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Alle wollen künstliche Intelligenz – auch die großen Wirtschaftskanzleien. Dafür brauchen sie Fachkräfte, die juristisches mit technologischem Know-how verbinden. Doch welche Entwicklungsperspektiven können sie Legal Engineers und KI-Experten bieten?
Es gibt Karrierewege, die sind geprägt von Zufällen und glücklichen Fügungen. Für Juristinnen und Juristen mit dem Ziel Wirtschaftskanzlei ist das ein fremdes Szenario. Schließlich streben viele Top-Absolventen gezielt ihren ersten Arbeitgeber an, der einen klar strukturierten Karrierepfad anbietet, Endstation: Partnerschaft. Doch gerade in großen Kanzleien scheint besonders häufig der Zufall zuzuschlagen, wenn es um Bereiche jenseits von Jura geht, insbesondere bei Legal Tech und KI. Zwar ist der Bedarf an technisch versierten Juristinnen und Juristen, die Digitalisierungsprojekte anschieben und bei der Implementierung von Legal-Tech- und KI-Tools unterstützen, hoch. Bisher fehlt es für sie vielerorts allerdings an institutionalisierten Aufstiegschancen. Und dennoch gibt es sie, die KI-Karriere in der Kanzlei.
Auf der Überholspur

Eine Senior-Position bei der US-Kanzlei Greenberg Traurig in Berlin – und das mit U30. Willy Kleinoth kann das von sich behaupten. Als Senior Legal Innovation Manager ist der 27-Jährige für die technologische und strategische Entwicklung des bisher einzigen deutschen Büros in Berlin und die Organisation der notwendigen Infrastruktur zuständig. Dass er in kürzester Zeit einmal in Partnerausschüssen sitzen würde, hätte sich Kleinoth vor rund zwei Jahren nicht träumen lassen. Damals war er von CMS Hasche Sigle zu Greenberg gewechselt. Obwohl er bei CMS zuvor im Legal Tech gearbeitet hatte, heuerte Kleinoth bei Greenberg zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Corporate- und M&A-Praxis an. „Ich wollte einmal richtig in die Praxis eintauchen und ganz klassische anwaltliche Arbeit machen, bevor ich den Technologie-Schwerpunkt vertiefe“, so Kleinoth. Ein Dreivierteljahr lang tat er genau das, bis das Thema Legal Tech zu ihm zurückkam. Denn auch bei Greenberg war das Interesse groß, durch den gezielten Einsatz von Technologie die Arbeit effizienter zu gestalten. Das ließ Kleinoth schnell zu einem gefragten Ansprechpartner werden. In einer Präsentation stellte er seine Sicht auf Legal Tech in Wirtschaftskanzleien der gesamten Kanzlei vor. Kurzerhand wurde er für einen Teil seiner wissenschaftlichen Mitarbeit freigestellt, um mit den Legal-Tech-Systemen der Kanzlei zu arbeiten und technische Lösungen zu entwickeln, die in der Mandatsarbeit helfen. Seinem Praxisgruppenleiter versprach er damals auch, das Zweite Staatsexamen noch abzulegen. Doch dann entwickelten sich Legal Tech und KI so rasant, dass Kleinoth bereits im Mai 2023 zum Senior Legal Innovation Manager aufstieg. „Niemand hat damit gerechnet, dass der KI-Einsatz in Wirtschaftskanzleien so schnell an Fahrt aufnehmen wird“, erzählt Kleinoth. „Ich habe mich daher dazu entschlossen, nicht mehr dem klassischen Juratrack zu folgen, sondern mich ausschließlich auf Legal Tech, Innovation und Change Management zu konzentrieren.“ Der Kompromiss zum Zweiten Examen ist nun ein Master of Business Administration, den er berufsbegleitend absolvieren kann. „Für mich war klar, dass ich noch eine aufbauende Ausbildung haben will“, sagt Kleinoth. „Wenn man sich die Schwerpunkte anschaut, dann ist das Zweite Staatsexamen vielmehr ein Titel und das MBA-Studium eine sinnvolle Ergänzung zu den Fähigkeiten, die ich bereits habe.“
Dass es für ihn innerhalb der Kanzlei noch keinen vorgezeichneten Karrieretrack gibt, wie es bei seinen Associate-Kollegen der Fall ist, stört Kleinoth nicht. Es sei eben noch vieles im Fluss. Abschrecken lassen sollten sich techaffine Nachwuchsjuristinnen und -juristen dadurch jedenfalls nicht – im Gegenteil: „Ich sehe hier viel Potenzial für spannende Karrierewege. Gerade weil der Bereich noch so dynamisch ist, kann man viel mitgestalten.“ Als Beleg dafür sieht er den Aufbau seines Teams, dem seit diesem Jahr auch eine Datenanalystin und eine Projektmanagerin angehören. Zu dritt sind sie ausschließlich für Legal Innovations bei Greenberg zuständig und wollen weiterwachsen. Aus einer anfänglichen Idee ist damit eine feste Abteilung geworden.
