Neue Aufgaben für Inhouse-Anwälte
ESG, künstliche Intelligenz und digitale Geschäftsmodelle bescheren den Rechtsabteilungen mehr Arbeit. Die neuen Themen bieten gleichzeitig Chancen für die Karriere. Denn für den Erfolg von Unternehmen spielen Juristen eine immer zentralere Rolle.
Wenn Kanzleien wachsen wollen, um lukrative Mandate bearbeiten zu können, dann stellen sie mehr Anwälte ein und winken dafür mit exorbitanten Einstiegsgehältern. In Unternehmen ist es nicht ganz so einfach. Mehr Personal und Budget gibt es nicht, sagen Chefjuristen deutschlandweit. Drei Viertel der Rechtsabteilungen müssen neue Aufgaben mit Bordmitteln stemmen, hat eine Umfrage von JUVE in Inhouse-Abteilungen ergeben.
Dabei gibt es wirklich genug zu tun. Für knapp 60 Prozent der Syndizi ist laut dieser Umfrage klar: Die grüne Transformation von Unternehmen nach den Kriterien Umwelt, soziale Aspekte und gute Unternehmensführung (Environment, Social, Governance; ESG) wird sie in Zukunft und vor allem langfristig stärker beschäftigen. Schon immer ist das G für Governance eine Kernaufgabe der Rechtsabteilung, um Haftungsrisiken für Unternehmen und Management zu minimieren. Obenauf kommen seit 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und in Kürze die ‚Corporate Responsibility Reporting Directive‘ (CSRD), mit der Brüssel viele europäische Unternehmen zu Nachaltigkeitsberichten verpflichtet. Weitere Verschärfungen drohen durch die geplante ‚Corporate Sustainability Due Diligence Directive‘ (CSDDD) der EU: Unternehmen haften danach beispielsweise auch, wenn Geschäftsmodell und Strategie nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens übereinstimmen. Deshalb sind Syndizi stärker als Risikomanager gefordert und nehmen einen Bedeutungsgewinn ihrer Abteilung wahr.
Transformation mit Juristen
Mehr Arbeit verschafft auch die digitale Transformation. Rund die Hälfte der General Counsel (Chefjuristen) erwartet eine höhere Auslastung durch künstliche Intelligenz (KI) im Unternehmen sowie durch Cybersecurity. 45 Prozent rechnen mit intensiver Beschäftigung durch digitale Geschäftsmodelle – auch Christoph Radke, General Counsel und Chief of Compliance beim Energieversorger E.on: „Digitalisierung ist eine der strategischen Säulen von E.on. So arbeiten wir gezielt an der digitalen Vernetzung von Energieerzeugern und Verbrauchern. Smarte KI-Technologie kann helfen, Strom aus Windkraft und Solaranlagen je nach Bedarf zu verteilen, um so die Netze zu entlasten. Das kann ein Stück weit den schleppenden Netzausbau überbrücken.“

Um die Weichen für die neuen, datengetriebenen Produkte rechtssicher zu stellen, verfolgt ein Mitarbeiter laufend das Gesetzgebungsverfahren für den ‚EU Artificial Intelligence Act‘, der künftig Regeln für KI definiert, sowie für den ‚EU Data Act‘, der regelt: Wer darf Daten aus Sensoren vernetzter Geräte im Internet der Dinge wie nutzen? Die Beratung durch eine spezialisierte Inhouse-Juristin stellt sicher, dass beim Design der neuen Geschäftsmodelle sämtliche Aspekte des Datenschutzes von vornherein mitgedacht werden.
KI weckt Hoffnung auf mehr
Mit anderen Worten: Der Input der Juristen wird immer zentraler für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Um mehr Freiraum für Aufgaben wie diese zu schaffen, investiert laut JUVE-Inhouse-Umfrage etwa jeder dritte Syndikus in diesem Jahr in KI oder plant dies in den nächsten zwei bis drei Jahren. Rund 43 Prozent wollen 2024 mit Legal-Tech-Tools weitere Kapazitäten schaffen, etwa ein Drittel hat dies für die nächsten zwei bis drei Jahre auf dem Zettel. „Wir erhoffen uns beispielsweise durch KI eine schnellere Bearbeitung der Klagen von Fluggästen. Doch noch sind wir ohne schneller“, stellt Isabel Giancristofano fest, Director Legal & Compliance bei der Airline Condor.
