Krisenretter im Dauereinsatz

Wer im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht Karriere macht, bekommt einen tiefen Einblick, wie Unternehmen ticken. Stehen Tausende Jobs oder Millionen Euro Schulden im Feuer, rücken Insolvenzverwalter ins Rampenlicht.

Etwa 18.000 Firmeninsolvenzen pro Jahr – damit liegt die Zahl der Pleiten laut Creditreform wieder auf dem Niveau des letzten Vor-Corona-Jahres 2019. Geht einem Unternehmen das Geld aus oder ist es überschuldet, muss der Geschäftsführer beim Amtsgericht vor Ort einen Insolvenzantrag stellen.

Der Richter bestellt dann einen Insolvenzverwalter, in der Regel ein Anwalt, der das Steuer übernimmt. „Gleich nach dem Anruf sitzt man im Auto. Der Verwalter muss sofort vor Ort sein, um sich in den ersten Tagen einen Überblick zu verschaffen“, berichtet Joachim Exner von der Kanzlei Dr. Beck & Partner. Als Insolvenzverwalter hat Exner im vergangenen Jahr den Auto­zulieferer Dr. Schneider an die Samvardhana Motherson-Gruppe verkauft, einen strategischen Investor. „Ein Team aus 16 Kanzleikollegen war im Verfahren beschäftigt, das gesamte Unternehmen zu beleuchten: Buchhaltung, Anlagevermögen, Personal, Lieferanten und Auftragslage“, so Exner. Zu entscheiden war zudem: Welche Maßnahmen sind notwendig, um den Geschäftsbetrieb fortzuführen? „Ein Investor, der die Existenz des Unternehmens sichert, lässt sich nur finden, wenn die Kunden überzeugt werden, weiter mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. Dasselbe gilt für die Lieferanten“, berichtet Exner.

Kein Nine-to-five-Job: Christoph Niering, Namenspartner von Niering Stock Tömp, war bereits bei mehr als 2.000 Insolvenz- und Eigen­verwaltungsverfahren im Einsatz. (Foto: Niering Stock Tömp)

Bei Dr. Schneider war trotz eines Jahresumsatzes von 500 Millionen Euro keinerlei Liquidität vorhanden. Damit der Betrieb weiterläuft, brauchte Exner 30 Millionen Euro und beschaffte das Geld über Vorauszahlungen und sogenannte Massedarlehen. Mindestens genauso wichtig sei es aber, die Mitarbeitenden bei der Stange zu halten: Dazu mussten die 2.100 Beschäftigten umfassend über die Pläne des Verwalters informiert werden. Zugleich galt es, ihre Bezahlung sicherzustellen durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes. „Wenn es zu Massenkündigungen kommt, wird kein Investor den Betrieb kaufen“, so Exner.

Unternehmer auf Zeit

Sitzt sofort im Auto: Wenn der Anruf vom Richter kommt, fährt ­Joachim Exner, Dr. Beck & Partner, direkt zum insolventen Unter­nehmen. (Foto: Dr. Beck & Partner)

Gerade am Anfang eines Verfahrens sei die Insolvenzverwaltung kein Nine-to-five-Job, weiß auch Dr. Christoph Niering. Der Namensgeber von Niering Stock Tömp ist seit mehr als 30 Jahren aktiv und war in über 2.000 Insolvenz- und Eigenverwaltungsverfahren im Einsatz: „Dann sind schon mal Wochenenden und auch der bevorstehende Urlaub in Gefahr.“ Selbst exzellente Jurakenntnisse reichen allein nicht aus. Verwalter sind Generalisten: Sie müssen wissen, wie man einen Betrieb führt, und viel von Betriebswirtschaft verstehen. Deshalb sei ein Job als Verwalter der perfekte Mix aus Wirtschaftsrecht und betriebswirtschaftlichem Know-how, so Exner: „Der Anwalt berät, aber der Insolvenzverwalter entscheidet. Das ist ein extrem interessantes Aufgabenfeld, jeden Tag aufs Neue spannend.“