Durch Zufall zum Schicksalstreffer

Auch Alexander Lilienbeck verschlug es durch eine glückliche Fügung auf den Legal-Tech-Pfad. Obwohl im Herzen immer schon ein ‚Techie‘ studierte er zunächst Jura. Auf der Suche nach einer Stelle als Trainee bewarb sich Lilienbeck im Frühjahr 2018 bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton in Düsseldorf und landete im Tax-Technology-Team, das sich zu der Zeit gerade im Aufbau befand. „Im Bewerbungsgespräch wurde ich das erste Mal damit konfrontiert, dass es inzwischen extra Einheiten gibt, die sich damit beschäftigen, rechtliche Themen digital zu lösen“, so Lilienbeck. Zwar wäre eine Tätigkeit im Bereich Legal Tech auch damals ohne Zweites Staatsexamen denkbar gewesen. Trotzdem entschloss sich Lilienbeck, die zweite juristische Staatsprüfung abzulegen: „Damals steckte der Bereich noch in den Kinderschuhen und ich selbst kannte niemanden, der in Legal Tech Karriere gemacht hat, der nicht vorher schon Partner in einer Kanzlei war. Ich wollte einfach auf Nummer sicher gehen.“ So stieg er 2019 bei Osborne Clarke zunächst als Referendar ein und spezialisierte sich während seiner Associate-Ausbildung auf die Beratung und Vertretung von Unternehmen in IT- und datenschutzrechtlichen Fragestellungen. Heute ist Lilienbeck sogenannter Solutions Architect bei Osborne in Köln. Die Kanzlei entwickelt in einer eigenen Tochtergesellschaft, der OC Services, Technologie- und Legal-Operations-Lösungen und setzt dafür auf ein interdisziplinäres Team. Der klassischen Rechtsberatung hat Lilienbeck damit den Rücken gekehrt: Bei OC Services arbeitet er eng mit dem Entwicklerteam aus Informatikern zusammen, plant Tools durch und steht als Vermittler und Sprachrohr zwischen Juristen und Technikern. Eine Verbindung, die zentral für die Weiterentwicklung von digitalisierter Rechtsberatung ist. „Wie nützlich ein juristischer Hintergrund ist, sehen wir jetzt vor allem mit Blick auf KI. Es geht darum, Use Cases auszumachen und zu schauen, wo der Einsatz von KI Sinn ergibt. Technologieverständnis ist dabei nur eine Seite der Medaille“, sagt Lilienbeck. „Genauso wichtig ist juristisches Denken, etwa beim Prompting. Ich muss in etwa wissen, welche gedanklichen Schritte ein Anwalt macht.“
In puncto Karriereoptionen hat Osborne bereits die nächsten Schritte eingeleitet. So ist Legal Tech in der Kanzlei ein eigener Karrierepfad geworden. Wer sich hierfür entscheidet, verlässt den klassischen Partnertrack. Der Aufstieg erfolgt in der Hierarchie vom Associate über den Junior und Senior Manager bis hin zum Team Lead. Doch wie bei Greenberg und vielen anderen ist der Karrierepfad für technologiebegeisterte Nachwuchsjuristen auch hier längst noch nicht in Stein gemeißelt. Bislang bleiben die KI-Karrierewege meist individuelle Einzelfälle.