Kommt ein Avatar zum Anwalt

Gleiss Lutz hat ein Büro im Metaverse eröffnet! Diese News schlug im Sommer hohe Wellen – und das zu Recht. Denn Gleiss war die erste deutsche Großkanzlei, die den Schritt in die virtuelle Welt ging.

Der Begriff Metaverse wurde schon 1992 in einem Science-Fiction-Roman verwendet. Doch erst 2021 kündigten große Spiele-Studios wie Epic Games sowie der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg an, Plattformen zu bauen, die „meta“ sind, das heißt über das Dagewesene hinausgehen und ein eigenes Universum („universe“) bilden, in denen man dauerhaft virtuelle Wohn-, Geschäfts- und Bürowelten hochziehen kann. Wobei dieses Metaverse genaugenommen kein Gesamtkosmos ist, sondern sich aus unterschiedlichen Platt­formen zusammensetzt, wie etwa The Sandbox, Genesis World oder Matrix World – und jede Plattform hat ihre eigene digitale Systematik.

Für die Nutzung des Metaverse sind häufig Virtual-Reality-Brillen und Kopfhörer nötig. Nicht so bei Gleiss Lutz. Die Kanzlei hat sich für die Plattform Decentralland entschieden, die man über einen gewöhnlichen Browser, ohne zusätzliche Hardware, betreten kann. Es erscheint eine blockchainbasierte Welt in 3D-Optik, die Gästen kostenfrei offensteht, sobald sie sich mit leicht bedienbarer Grafik einen Avatar gebaut haben.

Dabei lassen sich Geschlecht, Hautfarbe, Haarschnitt und Kleidung anpassen – und die Programmierung ist so gut, dass man am Ende mit Sicherheit weit besser aussieht als Facebook-­Gründer Zuckerberg, der jüngst seinen Avatar auf der Plattform Horizon Worlds zeigte und für dessen Retro-Look er viel Gespött einstecken musste.

Kanzlei in der Lawcity

Decentralland, wo man mithilfe der eigenen Kryptowährung Mana diverse Accessoires für den Avatar und auch virtuelle Ländereien kaufen kann, ist für Anwälte besonders attraktiv: „In der Nähe unseres virtuellen Grundstücks ist die sogenannte Lawcity“, berichtet der Stuttgarter Gleiss Lutz-Partner Prof. Dr. Eric Wagner. Der 41-Jährige ist der sogenannte ‚Resident Partner‘ der digitalen Gleiss-Repräsentanz. Für die Lawcity haben sich im Frühjahr schon ein paar kleinere US-Kanzleien und Rechtsdienstleister zusammengefunden. Sie bilden in der virtuellen Welt einen Legal District.

Den Link zum virtuellen Gleiss-Büro findet man auf der Webseite der Kanzlei, so wie auch die Adressen zu den acht bisherigen Büros in Europa. „Die Standorteröffnung im Metaverse war eine Idee des kanzleiinternen ‚Think Tanks‘, den wir vor ein paar Jahren gegründet haben“, berichtet Wagner. In enger Abstimmung mit der Branchengruppe Digital Economy, die Dr. Moritz Holm-Hadulla leitet, und dem Bereich Legal Operations & Business Technologies, den der IT-affine Diplom-Wirtschafsjurist Marc Geiger verantwortet, wurde die Idee schließlich umgesetzt.Die Grundstücke im Decentralland haben alle die gleiche Größe, ihr Preis ist abhängig von der Lage – je nachdem, ob sie an der prominenten Hauptstraße oder in zweiter Reihe liegen. Es gibt einen zentralen Platz und einen regelrechten Stadtplan. Bei der Gestaltung des neuen Büros entschied sich das Gleiss-Team für eine zweistöckige Immobilie, große Glasfronten und ein dezentes, edles Innendesign. Eine Rezeption sowie ein schmucker Konferenzraum gehören bei Großkanzleien dazu. Die Umsetzung erfolgte kanzleiintern mithilfe der angebotenen Baumaterialien und Ausstattungsobjekte sowie des plattformeigenen Konfigurators. Ein gelungener Auftritt, erzählt Wagner: „Wir haben sowohl von Mandanten als auch von anderen Kanzleien nach der Büroeröffnung sehr viel sowie sehr positives Feedback und Anfragen zum Austausch bekommen.“

Coca-Cola, Vodafone, Gleiss Lutz

Dank des weltweiten Presseechos wurden auch internationale Konzerne auf die Kanzlei aufmerksam und auch die öffentliche Hand hat deswegen schon bei ihnen angeklopft. Das Metaverse als Anknüpfungs- und Treffpunkt, im dem ganzheitliche Markenerlebnisse stattfinden – dieses Konzept nutzen Coca Cola und Vodafone für sich, aber auch bekannte Showacts, die virtuelle Konzerte geben. Gleiss Lutz möchte auf diese Weise auch ein attraktiver Arbeitgeber für junge, technikaffine Juristen sein, die spannende Mandantenveranstaltungen und Akquise-­Tools entwickeln oder eben rund um diese neue Welt beraten möchten.

„Fast alle Rechtsbereiche, die wir in Real Life haben, spielen auch eine Rolle im Metaverse“, erläutert Wagner, der selbst schon mit Anfang dreißig Partner bei Gleiss Lutz wurde. Er nennt unter anderem den Datenschutz sowie das Marken- und Lizenzrecht als naheliegende Fachdisziplinen. Mandanten könnten beispielsweise neue Kunstwerke im Metaver­se erschaffen und verkaufen oder virtuelle Fanartikel für Avatare vertreiben – was vertraglich fixiert werden müsste. Wie bei den anderen Social-Media-­Plattformen braucht man auch für das Metaverse Menschen, die eine Affinität zur Technik und Interaktion haben.

Honorare in Kryptowährung?

Direkte Mandatsarbeit erfolgt bei Gleiss noch nicht im Metaverse, die Vergütungs­modelle darin will man mit Blick auf die neuen Geldwäsche-Auflagen noch ausführlicher klären. „Wir schließen es für die Zukunft nicht aus, dass uns Mandanten in Kryptowährungen bezahlen können“, hieß es aus der Kanzlei, die für die Büroeröffnung und den weiteren Unterhalt schon ein Wallet aufgebaut hat.

„Das neue Büro ist im Moment ein weiterer Kontaktpunkt zu unseren Mandanten und eine Art Base Camp“, fasst Wagner zusammen. Es soll weiterentwickelt werden, wie jeder andere Standort auch. Als die Büroeröffnung bekanntgegeben wurde, wurde die Kanzlei zum ‚Talk of the Legal Town‘, selbst in der Hauptstadt Berlin, wo sie ebenfalls ein Büro hat und wo viele innovative Tech-Start-ups sitzen. Ein Wettbewerber lobte den „coolen Schritt“ von Gleiss und fragt sich nun, warum er nicht selbst ­daran gedacht hatte.

Gleiss ist gerne Pionierin. Sie eröffnete schon 1962 als erste deutsche Kanzlei ein Büro in Brüssel. Nun betreibt sie ein solches im digitalen Universum. Und auch wenn das virtuelle Geschäftsleben noch in den Kinderschuhen steckt: „Ich glaube, mit diesem Büro bekommen viele eine Idee, was im Metaverse möglich ist“, sagt Wagner verschmitzt.

In dieser Rubrik kommentieren und erläutern Autoren der JUVE-Redaktion aktuelle Themen aus dem Anwaltsmarkt. Sonja Behrens ist Fachredakteurin im Team JUVE Rechtsmarkt.


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