Neugründung: Warum gründen so wenige Anwältinnen?

Der Gründergeist in der Anwaltsbranche ist ungebrochen. Bei den Spin-offs und Neugründungen des Jahres 2021 fällt jedoch auf: Der Anteil von Frauen in den neuen Partnerschaften ist sehr gering. Das liegt unter anderem an zu wenig weiblichen Vorbildern. Die Erfolgsgeschichten von Gründerinnen dürften junge Anwältinnen jedoch ermutigen.

Die deutsche Kanzleilandschaft ist in stetigem Wandel begriffen. Anwälte wechseln von einer Kanzlei zu einer anderen oder gründen gemeinsam mit anderen eine ganz neue Einheit. Aus Strukturen herauskommen, die man nicht groß verändern kann, etwas Eigenes aufbauen und frei entscheiden – diesen Schritt haben in den vergangenen Jahren schon einige Anwälte aus etablierten Kanzleien in die Tat umgesetzt. Auch 2021 gingen wieder zahlreiche neue Einheiten an den Start. Die Gründe für den Schritt in die Unabhängigkeit unterscheiden sich stark. So entstanden etwa allein durch das Auseinandergehen der Düsseldorfer Kanzlei Franz Rechtsanwälte gleich drei neue Einheiten. Andere etablierte Partner fanden ihre Fachgebiete nicht mehr ausreichend in der Strategie ihrer bisherigen Einheiten wieder. Wer vorher schon Partner war, der wusste in der Regel, welche Mandanten ihm auch in der neuen Formation treu bleiben werden.

Betrachtet man die frisch gegründeten Kanzleien, fällt auf, was vielen von ihnen fehlt: Es gibt kaum Frauen in den neuen Partnerschaften. Was früher mehr oder weniger achselzuckend in Kauf genommen wurde, empfinden Kanzleien heute häufig als Defizit. Doch das liegt nicht am fehlenden Mut der Frauen. Trotz allmählicher Veränderung in den Kanzleistrukturen fehlt es Anwältinnen häufig noch an Vorbildern.

Seltene Gründerinnen

Kanzleigründer sind ganz überwiegend männlich. In 22 von 30 im Jahr 2021 gestarteten Einheiten fehlten weibliche Partner in der Gründerriege sogar ganz.

Insgesamt starteten 22 der von JUVE aufgeführten Neugründungen 2021 ohne eine Partnerin. Damit liegt der Frauenanteil unter den Partnern zum Startzeitpunkt nur bei 12,2 Prozent (In der Unterzahl). Nur in sieben der neuen Einheiten zählt von Anfang an eine Frau zur Partnerschaft, darunter mit Ulrike Gantenberg und Karin Holloch auch zwei langjährige Partnerinnen, die sich selbstständig gemacht haben. Nur in einer einzigen Kanzlei wagten gleich zwei Frauen den Sprung in die Unabhängigkeit: in der im Juni gestartete Private-Clients-Boutique gkn Gräfe Klümpen-Neusel. „Die Frage: Kann ich meinen Mitarbeitern und mir genügend finanzielle Sicherheit bieten, lässt sicher viele potenzielle Kanzleigründerinnen zögern“, sagt Dr. Claudia Klümpen-Neusel, neben Dr. Maren Gräfe eine der beiden Partnerinnen von gkn. Die Rechtsanwältinnen und Steuerberaterinnen hatten durch ihre bisherige Laufbahn als Angestellte in großen Steuerberatungsunternehmen genug Selbstvertrauen aufgebaut, um sich diese Frage mit Ja zu beantworten. „Wir wussten, dass wir uns in unserer Materie gut auskennen, von unseren Mandanten geschätzt werden und im Markt sichtbar sind“, so Klümpen-Neusel.

Claudia Klümpen-Neusel von gkn Gräfe Klümpen-Neusel meint, dass die finanzielle Unsicherheit Frauen oft vor dem Schritt in die Selbstständigkeit zurückschrecken lässt.

