hat mir großen Spaß gemacht“, erinnert sie sich. Deshalb weckte nach dem zweiten Examen eine Ausschreibung der BNetzA ihr Interesse.

Gesucht waren Leute zum Aufbau der Abteilung für Energieregulierung. Denn damals war das angepasste Energiewirtschaftsgesetz in Arbeit, das gemäß EU-Vorgaben den Einsatz einer Regulierungsbehörde für den Energiesektor vorsah. Durch das Gesetz sollte das System des verhandelten Zugangs der Netzbetreiber zu den deutschen Strom- und Gasnetzen auf ein System des regulierten Netzzugangs umgestellt werden. „Bis das überarbeitete Gesetz 2005 verabschiedet wurde, haben wir eine ganz neue Abteilung aus dem Boden gestampft. Um meine Aufgabe damals beneide ich mich heute selbst. Das war echte Pionierarbeit“, sagt Zeidler rückblickend. „Die Vorgaben aus dem Gesetz bedeuteten ganz neue rechtliche Fragen, und wir alle mussten uns erstmal in das neu geschaffene Regulierungsrecht einarbeiten.“ In diesem Umfeld machte sie schnell Karriere: Nach eineinhalb Jahren wurde sie Beisitzerin der Beschlusskammer 7, die für die Regulierung der Gas- und mittlerweile auch der Wasserstoffnetze zuständig ist. Nach Zwischenstationen im Bereich der Netzentgelt-Regulierung für Elektrizität und in der Sonderstelle für Treuhänderische Angelegenheiten ist sie seit Ende 2022 Vorsitzende der Kammer.
Auch auf dem Schreibtisch von Andrea Sanders-Winter landen laufend neue Themen. „Man muss Herausforderungen lieben, denn dieser Bereich verändert sich enorm schnell. Nahezu jede Woche muss man sich Neuem stellen“, sagt sie. Sie leitet seit 2020 die Unterabteilung für Internet und Digitalisierungsfragen, die bei der BNetzA an den Bereich Telekommunikation angedockt ist. „Die Unterabteilung wurde mit Blick auf die zahlreichen Entwicklungen im Kontext der Digitalisierung etabliert“, erklärt Sanders-Winter. „Angesichts der Zunahme an digitalen Diensten und Geschäftsmodellen sowie verschwimmender Grenzen zwischen klassischer Telekommunikation und neuen Diensten setzt sich die BNetzA seit geraumer Zeit intensiv mit diesen Entwicklungen auseinander.“ Mittlerweile unterstehen der Juristin fünf Referate und eine Sonderstelle mit insgesamt mehr als 50 Beschäftigten.
Digitale Märkte beim Aufbau begleiten
Die Aufgaben reichen über reine Regulierung hinaus. „Wir begleiten digitale Geschäftsmodelle und Technologien wie zum Beispiel künstliche Intelligenz der Blockchain schon in der Entwicklung.“ Oft zeigt sich dabei, dass gesetzliche Rahmenbedingungen erforderlich sind, die auf EU-Ebene entstehen und deren Entwicklung dann von Sanders-Winters Team begleitet wird. Ein aktuelles Beispiel ist der neue Digital Markets Act, der sicherstellen soll, dass große Onlineplattformen wie Amazon und Co. ihre Marktstellung nicht missbrauchen. „Wenn auf EU-Ebene gesetzliche Vorgaben verabschiedet werden, können neue Aufgaben für die BNetzA wie etwa die Durchsetzung der EU-Gesetzgebung entstehen“, erklärt Sanders-Winter. „Das heißt, wir stellen dann sicher, dass sich die Unternehmen an die neuen Vorgaben halten. Für solche Aufsichtsbefugnisse benötigen wir vor allem Juristen.“
Anders als in Kanzleien oder vielen Rechtsabteilungen arbeiten die Juristinnen und Juristen dabei in interdisziplinären Teams in engem Austausch mit Ökonomen, Ingenieurinnen, Datenwissenschaftlern oder Informatikerinnen. Bei Anne Zeidler in der Beschlusskammer 7 ist das ähnlich: „Wir Juristen können nicht einfach allein vor uns hinarbeiten.“ Denn sie müssten immer auch ökonomische oder technische Aspekte berücksichtigen. „Wir brauchen hier keine Einzelkämpfer, sondern diskutieren viel im Team.“ Ob es Berufseinsteiger sind oder jemand schon Erfahrung habe, stehe dabei nicht an erster Stelle. „Wichtiger ist der Wille, sich einzuarbeiten und dass die Person menschlich ins Team passt.“
Der Bedarf nach neuen Kolleginnen und Kollegen bei der BNetzA ist und bleibt groß. Wegen einer bevorstehenden Pensionierungswelle will die Behörde in den kommenden Monaten mehrere Hundert Stellen ausschreiben. Eine zweistellige Zahl entfällt davon auf Juristinnen und Juristen. Voraussetzung ist eine mit „durchschnittlich befriedigend“ abgeschlossene Ausbildung. Das heißt, die Gesamtpunktzahl aus beiden Staatsexamina sollte mindestens 13 sein. Wer die Notenvoraussetzung nicht erfüllt, kann mit anderen „förderlichen Qualifikationen“ wie Fachkenntnissen oder Berufserfahrung punkten.

