Karriere im neuen Arbeitsrecht 2.0
Wer Arbeitsrecht als Schwerpunkt im Jurastudium gewählt hat, hat sich die richtige Zeit dafür ausgesucht. Die Karrierechancen sind hier so gut wie nie, denn seit der Corona-Pandemie ist das Arbeitsrecht für die meisten Kanzleien von hoher strategischer Bedeutung. Das Hin und Her von Lockdowns und Lockerungen hat Flexibilität und kreatives Denken gefördert und die arbeitsrechtliche Beratung hat sich stark verändert.
„Wir haben schon früher Rezessionen erlebt, wir dachten, wir wären vorbereitet”, erinnert sich Dr. Katrin Stamer (48) an den Beginn der Corona-Pandemie. Sie ist Gründungspartnerin der Hamburger Arbeitsrechtboutique EmLab Legal. „Aber ab März 2020 war alles anders, es gab einfach unfassbar viel zu tun. An Urlaub war gar nicht mehr zu denken.” Die Corona-Pandemie war für die meisten Wirtschaftsanwälte eine große Herausforderung. Letztlich haben massive staatliche Eingriffe eine lähmende Rezession verhindert. Die Kurzarbeit wurde ausgebaut und viele Arbeitnehmer siedelten ins Homeoffice über.

Deshalb stellten sich zu Beginn der Krise viele arbeitsrechtliche Fragen. Insofern waren es vor allem die Arbeitsrechtler, die unermüdlich dafür kämpften, die deutsche Wirtschaft über Wasser zu halten. Das Telefon stand nicht mehr still, die Mailbox lief über: Fast jedes Unternehmen hatte Dutzende von Fragen, wie es auf die neuen Umstände reagieren sollte. Anwältinnen wie Stamer erlebten das arbeitsreichste Jahr aller Zeiten. Ganz nebenbei hat die Krise die Rolle der Arbeitsrechtler nachhaltig verändert. Nie gab es einen besseren Zeitpunkt, in diesem Rechtsgebiet Karriere zu machen.
Arbeitnehmer oder Arbeitgeber vertreten?
Das vergangene Jahr markierte auch deshalb einen so großen Umbruch, weil die Rolle der Arbeitsrechtler vorher klar umrissen war. Ihre Rolle und ihr Gewicht unter allen wirtschaftsrechtlichen Disziplinen waren jahrzehntelang eindeutig definiert: Die erste Frage für Anfänger lautet stets: „Wollen Sie tendenziell für Arbeitgeber oder Arbeitnehmer arbeiten?“ Ist das entschieden, gibt es eine weitere grundlegende Unterscheidung: Ein Teil der Anwälte berät im kollektiven Arbeitsrecht, also zu den Beziehungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Ganzen – sei es im laufenden Verhältnis zum Betriebsrat, bei Tarifverhandlungen oder bei Restrukturierungen mit komplizierten Verhandlungen über Entlassungen. Andere Arbeitsrechtler werden hingegen für individuelles Arbeitsrecht hinzugezogen – also für die spezifischen Fragen rund um einen bestimmten Arbeitnehmer, zu denen auch die komplexen Beziehungen zu Führungskräften gehören können.
Vier grundlegende Disziplinen im Arbeitsrecht:
- Arbeitnehmervertretung
- Arbeitgebervertretung
- Kollektives Arbeitsrecht
- Individuelles Arbeitsrecht
Hinzu kommt der Bereich M&A, der vor allem dann boomt, wenn es der Wirtschaft gut geht. Dabei kann sich die Beratung um offene Fragen in einem Kaufvertrag drehen, oder, am anderen Ende des Spektrums, um intensive Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die Konditionen für den Verkauf oder für weitere Investitionen. Die Beratung ist besonders wichtig und zeitintensiv, wenn der Mandant ein ausländischer Investor ist. Das deutsche Arbeitsrecht ist aus der Perspektive angelsächsischer Investoren ein Minenfeld. So mancher Kaufinteressent kann nur schwer begreifen, wie das Prinzip der Mitbestimmung im Unternehmensalltag funktioniert.
Corona hat neue Arbeitsfelder für Arbeitsrechtler gebracht.
Zu Beginn des Lockdowns rechneten die meisten Anwälte mit vielen Mandaten für die Umstrukturierung von Unternehmen. Es kam ganz anders, erzählt Stamer: „So etwas hatten wir noch nicht erlebt. Jeden Tag gab es neue juristische Fragen und vor allem keine festgefahrenen Meinungen dazu. Im Gegenteil: zu vielem gab es weder Rechtsprechung noch Literatur, einfach wahnsinnig viel Neues. Es war sehr spannend.“
Auch andere erfahrene Arbeitsrechtler haben die Zeit als große Herausforderung erlebt. „Besonders in den Personalabteilungen gab es keine Erfahrungswerte“, sagt Markulf Behrendt (47), Partner der internationalen Kanzlei Allen & Overy. „Das galt für fast alle Fragen zum Homeoffice und gilt weiterhin bei der Pflicht zur Rückkehr ins Büro.“ Doch durch die Corona-Krise sind nicht nur gänzlich neue Arbeitsfelder entstanden. Andere Spezialfragen haben wieder an Bedeutung gewonnen.