Wenn es um große Insolvenzen geht, stehen Verwalter im Kreuzfeuer von Presse und Öffentlichkeit: Etwa Arndt Geiwitz, als rund 25.000 Schlecker-Frauen nach der Pleite der Drogeriekette ihren Job verloren. Ebenso Dr. Michael Jaffé, der wie ein Kriminalist den Wirecard-Skandal aufarbeitet und mit Vorständen und Aufsichtsräten des Finanzdienstleisters um 140 Millionen Euro streitet. Oder Stefan Denkhaus von BRL Boege Rohde Luebbehuesen. Als Verwalter von Galeria Kaufhof Karstadt ist er ganz nah an der Insolvenz der Immobiliengruppe Signa, bei der Milliarden Euro im Feuer stehen. In der Regel bestellen die Gerichte bei einer Pleite von Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitern und Millionen oder gar Milliarden Euro Schulden keinen als Verwalter, der unter 40 ist.

Junge Anwältinnen und Anwälte arbeiten erst einmal einem gestandenen Kollegen zu. „Insolvenzverwaltung ist keine One-Man-Show, sondern immer auch Teamarbeit. Daher muss man sein Team organisieren, anleiten und motivieren. Man muss sich aber auch in gleicher Weise diszipliniert in diese Teamarbeit einbringen“, so Niering. Nicht zuletzt sei eine gehörige Portion Sozialkompetenz und emotionale Resilienz gefragt, da sich der Insolvenzverwalter in einem schwierigen Spannungsumfeld bewege: „Häufig sind bei dem Unternehmer selbst, aber auch bei Mitarbeitern und Lieferanten Existenzen gefährdet. Zukunftsangst, Frustration, aber auch Wut machen sich breit.“ Hier den Beteiligten die notwendigen Schritte mit Fingerspitzengefühl zu vermitteln und trotzdem auch ein offenes Ohr für deren Sorgen zu haben sind nach Nierings langjähriger Erfahrung nicht zu unterschätzende Erfolgsfaktoren für Berufseinsteiger (Box: Viel mehr als Jura).

Gute Arbeit bringt gute Vergütung

Verwalter agieren als Treuhänder und Vertrauensperson für die Gläubiger, mit dem Ziel, für sie eine möglichst hohe Quote zu erzielen, also möglichst viele ihrer Forderungen zu erfüllen. Das zahlt sich auch für den Verwalter aus. Je höher die Quote, desto höher ist auch seine Vergütung. Alles in allem sei das eine mehr als spannende und befriedigende Tätigkeit, sagt Niering: „Anders als der Rechtsanwalt, der immer nur die Interessen seines Mandanten vertritt, baut der Insolvenzverwalter Brücken zwischen allen Verfahrensbeteiligten.“ So sorge er für einen Ausgleich der Interessen in einem sehr schwierigen Umfeld. „Wenn dann die Sanierung gelingt, Arbeitsplätze erhalten und ein Produkt oder eine Dienstleistung auf Dauer am Markt bleibt, ist dies häufig die größte Anerkennung“, so Niering.

Anwälte als Notärzte

Das Image von Insolvenzverwaltern und Restrukturierungsberatern hat sich stark gewandelt: Früher war nicht selten von Unternehmensbestattern oder gar Aasgeiern die Rede, heute spricht die Branche eher von Notärzten oder Feuerlöschern für Betriebe in der Krise. Eine Pleite steht nicht mehr zwingend für ein Scheitern und das Ende des Unternehmens.

Viele Spezialisierungen sind denkbar: Maximilian Pluta, Partner der gleichnamigen Kanzlei, ist Verfechter des Drei-Säulen-Modells. (Foto: Pluta)

Um die Sanierungschancen zu verbessern, hat der Gesetzgeber mehrfach die Initiative ergriffen. Wenn Unternehmen finanziell ins Schlingern geraten, können Manager seit 2012 laut Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) auf dem Fahrersitz bleiben. Wie bei der Textilkette Adler oder dem Toilettenpapierhersteller Hakle legt der Insolvenzrichter die Geschicke des Unternehmens bei einer sogenannten Eigenverwaltung nicht in die Hände eines Insolvenzverwalters. Stattdessen stellt er dem Geschäftsführer einen Sachwalter an die Seite, um gemeinsam einen Rettungsplan zu erarbeiten und beispielsweise Investoren zu suchen. Voraussetzung: Das Geschäftsmodell muss wettbewerbsfähig sein.

