Kreativ gegen Krisen

Bei Jasmin Urlaub rufen Mandanten an, deren Unternehmen oder Lieferanten in finanziellen Schwierigkeiten sind. Damit die Rettung gelingt, ist mehr als juristisches Know-how gefragt.

Was Jasmin Urlaub bei ihrer Arbeit besonders motiviert? „Es geht darum, Unternehmen zu retten.“ Ihr jüngster Fall ist ein gutes Beispiel dafür. Der Spielzeughersteller Haba, bekannt für bunte Brettspiele und Spielwaren aus Holz, durchlief eine Sanierung in Eigenverwaltung. Urlaubs Kanzleikollege Martin Mucha steuerte ab Herbst 2023 als Generalbevollmächtigter im Unternehmen die Rettungsaktion. Urlaub war im Einsatz, um das Team bei Antragstellung, im Verfahren und vor allem bei den Insolvenzplänen zu unterstützen, mit denen das fränkische Unternehmen neu aufgestellt werden sollte.

Anfang Februar kam die Erfolgsmeldung: Die Gläubiger haben dem Sanierungskonzept zugestimmt. Haba kann das Insolvenzverfahren abschließen. Wie bei medizinischen Notoperationen lassen sich auch kriselnde Unternehmen oft nicht ohne schmerzhafte Einschnitte retten. Im Fall von Haba bedeutet das: Für den Produktionsstandort Eisleben gibt es keine Zukunft mehr. Von fast 1.700 Beschäftigten behalten nur 1.000 ihre Jobs.

„Um helfen zu können und Handlungsspielräume für eine Sanierung auszuloten, braucht man nicht nur rechtliche Expertise. Gefragt sind auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Problembewusstsein für weitere Themen etwa zu Steuern“, sagt Jasmin Urlaub. Sie ist Partnerin bei Grub Brugger, einer auf Restrukturierung und Insolvenz spezialisierten Kanzlei mit Stand­orten in Stuttgart, Frankfurt, München und Freiburg. Zunächst komme es darauf an, die Ursachen einer Krise zu erkennen. Und wie funktioniert das Unternehmen? Produktion, Vertrieb, Einkauf, Mitarbeitende und Anteilseigner können jeweils eine Quelle für Probleme sein. Gerät ein Unternehmen in finanziell schwieriges Fahrwasser, muss die 43-Jährige sehr viele Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen vom Sanierungskonzept überzeugen.

Zum Gespräch trägt sie ein schlichtes blaues Kleid mit langen, offenen Haaren, wirkt natürlich, unkompliziert und zupackend. Man traut ihr direkt zu, dass sie Kompromisse finden und allen Zugeständnisse abringen kann – angefangen bei Gesellschaftern, Gläubiger-­Banken und Kunden über Mitarbeitende und Führungskräfte bis hin zu Lieferanten. Wie das gelingt? „Mit Kreativität, und immer wieder sind auch psychologische Fähigkeiten gefragt, beispielsweise wenn der Gesellschafterkreis zerstritten ist.“

Erfolg mit Teamspirit

Dank der richtigen Mischung aus Soft Skills, Unternehmergeist und erfolgreicher Akquise insbesondere in der Automobilbranche kam Urlaub rasch voran auf dem Partnertrack bei ihrem ersten Arbeitgeber Menold Bezler, einer mittelständischen Wirtschaftskanzlei in Stuttgart. Im Januar 2017 wird die damals 36-Jährige Gesellschafter-Partnerin. Ihr Erfolgsrezept: „Ich habe den Job gefunden, der zu mir passt, das Rechtsgebiet, in dem ich meine Stärken ausspielen kann, und ein Team, das mich unglaublich unterstützt und nie im Regen stehen lässt.“
Nach Studium in Tübingen, Referendariat am Landgericht Rottweil und Promotion in Freiburg im Breisgau bewirbt sie sich in Stuttgart und München. „Es war dann eine Bauchentscheidung, welches Team besser passt“, sagt die gebürtige Rübgartenerin, eine Gemeinde am Rand des Schönbuchs rund 30 Kilometer von Stuttgart entfernt. Zuerst arbeitet die junge Anwältin zweigleisig sowohl im Gesellschaftsrecht als auch im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht. Mit einem Kollegen aus der Insolvenzkanzlei Grub Brugger entwickelt sie ‚Networking@0711‘ als Plattform mit Fachvorträgen für junge Sanierer und Insolvenzrechtler.

Um einen stetigen Fluss an Aufträgen zu haben, baut Urlaub Anker-Mandate großer Unternehmen auf. Diese Mandanten berät sie in deren Rolle als Gläubiger, etwa wenn Lieferanten finanziell ins Schlingern geraten. Urlaubs Team wechselte im Sommer 2021 von Menold Bezler zu Grub Brugger.

Die traditionsreiche Insolvenzkanzlei Grub Brugger hat sich im ehemaligen Allianz-Hochhaus eingemietet. Im Foyer trifft der Besucher auf rote Designersessel und lebensgroße graue Skulpturen mit knallroten Laptops, Smartphones und Kopfhörern, aufgestellt von der Landes­medienanstalt Baden-Württemberg, die im selben Gebäude angesiedelt ist. Mittlerweile hat Jasmin Urlaub so viel zu tun, dass sie den schönen Blick aus ihrem Büro im zehnten Stock über Stuttgarter Innenstadt und Halbhöhen-Villen kaum genießen kann. „Der Augenarzt hat mir geraten, jede Stunde wenigstens für zwei Minuten nicht auf den Bildschirm, sondern in die Ferne zu schauen.“

Zur guten Auslastung beigetragen habe auch das Netzwerk der ‚Distressed Ladies – Woman in Restructuring‘. „Wir tauschen uns fachlich aus und empfehlen uns gegenseitig. Außerdem bekam ich schon früh die Möglichkeit für einen Auftritt beim Handelsblatt-Restrukturierungskongress, der unglaublich viel bewegt hat.“ Es kamen bundesweit Anfragen für Vorträge, unter anderem auf Podien mit mehr als 1.000 Teilnehmenden bei Veranstaltungen, auf denen sie sich als junge Anwältin mit großem Respekt gegenüber Kollegen und Kolleginnen aus allen bekannten Kanzleien der Branche bewegt hat. „Dabei hilft mir noch immer die Erfahrung als Dozentin im Wirtschaftsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen sowie an der Uni Freiburg während der Promotion“, erzählt sie.

Kreative Kompromisse statt Kunstmanagement

In ihrem Alltag erinnert wenig an das ursprüngliche Berufsziel Kunstmanagement, dafür aber der Ausgleich, erzählt Urlaub: „Wenn Mann und Tochter zusammen ins Schwimmbad gehen, setze ich mich auf den Dachboden und male. Früher habe ich mich an Monet, van
Gogh oder Roy Lichtenstein orientiert, jetzt sind die Werke abstrakt.“ Um den Kopf freizubekommen, sei neben Yoga auch Modern Dance idea. „Man denkt nur an die Choreografie.“

Fürs Tanzen bleibe mit Kind und Karriere aktuell aber nur sporadisch Zeit. Allerdings hat sie eine nette Art gefunden, ihre Arbeit mit nach Hause zu nehmen: Ihre dreijährige Tochter fand unter dem Weihnachtsbaum fast ausschließlich Geschenke aus dem Lager des Spielzeugherstellers Haba. Ansonsten hilft gute Teamarbeit mit ihrem Mann, den Spagat als Mutter und Vollzeitpartnerin zu bewältigen.


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