Dr. Burkard Göpfert hat in seiner langen Karriere für große deutsche und internationale Kanzleien gearbeitet. Der 54-Jährige ist heute einer der führenden Partner der auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei Kliemt. Mit einiger Verwunderung resümiert er, wie sich sein Arbeitsbereich im vergangenen Jahr verändert hat: „Den ganzen Bereich Gesundheitsschutz hat man früher gar nicht so gerne gemacht. Arbeitsrechtler hatten Interessanteres zu tun und ‚Health and Safety‘ war eher langweilig, immer nur das Thema ‚Psychische Belastungsstörung‘ und so weiter. Aber im letzten Jahr hat sich das stark verändert. Es ist kein Orchideengebiet mehr.“ Wie behandelt man Mitarbeiter, die noch nicht geimpft sind? Wie sieht dort die Schutzpflicht des Arbeitgebers aus, wie bei den anderen, geimpften Mitarbeitern? Bringt die stärkere Vermischung von Privatleben und Beruf neue Themen im Bereich Mental Health oder Datenschutz ans Tageslicht?
Aus Sicht von Allen & Overy-Partner Behrendt führen die neuen Themen zu einem gewissen Paradigmenwechsel: „Mit der Flexibilisierung am Arbeitsplatz fangen der Gesundheitsschutz und andere Leistungen an, rein monetäre Aspekte zu überlagern.“ Das bedeutet, dass sich das ganze Arbeitsfeld Arbeitsrecht jetzt in diesem Moment wandelt. Und zwar radikal. Die Folge ist, dass die Bedeutung von Arbeitsrechtlern wächst. Die Nachfrage nach jungen Arbeitsrechtsprofis ist deshalb hoch, ihre Karrierechancen sind gut.
Arbeitsrechtler sind gefragt wie nie, die Karrierechancen gut.
Dass Arbeitsrechtler in manchen Phasen des Konjunkturzyklus eine wichtige Rolle spielen, ist an sich nichts Neues. In jeder Rezession, in der Unternehmen Jobs abbauen müssen, mussten Anwälte wie Stamer, Behrendt und Göpfert eine höhere Arbeitslast schultern. Doch Göpfert erlebt jetzt eine neue Ausgangslage. „Endlich steht das, was man als Arbeitsrechtler macht, praktisch jeden Tag in der Zeitung. Aber bei Covid ging es auch nicht mehr nur um reinen Personalabbau, sondern um hochinteressante Neuausrichtungen von Unternehmen, wie das nur alle paar Jahrzehnte vorkommt.“ Die Beratung sei früher zum großen Teil von der klassischen Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit geprägt gewesen, meint Göpfert. „Jetzt geht es um ein viel menschlicheres Thema: Den Konflikt zwischen Leben und Arbeit. Das heißt, was bekomme ich für meine Arbeit jenseits von monetären Anreizen und wie sieht das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben aus.“

Auch Katrin Stamer beobachtet in ihrer Praxis eine allmähliche Verschiebung „von den Fragen rund um Homeoffice hin zu der Frage nach ‚Office Home‘“. Arbeitsrechtler werden eng eingebunden, wenn es um die Frage geht, wie man Mitarbeiter dazu ermutigen kann, nicht nur wieder ins Büro zu kommen, sondern dort zufriedener und letztendlich produktiver zu sein. Und sie sieht diesen Prozess noch weiter beschleunigt. Gewissermaßen als Nebenwirkung der Pandemie spielt die Digitalisierung eine fundamental andere Rolle. „Es geht nicht nur um die Digitalisierung des Arbeitsplatzes, sondern um die Digitalisierung des Geschäfts als Ganzes.“ Das sei natürlich schon vor der Pandemie ein Trend gewesen, so Stamer. „Aber unsere Mandanten und wir als Berater sind jetzt von dem Bewusstsein geprägt, dass die Welt sich schlagartig ändern kann.“
In diesem Moment der Umwälzung sind neue Ansätze gefragt. Jetzt schlägt die Stunde einer neuen Generation, so Göpfert: „Fast jeder Bereich des Arbeitsrechts wurde über die letzten 18 Monate infrage gestellt. Man muss jetzt viel kreativer denken. Es sind soziale Probleme aufgetaucht, die noch nicht durch ein Gesetz gelöst worden sind. Wir haben im Arbeitsrecht viele Instrumente, die man einsetzen kann. Aber man muss jeden Tag in den Farbkasten schauen, welche Farbe man im heutigen Bild einsetzen kann.“
Schockstarre zu Beginn des Lockdowns.