Beide kennen sich seit über zehn Jahren, haben bei PricewaterhouseCoopers (PwC) lange zusammengearbeitet und dort das Geschäft mit Selbstanzeigen mit ausgebaut. Als sich ihre Wege später trennten – Gräfe ging zu BDO, Klümpen-Neusel zu Warth & Klein Grant Thornton – blieben sie fachlich Sparringspartnerinnen und Freundinnen. Immer wieder spielten sie in den vergangenen Jahren mit dem Gedanken, sich zusammen selbstständig zu machen. Denn sie wussten auch: Ihr Fachgebiet, die steuerliche Beratung vermögender Privatpersonen, von Unternehmerfamilien, Single Family Offices und Stiftungen, ist durch die starke persönliche Bindung zu den Mandanten eigentlich prädestiniert für eine kleine Einheit. Aber: Gräfe arbeitete in München, Klümpen-Neusel in Düsseldorf. „Uns hat dann Corona geholfen“, sagt Klümpen-Neusel. „Denn vor der Pandemie haben wir beide gedacht, wir könnten eine gemeinsame Kanzlei nur dann erfolgreich gründen, wenn wir beide am selben Ort tätig sind.“ Aber nach einem knappen Jahr Erfahrung mit mobilem Arbeiten und virtuellen Meetings hatten sie gelernt, dass die Zusammenarbeit auch so klappen kann. Im Dezember 2020 sagten sie sich schließlich: Wann, wenn nicht jetzt? Ein halbes Jahr später setzten sie ihren Plan in die Tat um, ohne dass eine von beiden ihren Wohnsitz verlegen musste.

Mut ist nicht genug

Die Geschichte von gkn ist ein ermutigendes Vorbild für gründungswillige Anwältinnen – beziehungsweise könnte es sein, wenn da nicht die herrschenden Umstände wären. „Frauen mangelt es nicht per se an Mut, denn den brauchen sie für eine Karriere in einer Kanzlei genauso“, meint Dr. Marie Teworte-Vey. Sie hat sich vor zweieinhalb Jahren in Köln mit einer weiteren Anwältin und zwei männlichen Partnern mit der IP-Boutique Schmitt Teworte-Vey Schumacher Simon selbstständig gemacht. Einen wesentlichen Grund für die zögerliche Haltung von Frauen sieht die Markenrechtlerin vielmehr in den männerdominierten Strukturen, die heutzutage immer noch in der Kanzleiwelt verbreitet sind. „In einer der großen, etablierten Kanzleien beginnt das Gros der Juristinnen ihre Karriere bei männlichen Partnern, und die haben häufig einen anderen Blick auf die Karriere von Frauen“, berichtet Teworte-Vey. Oft werde weiblichen Associates suggeriert: Schau doch mal, ob du noch Partnerambitionen hast, wenn Du erst einmal Kinder bekommen hast. „Eine solche Haltung trägt ebenfalls dazu bei, dass viele Frauen verunsichert werden“, sagt die Kölner Markenrechtlerin.

Hinzu kommt, dass viele Frauen, die wegen einer Familiengründung länger aussetzen, wertvolle Zeit verlieren, um sich einen vergleichbaren Mandantenstamm aufzubauen wie ihre männlichen Kollegen. Viele junge Anwältinnen wechseln nach der Elternzeit oft lieber in ein Unternehmen oder eine Behörde, berichtet Teworte-Vey. Sie hat einen guten Überblick über die Karrieren junger Anwältinnen und Anwälte, da sie bei ihrer vorherigen Kanzlei CBH Rechtsanwälte ein Programm für Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter ins Leben gerufen und betreut hat. Für Teworte-Vey selbst bedeutet die Kanzleigründung vor allem Flexibilität – und die Möglichkeit auch als Partnerin in Teilzeit tätig zu sein.

Erfolgsgeschichten als Vorbilder

Dem Ruf nach mehr Flexibilität sollten Kanzleien nachkommen – bei Männern genauso wie bei Frauen, denn junge Anwältinnen und Anwälte wollen vermehrt Familienzeit in ihren Alltag integrieren. Die Erfolgsgeschichten von Gründerinnen dürften junge Anwältinnen auf jeden Fall ermutigen: gkn beispielsweise wächst schon jetzt schneller, als sich das die beiden Partnerinnen anfangs vorgestellt haben. Und Schmitt Teworte-Vey stellt im kommenden Jahr ihre ersten Associates ein: Beide sind Frauen.

Noch mehr Infos über die neu gegründeten Kanzleien findest du in der Ausgabe des JUVE Rechtsmarkt 01/2022.


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