„In einen interessanten Bereich kommen bislang nur Anwendungen zur Fristenkontrolle oder zum Einlesen von Dokumenten mit einer Fehlerquote von etwa 5 Prozent.“ Denn bevor KI die Effizienz steigert, müssen Rechtsabteilungen diese erst für die spezifischen rechtlichen Inhalte des einzelnen Unternehmens trainieren, was sehr aufwendig ist.

Zeit kostet auch die Kontrolle, da die Systeme bislang nicht immer nachvollziehbare Ergebnisse liefern. Einen weiteren Grund, warum es oft noch hakt, nennt Dr. Kai Simon, Head of Legal Germany and Diagnostics Global Operations beim Pharmaunternehmen Roche Diagnostics in Penzberg bei München: „Fehlt es an einem grundlegenden Prozessmanagement, bringt auch die schlaueste KI keinen Effizienzgewinn. Doch häufig mangelt es bereits an einem Problembewusstsein dafür, dass sich die Systeme nur für standardisierte Prozesse einsetzen lassen.“
„KI nutzt der Rechtsabteilung nur bei standardisierten Prozessen.“
Juristen schauen auf das Ganze
Ob es um KI oder Cybersecurity geht oder darum, Regelwerken wie dem deutschen oder europäischen Lieferkettengesetz Herr zu werden: Syndizi müssen die Abläufe im gesamten Unternehmen durchdringen. Und zunehmend auch im Zusammenspiel mit den Zulieferern. Roche-Chefjurist Simon sagt: „Da die Strukturen immer häufiger sehr komplex sind, bedarf es einer ‚Compliance by Design‘. Damit ist gemeint: Wie kann ich die Prozesse so strukturieren und bestenfalls automatisieren, um gesetzeskonformes Verhalten sicherzustellen?“ Das wiederum erfordere einen neuen Typ Jurist – einen, der sich als ‚Legal Designer‘ versteht. Er kommt zu innovativen Lösungen, indem er die Perspektive von Anwendern anderer Fachbereiche mitdenkt: „Nur wer weiß, wie komplex es sein kann, einen Sachverhalt zu erforschen und zu strukturieren, lässt den Chatbot die richtigen Fragen stellen, anhand derer er dann das passende Vertrags-Template auswirft.“

Bei datengetriebenen Produkten müsse der Fokus zudem auf dem Endkunden liegen, so Simon: „Für digitale Diagnose- und Behandlungsprogramme, die Prävention oder Medikation optimieren, spielt auch das Vertrauen der Patienten in den Schutz ihrer Daten eine wichtige Rolle.“ Die Vermeidung von Bußgeldern für das Unternehmen und die rechtlichen Anforderungen an den europäischen Gesundheitsdatenraum sind nur eine Seite der Medaille. Damit das Geschäftsmodell ein Erfolg wird, muss der Inhouse-Jurist auch verstehen: Wann ist die Sicherheit des Datentransfers für den Patienten gewährleistet, ohne dass dies auf Kosten der Nutzerfreundlichkeit geht?
Eine Frage der Kommunikation
Schon bisher seien Compliance- und Governance-Themen oft ein Sprungbrett für die Karriere gewesen, weil die Verantwortlichen die ganze Bandbreite eines Konzerns kennenlernen und ihr Netzwerk ausweiten: Angefangen beim Vorstandsbüro über Finanz- und Rechnungswesen oder Controlling bis zur Personalabteilung, berichtet E.on-Compliance-Chef Radke, der selbst dafür ein Beispiel ist. Als Voraussetzung nennt er: „Eine gute Kommunikation und der Fokus darauf, Prozesse so rechtssicher wie nötig und zugleich so unbürokratisch und pragmatisch wie möglich zu gestalten.“ Verständlichkeit sei entscheidend für Inhouse-Juristen, bestätigt auch Dr. Hilka Schneider, bis Ende 2023 General Counsel und Mitglied des Executive Committee des Farben- und Spezialchemieherstellers Akzo Nobel mit Hauptsitz in Amsterdam: „Es braucht Mut zur einfachen Sprache.“

Unter diesen Vorzeichen verleiht nun die wachsende Bedeutung von ESG Schubkraft für die Karriere, finden rund 56 Prozent der Umfrageteilnehmenden: „Juristen bekommen damit eine Bühne im Unternehmen. Wenn wir als Zulieferer den Goldstandard für Nachhaltigkeit von einem Zertifizierer wie EcoVadis verliehen bekommen, färbt das auf die Mitarbeitenden der Rechtsabteilung ab“, sagt Martin Kühle, General Counsel bei Phoenix Contact, einem Hersteller von Automatisierungstechnik für das Laden von Elektromobilen, Solaranlagen, Windparks und Industrie im ostwestfälischen Blomberg. „Zudem bietet ESG Chancen für Teilzeitkräfte, um Karriere zu machen. Die Aufgaben sind viel besser planbar als etwa die Vertragsprüfung“, ergänzt Condor-Juristin Giancristofano.
