Ohne Prädikat in den Staatsdienst: Länder senken Hürden

Im Ringen um die Top-Absolventen konkurrieren seit Langem die großen Wirtschaftskanzleien und die Justizbehörden der Bundesländer miteinander. Allerdings sind die finanziellen Argumente der Kanzleien deutlich stärker: Sie locken junge Juristinnen und Juristen mit dem Doppelten bis Dreifachen der staatlichen Besoldung. Berlin und andere Länder haben zuletzt ihre Einstellungsvoraussetzungen für angehende Staatsanwälte und Richter gesenkt – eine Chance für Absolventen ohne Prädikatsexamen.

Tendenz deutlich steigend. So entwickelte sich die Anzahl der Anwältinnen und Anwälte in den vergangenen Jahren bei den deutschen und internationalen Top-Kanzleien. Schließlich wartet in lukrativen Mandaten jede Menge Arbeit , die erledigt werden muss. Wer aber nach dem Referendariat bei einer Top-Kanzlei durchstarten will, sollte eins mitbringen: das Prädikatsexamen. Also jeweils mindestens 9 Punkte in beiden Examina oder 18 in der Addition. Denn dieses Ergebnis ist – von Ausnahmen abgesehen – die Voraussetzung, um eine realistische Chance im Bewerbungsprozess zu haben. Und damit auf ein äußerst attraktives Einstiegsgehalt im mittlerweile häufig sechsstelligen Bereich (alle Einstiegsgehälter auf azur-online.de).

Auf der anderen Seite buhlt auch der Staat um die Dienste von Top-Absolventen. Das Prädikatsexamen war über lange Jahre ebenfalls Voraussetzung, um in den Ländern die Laufbahn als Staatsanwalt oder Richter einzuschlagen. Diese Zulassungshürde wird aktuell gesenkt. Zu groß ist verständlicherweise die finanzielle Attraktivität der Großkanzleien für Associates im Vergleich zum Staatsdienst. Zu groß der Nachwuchsmangel in der Justiz. Die Zahl der Prädikatsjuristen, die nach dem zweiten Staatsexamen auf den Arbeitsmarkt kommen, ist einfach zu klein. Laut der Ausbildungsstatistik des Bundesamtes für Justiz waren es 2022 gut 2.000 Juristinnen und Juristen. Mit der nächstschwächeren Note „Befriedigend“ hingegen schlossen mehr als 4.000 Absolventen ab.

Mit 6,5 Punkten in die Berliner Staatsanwaltschaft

Jetzt senkte Berlin im November die Einstellungsvoraussetzungen für Staatsanwälte auf mindestens 6,5 Punkte im zweiten Staatsexamen und in beiden Staatsexamina zusammen auf mindestens 14 Punkte. Zuvor war jeweils ein Punkt mehr nötig. Vom doppelten Prädikatsexamen („Vollbefriedigend“) mit 18 Punkten sind auch andere Bundesländer bereits abgekehrt. Nordrhein-Westfalen sucht als größtes Bundesland zwar immer noch Bewerberinnen und Bewerber mit mindestens 9 Punkten im zweiten Examen. Es gewährt aber einen deutlichen Abschlag für angehende Richterinnen und Richter auf 7,75 Punkte, wenn sich diese durch „besondere persönliche Eigenschaften auszeichnen“.

Beispielhaft nennt der entsprechende NRW-Erlass nachgewiesene persönliche Fähigkeiten und Leistungen, welche die Persönlichkeit einer Richterin oder eines Richters „positiv prägen und die die Bewerberin bzw. den Bewerber aus dem Bewerberfeld im Übrigen herausheben“. Außerdem bietet der Erlass Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance, die sich beim zweiten Staatsexamen „unter Wert geschlagen“ haben. Sprich: Deren Leistungen im Abitur, im Studium, im ersten Staatsexamen sowie im Vorbereitungsdienst (Stationsnoten und Arbeitsgemeinschaften) erheblich besser waren.

Bis Ende 2025 reichen in NRW 7 Punkte

Befristet bis Ende 2025 ist für den staatsanwaltschaftlichen Dienst in NRW seit April 2024 sogar eine Einstellung mit 7 Punkten möglich. Die Voraussetzung: Bewerberinnen und Bewerber müssen „über besondere Erfahrungen oder Kenntnisse im Bereich der Strafrechtspflege verfügen“. Dazu zählen eine mit Erfolg bei einer Staatsanwaltschaft abgeleistete Referendarstation. Alternativ besondere Studienleistungen bei der Strafrechtspflege oder einschlägige Erfahrungen in der Strafverteidigung oder als Amtsanwalt.

Im Süden der Republik ist die Acht die entscheidende Ziffer. Denn sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg fordert 8,0 Punkte als Einstellungsvoraussetzung. Bayern im zweiten Staatsexamen, Baden-Württemberg jeweils im ersten und zweiten. Zusatzqualifikationen werden in Bayern übrigens erst ab einem Ergebnis im zweiten Staatsexamen von mindestens 8,0 Punkten positiv bei der Bewerbung berücksichtigt. Das bayerische Justizministerium erklärte auf azur-Nachfrage, dass die Durchschnittsnote der in den Justizdienst eingestellten Bewerberinnen und Bewerber im zweiten Staatsexamen „seit Jahren deutlich über 9 Punkten liegt“.

Mecklenburg-Vorpommern sucht für den gehobenen Dienst

Während die genannten Laufbahnen bei den Ländern im höheren Justizdienst angesiedelt sind, sucht Mecklenburg-Vorpommern seit November Verstärkung im darunter angesiedelten gehobenen Dienst für ihre Staatsanwaltschaften. Acht Amtsanwältinnen und -anwälte der Besoldungsgruppe A12 sollen die Staatsanwaltschaften in Neubrandenburg, Rostock, Schwerin und Stralsund verstärken.

„Damit erhalten auch diejenigen Absolventinnen und Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung, die die Einstellungsvoraussetzungen für den höheren Justizdienst nicht erfüllen, die Chance auf eine sichere und attraktive Verbeamtung im Staatsdienst“, so das Schweriner Justizministerium. Die Hürde für den höheren Dienst in Mecklenburg-Vorpommern liegt dafür aktuell bei 8 Punkten im zweiten Staatsexamen und 6,5 Punkte im ersten. In Ausnahmefällen reichen – bei besonderer fachlicher Qualifikation – auch sieben Punkte im zweiten Staatsexamen.


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