Ein klassischer Einsatzbereich für Juristinnen und Juristen ist das Justiziariat, das von Dr. Chris Mögelin geleitet wird. Dort stieg vor rund zwei Jahren Kristin Hacky als Referentin im Bereich Energierecht ein. Zuvor war sie Associate bei einer mittelständischen Wirtschaftskanzlei in Köln. Die Vorteile ihrer aktuellen Arbeitgeberin liegen für sie allerdings auf der Hand. „Ich habe beim Wechsel vor allem Wert auf Flexibilität gelegt und die bei der BNetzA auch gefunden.“ Hacky arbeitet wöchentlich 41 Stunden, wenn Überstunden anfallen, sammelt sie diese auf einem Konto und kann sie später einlösen. „Der Vorteil gegenüber der Kanzlei ist außerdem, dass meine Stunden nicht den Mandanten in Rechnung gestellt werden.“ Dadurch bleibe mehr Zeit für fachliche Gespräche mit Kolleginnen, Fortbildung oder Einarbeitung. Nach einem Jahr wurde sie zudem verbeamtet und konnte sich dafür ihre bisherige Arbeitserfahrung anrechnen lassen.
Beim Thema Gehalt muss Hacky im Vergleich zu dem, was sie bei einer Großkanzlei verdienen würde, allerdings deutliche Abstriche machen. Die Vergütung bei der BNetzA richtet sich nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, was ohne Verbeamtung ein Einstiegsgehalt von 52.000 bis 58.000 Euro brutto jährlich bedeutet. „Für mich stimmt die Work-Money-Balance trotzdem. Hier ist es selbstverständlich, dass Familie und Beruf miteinander vereinbar sind“, sagt Hacky. „Vor Kurzem habe ich mir einen Hund angeschafft. Mit dem Arbeitspensum in der Kanzlei wäre das vernünftigerweise nicht möglich gewesen.“
Prozessspezialisten gesucht
Hinzu kommen abwechslungsreiche Aufgaben mit viel Verantwortung von Beginn an. Die Juristinnen und Juristen aus dem Justiziariat führen die Gerichtsverfahren für die fünf Netzmärkte, für deren Regulierung die BNetzA zuständig ist. Zudem beraten sie das Präsidium, die Beschlusskammern und die Fachreferate bei Fragen im Zusammenhang mit Prozessen. Hacky ist dabei für den Energiesektor zuständig. „Genau wie in einer Kanzlei bin ich anwaltlich tätig, wobei die Beschlusskammern meine Mandanten sind“, berichtet sie. „Ich erstelle zum Beispiel die Schriftsätze und führe mündliche Verhandlungen im gesamten Bundesgebiet, bis hoch zum Bundesgerichtshof.“ Auf der Gegenseite stehen etwa Gas- und Stromanbieter oder Netzbetreiber, die – vertreten von spezialisierten Kanzleien – gegen die Regulierungsentscheidungen der BNetzA vorgehen. „Vor Gericht kann ich mich mit den Top-Partnern messen, denen ich in einer Kanzlei zunächst einmal zuarbeiten würde“, sagt Hacky. Dabei werde sie stets eng von erfahrenen Kollegen begleitet.
Ein weiterer Vorteil: „Gerade für Berufseinsteigerinnen ist es schön, weibliche Vorbilder zu sehen.“ Der Frauenanteil im Justiziariat beträgt 70 Prozent. Insgesamt führen die familienfreundlichen Arbeitsbedingungen bei der Behörde dazu, dass dort nicht nur viele Frauen einsteigen, sondern anschließend auch aufsteigen: 38 Prozent der Leitungsfunktionen sind weiblich besetzt. Für zusätzliche Flexibilität hat die Corona-Pandemie gesorgt, so Zeidler: „Ohne die neuen, flexiblen Homeoffice-Möglichkeiten wäre es für mich schwieriger, meine neue Position als Vorsitzende der Beschlusskammer auszufüllen.“

Neben der Karriere in der eigenen Abteilung ermöglicht die BNetzA auch den internen Wechsel. „Meiner persönlichen Erfahrung nach sind die Führungskräfte in der BNetzA vergleichsweise jung“, sagt Andrea Sanders-Winter. Zudem entstünden gerade im Digitalbereich regelmäßig neue Leitungsposten, da mit neuen Aufgaben auch der Aufbau neuer Arbeitseinheiten einhergehen könne.
Wer Karriere machen will, wird durch regelmäßige Fortbildungen etwa zum Thema Personalführung unterstützt. Sie finden sowohl intern als auch extern statt, zum Beispiel an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Auf eine Herausforderung wie die Energiekrise können sie die Mitarbeitenden bei der BNetzA allerdings nur bedingt vorbereiten. Dabei ist Teamwork, Pragmatismus und vor allem Schnelligkeit gefragt – alles Eigenschaften, die normalerweise niemand mit einer Behörde verbindet.