Neue Wege gesucht: Anwaltsausbildung im KI-Zeitalter

Wirtschaftskanzleien müssen ihre Trainingsprogramme grundlegend überdenken. Künstliche Intelligenz übernimmt zunehmend juristische Standardaufgaben - und stellt damit die klassische Ausbildung junger Anwälte in Frage.


Alle Welt spricht von Legal Tech und Künstlicher Intelligenz und davon, wie sehr die Digitalisierung die Rechtsbranche und die juristischen Berufe verändern wird. Während sich Universitäten allenfalls punktuell mit diesen Aspekten beschäftigen und Gerichte noch eher zurückhaltend sind, ist die Diskussion in den Kanzleien bereits in vollem Gange.

Sehr viele Kanzleien nutzen inzwischen digitale Werkzeuge, zum Teil auch KI, für ihre internen Prozesse und die Mandatsarbeit. Einige haben auch Anwendungen entwickelt, die sie an ihre Mandanten weitergeben oder in Lizenz verkaufen. Unabhängig davon, welchen Weg die Kanzleien bei der Digitalisierung gehen, eint sie die Frage, wie sie ihren juristischen Nachwuchs in Zukunft ausbilden wollen. Spoiler vorweg: Eine Antwort hat noch keine Kanzlei gefunden. Aber einige haben das Thema auf dem Schirm.

Associates im Jahr 2030

Eine von ihnen ist Oppenhoff & Partner. Deren Managing Partnerin Dr. Myriam Baars-Schilling stellte Mitte März auf der Signale-Konferenz des JUVE-Verlags ihre Überlegungen und Erkenntnisse vor. Die Leitfrage lautete: „Wie sieht das Anforderungsprofil eines Associates im Jahr 2030 aus?“ Schon heute sind die Anforderungen an Bewerberinnen und Bewerber in Wirtschaftskanzleien recht hoch. Neben Prädikatsexamina und Zusatzqualifikationen wie Promotion oder LL.M. benötigen sie einschlägige Berufserfahrung in Großkanzleien, die sie in der Regel während des Referendariats sammeln. Darüber hinaus sollten sie ehrgeizig und belastbar sein und Arbeitszeiten von rund 50 Stunden pro Woche nicht scheuen.

In einigen Jahren, so Baars-Schilling, werden weitere Anforderungen hinzukommen. Jurastudium und Promotion werden nicht mehr ausreichen. Besser seien Zusatzzertifikate in Legal Tech oder Data Analytics, auch mit interdisziplinären Studiengängen könnten Bewerber künftig punkten. Der Einsatz von KI und Automatisierungstools wird ebenso zum Arbeitsalltag gehören wie heute Vertragsgestaltung und Datenbank-Recherche. Der Fokus wird in einigen Jahren stärker auf strategischer Beratung liegen, als rein juristische Berater haben Anwälte irgendwann ausgedient. Da diese Arbeitsweise auch den intensiven Einsatz von Tech- und KI-Tools voraussetzt, müssen die Associates der Zukunft technikaffin und kollaborationsfähig sein. Denn die Mandatsarbeit, auch das steht bereits fest, wird in Zukunft nicht mehr nur von Juristen geleistet werden, sondern von interdisziplinären Teams, zu denen auch Entwickler, Mathematiker und Projektmanager gehören.

Universitäten hinken hinterher

Wie aber sollen die Anwärterinnen und Anwärter all diese Fähigkeiten lernen, wenn sich an der universitären Ausbildung – auch ohne das neue Thema KI – in den letzten 100 Jahren gefühlt nichts geändert hat? Zwar haben sich jüngst mehrere juristische Verbände wie die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Juristinnenbund einer Initiative der Universität Hamburg angeschlossen, die die Bundesregierung auffordert, die Juristenausbildung zukunftsfest zu machen.

In einer Stellungnahme heißt es unter anderem, die Juristenausbildung hinke der Digitalisierung hinterher. Der zunehmende Einsatz von Legal-Tech-Anwendungen verändere die Arbeitsweise in Anwaltschaft und Justiz grundlegend. Ein fundiertes Verständnis der digitalen Transformation sei daher unerlässlich, werde aber in der Juristenausbildung kaum berücksichtigt. Trotz der Initiative ist nicht zu erwarten, dass sich dies in absehbarer Zeit grundlegend ändern wird.

Mandanten erwarten neue Kompetenzen

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Kanzleien selbst aktiv werden müssen, um ihren Anwaltsnachwuchs fit für die Zukunft zu machen. Neben Aus- und Fortbildungen zu fachlichen Themen und Soft Skills wie Verhandlungsführung oder Business Development lernen die Associates heute viele Fähigkeiten, die sie für den Anwaltsberuf brauchen, „on the job“, also während der täglichen Arbeit.

Wie aber soll das in Zukunft funktionieren? Bald erledigt KI einen erheblichen Teil der Basisarbeit, die bisher auch der Einarbeitung in ein Mandat dient. Der Associate wäre dafür gar nicht mehr gefragt. Hinzu kommt, dass es häufig die Mandanten sind, die diese Arbeit und damit indirekt die Ausbildung der Berufsanfänger bezahlen. Doch die Unternehmen werden mit dem Vormarsch digitaler Tools ungeduldiger und erwarten von den Kanzleien, dass sie alle Standardarbeiten automatisierten und somit schneller und kostengünstiger erledigen.

Was also tun? Mandanten sind ein gutes Stichwort, um sich dem richtigen Format für die Anwaltsausbildung der Zukunft zu nähern. Denn aus der Frage, was der Mandant in Zukunft von seiner Kanzlei erwartet, können die verantwortlichen Partner und Kanzleimanager ableiten, was ihre Anwälte können müssen.

Auch wenn Standardaufgaben wie Recherche, Analyse und Vertragsgestaltung künftig von KI übernommen werden, benötigen Mandanten weiterhin Anwälte, die ihr wirtschaftliches Umfeld einschätzen, die Ergebnisse der KI bewerten und richtig einsetzen sowie Bewertungen und Handlungsempfehlungen geben können.

Neue Konzepte mit KI-Kombination

Zielführend wäre eine völlig neu konzipierte Ausbildung, die auf eine Kombination von Jura und KI setzt. Ein Nebeneinander von fachlicher Ausbildung und dem Umgang mit Legal Tech-Tools gibt es bereits heute in vielen Kanzleien. Der Tech-Teil ist seit zwei bis drei Jahren fester Bestandteil der Ausbildung , allerdings in ganz unterschiedlicher Tiefe und nicht immer mit Bezug zur Mandatsarbeit. Ein kleines Bisschen Legal Tech wird in Zukunft wohl nicht mehr ausreichen. Wie die Ausbildung des Anwaltsnachwuchses in Zukunft gestaltet wird, muss letztlich jede Kanzlei für sich entscheiden. Aber dass etwas getan werden muss, darüber sind sich (hoffentlich) alle einig.


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