Nicht nur erfahrene Berater hatten im vergangenen Jahr viele Anlässe, um das Arbeitsrecht grundsätzlich neu zu denken. Vielfach waren es gerade die junge Juristen, die mit innovativen Lösungen an vorderster Front standen. Dr. Tim Wißmann (49) von der Kölner Boutique Küttner erinnert sich an eine Art Schockstarre, als der Lockdown losging. „Aber das hat sich schnell ins Gegenteil verkehrt. Die Nachfrage war so hoch, dass junge Anwälte nicht nur die Gelegenheit hatten, bei den Mandanten viele Probleme zu lösen, sondern auch Themen im Markt zu platzieren und zu besetzen.“ Und damit nicht genug. „Auch intern hat es große Wirkung gehabt. Die junge Generation hat sich intensiv damit beschäftigt, was diese neuen Herausforderungen für die Kanzlei als Ganzes bedeuten.“
Etwas Ähnliches hat Burkard Göpfert bei Kliemt erlebt. Es gab Ausschüsse, die sich täglich virtuell getroffen haben. „Der eine hat besprochen, was Covid jeden Tag neu bringt, der aktuellste jetzt, was bei den Betriebsratwahlen läuft. Ein anderer hat sich zu den rechtlichen Themen von Mobile-Office beraten. Das war vor der Krise klassischerweise die Arbeit der Partner. Jetzt hat es sich umgedreht, und die Associates treiben das voran.“
Neue Themenschwerpunkte im Arbeitsrecht sind u.a.:
- Gesundheitsschutz
- Digitalisierung des Arbeitsplatzes und des Geschäfts
- Home Office
- Datenschutz in Kombination mit Gesundheitsdaten von Mitarbeitern
„Es ist die optimale Möglichkeit, sich zu positionieren“, bekräftigt Behrendt von Allen & Overy diese These. „Zu fast jeder covidbezogenen Frage im Arbeitsrecht des vergangenen Jahres gab und gibt es teilweise noch immer kaum etwas zu lesen. Wer hierzu schreibt, ist daher automatisch nicht einer von vielen, sondern kann Diskussionen starten und Meinungen bilden“, sagt er enthusiastisch. Für Studierende, die über eine Zukunft im Arbeitsrecht nachdenken, hat Göpfert einen konkreten Tipp:
„Wenn jemand in der letzten Station des Referendariats beim Gesundheitsschutz oder in der Verwaltung arbeitet, wenn Sie lernen, wie das Gesundheitsamt funktioniert, dann würden Sie bei Kanzleien offene Türen einlaufen.“
Es gibt Kanzleien, die den technischen Fortschritt als Chance begreifen und das klassische Arbeitsrecht zu einem umfassenderen Beratungsprodukt ausbauen. Ein Beispiel ist die Arbeitsrechtskanzlei Vangard. „Wir haben einen ganzheitlichen Ansatz entwickelt“, erklärt Jan-Ove Becker (40) aus dem Hamburger Büro. „Unser Grundverständnis ist eine enge Verbindung von Arbeitsrecht und einer Unternehmensberatung. Wir verfolgen zudem mit der Mediation einen Schwerpunktbereich, der arbeitsrechtliche Konflikte verhindert und beraten bei seiner Anwendung gerade, um Prozessführung zu vermeiden.“
Das Wachstum von Vangard in den vergangenen Jahren sowie die ehrgeizigen Pläne der Kanzlei für ihre Zukunft beruhen auf einer keineswegs neuen, aber wichtigen Erkenntnis: die Ansprechpartner in Unternehmen, die Arbeitsrechtler mandatieren, sind keine Juristen. Sie sind eher Fachkräfte mit einer Ausbildung im Personalwesen, die bei einer Vielzahl von Fragen technische Unterstützung gebrauchen können: etwa zur Personalentwicklung, zur Nachwuchsgewinnung oder zur Ermittlung eines Gender Pay Gaps. „Ein Arbeitsrechtler muss mehr sein als ein reiner Jurist“, sagt Becker.
Zuversichtliche Stimmung für Arbeitsrechtler.
Mit ihrem Bekenntnis zum Einsatz von Legal-Tech ist es Vangard gelungen, Marktanteile von anderen, nichtjuristischen Beratern zurückzuerobern, aber auch von kleineren, eher generalistischen Kanzleien, die durch die Dynamik des Post-Covid-Marktes unter Druck geraten sind. Aber Vangard ist nur ein Beispiel für die zuversichtliche Stimmung unter Arbeitsrechtlern. Die Pandemie hat den Stellenwert des Arbeitsrechts mittel- bis langfristig erhöht. Vielleicht ist es an der Zeit, über eine Karriere in diesem Bereich nachzudenken. Dann können auch die überlasteten Arbeitsrechtsprofis einmal wieder in den Urlaub fahren.
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