Das vor drei Jahren eingeführte Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen (StaRUG) setzt noch früher an. Ganz ohne Gang zum Insolvenzgericht können strauchelnde Unternehmen sich damit selbst sanieren und beispielsweise von Verträgen mit zu hohen Mieten lösen, die ihnen die Kehle zuschnüren. Oder indem Gläubiger überstimmt werden, die sich einer finanziellen Restrukturierung in den Weg stellen. Experten im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht stellen dann wie beim Automobilzulieferer Leoni, den Schuhfilialisten Salamander und Klauser oder der Modekette Gerry Weber gemeinsam mit dem Management einen Plan auf, um etwa die Mehrheit der kreditgebenden Banken und Gesellschafter davon zu überzeugen, dass ein Unternehmen infolge der Sanierung fit für die Zukunft wird.

Infolge der neuen gesetzlichen Möglichkeiten haben sich auch die Karrierechancen im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht noch einmal verbreitert: Klassische Verwalterkanzleien wie Dr. Beck & Partner, Jaffé, Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen (MHBK) oder Niering Stock Tömp legen den Fokus weiterhin darauf, von den Insolvenzgerichten als Verwalter bestellt zu werden. Eine Alternative für den Berufseinstieg sind Kanzleien wie Anchor, Grub Brugger, Pluta oder Schultze & Braun mit einem Drei-Säulen-Modell aus Verwaltung, Management-Beratung plus Anwälten, die im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht auch dazu beraten, wie sich der Gang zum Insolvenzgericht vermeiden lässt.


Viel mehr als Jura

Top Ten der Schlüsselqualifikationen für eine Karriere im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht:

  • Interesse für Betriebswirtschaft und das Management von Unternehmen
  • Gutes Projektmanagement
  • Soziale Kompetenz, Empathie und emotionale Resilienz: Verständnis für Unternehmer und Mitarbeitende in einer Krisensituation
  • Verantwortungsbewusstsein und Freude daran, Verantwortung zu übernehmen
  • Stressresilienz
  • Flexibilität und gutes Selbstmanagement
  • Konfliktfähigkeit
  • Kommunikationstalent, um schwierige Gespräche zu entkrampfen und auf die Sachebene zu führen, Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft
  • Hands-on-Mentalität
  • Teamfähigkeit und Spaß an der Arbeit mit Menschen

Die ganze Bandbreite

Dr. Maximilian Pluta, selbst Rechtsanwalt, Diplom-Kaufmann und Steuerberater sowie Managing-Partner der gleichnamigen Kanzlei, nennt als Vorteil des Drei-Säulen-Modells: „Man kann sich als Berufseinsteiger die ganze Bandbreite an Möglichkeiten anschauen – von der Management-Beratung bei Refinanzierungen, als klassischer Verwalter oder Anwalt, der Haftungs- und Anfechtungsklagen betreut. Oder als M&A-Spezialist für den Verkauf von Unternehmensteilen etwa infolge der Transformation zur Elektromobilität.“ Anschließend könne man sich dann endgültig für einen Bereich entscheiden.

Zudem gibt es einige breit aufgestellte Wirtschaftskanzleien, die sich als Allrounder einen Namen gemacht haben und deren Juristinnen und Juristen sowohl eine Rolle als Verwalter übernehmen als auch zu Refinanzierungen und Restrukturierung beraten. Dazu zählen etwa CMS Hasche Sigle, Görg, SZA Schilling Zutt & Anschütz oder White & Case.

