KI auf dem Weg in den Hörsaal
Mit dem Einzug von KI-Tools und Large-Language-Modellen wie ChatGPT & Co verändert sich neben der Arbeitsweise auch das Anforderungsprofil für Associates in Kanzleien. Gut beraten ist, wer sich schon frühzeitig damit beschäftigt – im Jurastudium.
Wer eine neue Fähigkeit erlernen will, der ist heute nur wenige Klicks vom nächsten Tutorial entfernt. Als Dr. Pierre Zickert Anfang der 2000er-Jahre seine Leidenschaft für das Programmieren entdeckte, steckte YouTube allerdings noch in den Kinderschuhen. Von seinem Vater, einem Professor für Elektrotechnik, mit Büchern versorgt, brachte sich Zickert das Programmieren im Alter von 13 Jahren daher kurzerhand selbst bei. „Ich habe damals Zeitungen ausgetragen, um mir die neueste Grafikkarte kaufen zu können“, erinnert sich der heute 37-Jährige. Letztlich entschied sich Zickert für ein Jurastudium statt einer Karriere als Informatiker. Mit der wachsenden Bedeutung von Legal Tech im Rechtsmarkt kam das Thema allerdings wieder zu ihm zurück.
Obwohl sich Zickert als Research Associate bei CMS Hasche Sigle mit der Automatisierung von Finanzierungsdokumenten beschäftigt hatte, konzentrierte er sich nach seinem Einstieg als Associate bei Hengeler Mueller zunächst auf die Mandatsarbeit bei Finanzierungen, Internal Investigation und Transaktionen. „Ich wollte mir beweisen, dass ich auch über das notwendige juristische Handwerkszeug verfüge“, sagt Zickert. „Mein Credo war: Erst einmal den Anwaltsberuf erlernen, bevor man ihn revolutioniert. Sonst ist es schräg, mit irgendwelchen Ideen um die Ecke zu kommen, wie sich diese Arbeit automatisieren lässt.“ Als sich die Kanzlei jedoch mit der Frage befasste, wie sich Klageerwiderungsschriftsätze in Massenverfahren und Geheimhaltungsvereinbarungen automatisieren lassen, packte Zickert der Ehrgeiz und er begann, in seiner Freizeit zu tüfteln. Seine Ergebnisse teilte er mit der damaligen Legal-Tech-Arbeitsgruppe. „Eine halbe Stunde später stand der Entschluss, dass wir das in die Praxis umsetzen.“ Hierfür wurde Zickert zunächst projektweise von der regulären Mandatsarbeit freigestellt, bis seine Tätigkeit 2018 schließlich institutionalisiert wurde. Inzwischen ist er Manager des Frankfurter Legal-Tech-Centers von Hengeler Mueller. Dort betreut er Digitalisierungsprojekte und unterstützt die einzelnen Praxisgruppen bei der Implementierung von Legal-Tech- und KI-Tools in die Mandatsarbeit. „Seither bin ich eine Laufbahn entlanggelaufen, die sehr eigen ist und viele Besonderheiten aufweist“, sagt Zickert. Im Gegensatz zum klassischen Hengeler-Karriereweg entfällt für ihn etwa die Rotation von Partner zu Partner. An Abwechslung fehlt es ihm dennoch nicht: So berät er derzeit zum Einsatz von Legal Tech in rund 70 Mandaten.
KI im Curriculum

Nicht nur in der Kanzlei hat er einen Platz für seine Leidenschaft für Legal Tech gefunden. Zickert ist außerdem als Lehrbeauftragter für Legal Tech und AI Governance an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig. „Wir bilden eine neue Generation von Juristinnen und Juristen aus, denn die Jurastudierenden von heute sind die Praktikerinnen und Praktiker von morgen“, ist er überzeugt. Und für die hat er seine eigene Online-Vorlesung konzipiert. Studierende lernen darin anhand von konkreten Beispielen aus dem M&A, aus Litigation und Investigations den Einsatz von Legal Tech und generativer KI im modernen Anwaltsalltag. Dabei legt Zickert besonderen Wert auf eine praxisnahe Herangehensweise: „Die Studierenden wissen ja noch gar nicht, wie die Arbeit in einer kanzleiinternen Praxisgruppe funktioniert und haben dementsprechend keine Vorstellung davon, welche Tools hier wie operieren können.“ Neben Rechtsfragen beim Kauf und der Nutzung von Legal Tech bildet das Thema generative KI einen besonderen Schwerpunkt der Lehrveranstaltung. Zickert zeigt Vor- und Nachteile im Anwaltsalltag und erläutert, wie man diesen mithilfe einer robusten AI Governance begegnen kann.
Auch andere Hochschulen und Jurafakultäten integrieren KI inzwischen in ihre Lehrpläne, darunter die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dort bietet die juristische Fakultät den Begleitstudiengang ‚Rechtsfragen der künstlichen Intelligenz‘ an. Dieser soll Studierenden ein Grundverständnis für die Möglichkeiten des Einsatzes von KI bei der Rechtsanwendung und für damit verbundene rechtliche Fragen vermitteln oder kurz gesagt: KI-Kompetenz schulen.
Rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit KI sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Eine Weiterbildung im technischen Bereich kann eine sinnvolle Ergänzung sein. Das Projekt ‚KI für alle‘ soll in Düsseldorf am Heine Center for Artificial Intelligence and Data Science fakultätsübergreifend die KI-Kompetenz der Studierenden fördern. Es zeigt auf, wie KI in Grundzügen funktioniert oder wie etwa ein Algorithmus programmiert wird. Auch Zickert empfiehlt dem juristischen Nachwuchs die frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema KI: „Die Juristinnen und Juristen, die jetzt studieren, werden in eine Arbeitswelt starten, in der viele Formen von generativer KI vorhanden sein werden – von der bürounterstützenden Anwendung wie Copilot bis hin zu spezifischen Applikationen wie Harvey oder anderen Chatbots. Man sollte daher versuchen, bei diesen technischen Entwicklungen am Ball zu bleiben.“ Am besten nähere man sich dem Thema mit Offenheit, Neugier und einem gewissen Spieltrieb. „Vielleicht holt man sich mit ChatGPT einfach mal ein paar Ideen für den nächsten Urlaub oder Anregungen für ein Weihnachtsgeschenk“, rät Zickert.
Der frühe Vogel …
Denn auch hier gilt: Früh übt sich, wer ein Meister werden will. Wer sich etwa immer schon einmal mit dem Programmieren beschäftigen wollte, mit Dokumentenautomatisierung, Low-Code-Plattformen oder Prompting, der muss nicht wie Zickert in den Nullerjahren stapelweise Bücher wälzen. Das Internet bietet eine Vielzahl niedrigschwelliger Angebote zum sanften Einstieg in die Materie. Wichtig sei, so Zickert, ein gewisses Maß an Eigenmotivation. „Wenn man über technologisches Grundverständnis verfügt und gute juristische Kenntnisse mitbringt, stehen einem bei Legal Tech und KI in der Großkanzlei viele Türen offen, denn der Bewerbermarkt ist nach wie vor eng.“