„Wirtschaftsjuristen punkten mit Legal-Tech-Kenntnissen.“
Techie schlägt Expat
Beflügelte bislang oft ein Wechsel ins Ausland oder in andere Abteilungen im Unternehmen die Karriere, halten dies jetzt nur noch rund 17 beziehungsweise 24 Prozent der JUVE-Inhouse-Umfrageteilnehmer für aussichtsreich oder sehr aussichtsreich. Stattdessen sind Tech-Themen Trumpf. 57 Prozent sehen in der digitalen Geschäftsentwicklung des Unternehmens eine Chance für den Aufstieg. Ein konkretes Beispiel ist die neu geschaffene Stelle des Leiters Recht von E.on One, einer Tochtergesellschaft des Konzerns für digitale Lösungen zur Steigerung der Energieeffizienz: „Zunächst aus der Konzern-Rechtsabteilung durch einen Lead Lawyer beraten, konnte die Stelle mit einem Talent besetzt werden, das sich nun in Fragen rund um neue datengetriebene Geschäftsmodelle von E.on One bewähren wird“, sagt Radke.
Fast jeder zweite hält KI für einen Karrieretreiber, mit 46 Prozent ebenfalls fast die Hälfte Legal Tech und etwa 40 Prozent Legal Operations. „Das gilt insbesondere auch für Wirtschaftsjuristen, die beispielsweise das Wahlpflichtfach Legal Tech belegt haben“, sagt Bina Brünjes, Leiterin des Geschäftsbereichs Legal beim Personaldienstleister Hays in Frankfurt.
Karrieretreiber für Juristen im Unternehmen
Die Qualifikation als guter Jurist ist eine Seite der Medaille. Bei der digitalen und grünen Transformation punkten Unternehmensjuristen zusätzlich mit:
- Verständnis für Prozesse und Prozessabläufe im eigenen Unternehmen, bei Kunden und Zulieferern
- Neugier auf Neues
- Fähigkeit zum Perspektivwechsel: einerseits die internen Mandanten aus den Fachbereichen im Blick haben und andererseits den Endkunden neuer Geschäftsmodelle
- Pragmatismus
- Kreativität
- Gestaltungswille
- Kommunikationsgeschick: Verkäufertalent für die Belange der Rechtsabteilung, verständliche Sprache statt Juristendeutsch
Nachhaltigkeit lockt Bewerber
Zugleich gewinnen die neuen Themen stark an Bedeutung für das Employer Branding, so Brünjes: „Die Gen Z legt Wert auf ein modernes Arbeitsumfeld. Wenn Unternehmen intern KI-Kompetenz aufbauen, ist das ein Mehrwert, mit dem sie punkten können. Dasselbe gilt für die grüne Transformation, da kann man Nachwuchsjuristen damit locken, dass sie Aufbauarbeit machen.“ Diese Erfahrung macht auch Phoenix Contact-Chefjurist Kühle: „Junge Bewerbende sagen: Ihr seid doch die, die sich bei ESG engagieren. Es gibt ihnen ein gutes Gefühl, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, der zu mehr Klimaschutz und besseren sozialen Standards beiträgt.“ Viele hätten zudem Spaß daran, ganz neue Geschäftsmodelle zu konzipieren, die etwa mit Hilfe von KI die digitale Planung von Anlagen optimieren.