Geduld ist gefragt: Alexandra Schluck-Amend von CMS Hasche ­Sigle, macht Berufseinsteigern keine Illusionen. Bis zum Experten dauert es fünf bis zehn Jahre. (Foto: Florian Gerlach)

Dr. Alexandra Schluck-Amend, Leiterin Restrukturierung und Insolvenz bei CMS, legte den Grundstein ihrer Karriere in der Verwaltersparte der Insolvenzkanzlei Wellensiek. Nach dem Wechsel zu CMS war sie einige Jahre als Verwalterin beim Amtsgericht Esslingen gelistet. „Wer zu uns kommt, sieht sehr spannende Fälle“, wirbt Schluck-Amend und nennt als Beispiele Riesen­insolvenzen etwa der Greensill Bank oder die Verstaatlichung der früheren Gazprom Germania zur Securing Energy for Europe (SEFE). Damit sollten Turbulenzen auf dem Gasmarkt verhindert werden, die infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine drohten. „An so großen Fällen sitzt man schon mal über Monate, manchmal Jahre. Das ist sehr anspruchsvolle Arbeit am juristischen Hochreck“, so Schluck-Amend. Vorteil einer breit aufgestellten Einheit wie CMS sei dabei: „Einsteiger bekommen eine große Bandbreite mit, weil wir nahezu auf jedem Gebiet einen Spezialisten aus der Kanzlei hinzuziehen können: Von Finanzierung und Steuerrecht über europäisches Beihilferecht bis zum Krankenhausrecht und Fragen der Sozialversicherung.“

Mehrere Wege führen zum Ziel

Der Weg einer Karriere im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht kann auch in eine Wirtschaftskanzlei ohne Verwalter führen, aber dafür mit einem Team, das sich auf Insolvenzen, Sanierung oder den Kauf von Unternehmen in der Krise spezialisiert hat, sogenannte Distressed-M&A-Transaktionen. So beraten nationale und internationale Großkanzleien wie Allen & Overy, Clifford Chance, Latham & Watkins, Gleiss Lutz oder Görg häufig Hedgefonds oder Private-Equity-Gesellschaften in deren Rolle als Gläubiger oder Investoren.

Oder sie sind auf der Seite der kriselnden Unternehmen im Einsatz, etwa wenn internationale Investoren frisches Kapital zuschießen. Zudem werden sie von Verwaltern gerne in internationalen Fällen wie der Insolvenz von Dr. Schneider zugezogen, wenn es beispielsweise darum geht, Insolvenzen ausländischer Tochtergesellschaften zu verhindern und je nach Land unterschiedliche Insolvenzregeln gelten. Kanzleien wie act AC Tischendorf oder Finkenhof legen den Fokus vor allem auf Unternehmen sowie deren Management und beraten beispielsweise zu Refinanzierungen oder bereiten Sanierungen in Eigenregie vor.

Berufseinsteiger im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht brauchen allerdings etwas Geduld. „Man muss sich Zeit geben und lernwillig sein: Es dauert mindestens fünf bis zehn Jahre, um Experte zu werden und so sattelfest zu sein, dass ein gestandener Unternehmer einen als Berater akzeptiert“, sagt Pluta. Da man in der Regel keine Dauermandanten hat, ist laut Schluck-Amend zudem wichtig, gut im Netzwerken zu sein und Kontakte zu Unternehmensberatern sowie Banken aufzubauen, aber auch zu erfahrenen Anwälten, Richtern und anderen Fachleuten im Bereich Insolvenz- und Restrukturierungsrecht. „Das hilft nicht nur bei der Jobsuche, sondern liefert auch wertvolle Einblicke und Ratschläge.“

Zwar gehören in der Anfangsphase einer Insolvenz 14- bis 16-Stunden-Tage zum Alltag, doch die Kanzleien bemühen sich um Ausgleich in ruhigeren Phasen: „Frauen haben im Team einen Anteil von 50 Prozent. Mit maßgeschneiderten Arbeitszeitmodellen wollen wir dafür sorgen, dass Work-Life-Balance und Familie nicht aus den Fugen geraten“, sagt Exner. Homeoffice sei bei einem Einsatz als Verwalter allerdings schwierig: „Der ist vor Ort gefragt.“


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