Jura im Ehrenamt
Das juristische Handwerkszeug für die Klimakrise einzusetzen, danach streben viele Juristinnen und Juristen. Doch nur wenige Kanzleien überzeugen in ihrem Bemühen um mehr Nachhaltigkeit. Die persönliche Lösung könnte ein ehrenamtliches Engagement sein.
In der Klimakrise bleibt uns schlicht keine Zeit mehr, den Gang durch die Instanzen zu gehen.“ Mit dieser harten Wahrheit sieht sich nicht nur Jens Vollprecht, Berliner Partner der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH), immer wieder konfrontiert. Die Energieversorgung zu einer nachhaltigen umzubauen, die Transformation zu schaffen, dafür rennt der Menschheit die Zeit davon. Jeder Waldbrand, jede Flutkatastrophe, jede Hitzewelle macht dies auch im eigenen Alltag immer deutlicher.

Viel Zeit investiert: Für Jens Vollprecht von Becker Büttner Held war es selbstverständlich, seinen Beitrag zum
1,5-Grad-Gesetzespaket von German Zero zu leisten. (Foto: Uwe Tölle)
„Wir müssen neue Wege gehen, kreative Lösungsansätze entwickeln und dabei vor allem ins Gespräch miteinander kommen“, sagt der 52-Jährige. Er hat das Glück, wie manche es bezeichnen würden, dass er Mandanten aus dem Erneuerbare-Energien-Sektor berät. Damit kann er durch seinen Beruf einen positiven Beitrag leisten. Doch das ist nicht selbstverständlich, denn genau das wollen viele angehende Juristinnen und Juristen mit Blick auf potenzielle Arbeitgeber. Sie wollen mit ihrer Tätigkeit einen positiven Beitrag leisten und hinterfragen ganz genau, auf welcher Seite sie als Berater stehen. Eine Großkanzlei zu finden, die als Arbeitgeber glaubhaft vermittelt, nicht nur eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu fahren, sondern auch ihre Mandantenstruktur im Hinblick auf Zukunftsfähigkeit prüft, ist schwer.
Doch auch spezialisierte Boutiquen, die sich voll und ganz auf Mandanten mit nachhaltigen Geschäftsmodellen fokussieren, sind rar gesät und suchen nur begrenzt Personal. Die Alternative kann ein Ehrenamt sein, bei dem juristisches Wissen gefordert ist. Möglicherweise dient es sogar als Ausgleich zum Hauptberuf Wirtschaftsanwalt und kompensiert etwaige Gewissensbisse. Oder muss am Ende die klassische Kanzleikarriere gleich ganz ausfallen, wenn man einen positiven Beitrag zur Umwelt leisten möchte?
Das Problem: die Zeit
Das größte Problem bei einem ehrenamtlichen Engagement ist der hohe Zeitaufwand. Anwältinnen und Anwälte in Wirtschaftskanzleien haben in der Regel zu wenig Freizeit. Vollprecht wollte trotzdem seinen Beitrag zur Initiative von German Zero leisten. Er legte vor seinem Jurastudium sein Diplom als Forstwirt ab und beteiligte sich nun als Experte im Agrarsektor. Seine Gruppe befasste sich unter anderem mit der Nutzungskonkurrenz von Landwirtschaft und Solarstrom. „Wir haben überlegt, in welche Richtung die Reise gehen könnte und das dann in den jeweiligen Rechtsrahmen übersetzt.“ In Summe kam er schätzungsweise auf fünf Arbeitstage, die er über den Projektzeitraum investiert hat. „Das Thema ‚Agri-Fotovoltaik‘ beschäftigt mich schon lange und das Vorhaben traf quasi direkt meine grüne DNA“, sagt er.
German Zero hat ein umfangreiches Gesetzespaket entwickelt, mit dessen Hilfe die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Über 1.000 Ehrenamtliche, darunter viele Juristinnen und Juristen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, waren beteiligt. Sie haben über alle Sektoren hinweg in interdisziplinären Gruppen Ideen und Lösungen entwickelt, die in Form von konkreten Gesetzen Anfang des Jahres 2022 an Politikerinnen und Politiker übergeben werden konnten. Neben dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nahmen die klimapolitischen Sprecher aller demokratischen Parteien im Bundestag das Paket entgegen.
Auch Peter Wagner von der mittelständischen Kanzlei Jordan & Wagner in Stuttgart war Teil einer Arbeitsgruppe bei German Zero. „Das Projekt war sehr gut aufgezogen und organisiert. Wir konnten umsetzungsfähige und ganzheitlich gedachte Vorschläge einbringen“, so Wagner. Er war Mitglied einer Gruppe, die sich mit Recycling auseinandersetzte und brachte dort sein Wissen als Anwalt im Handelsrecht ein. Er sieht eine Chance in dem Projekt, woran die Politik sonst scheitert: „Die Dauer einer Legislaturperiode wird niemals ausreichen, wenn wir von der Idee bis zur konkreten Umsetzung alles erst entwickeln wollen.“ Und diese Zeit bleibt in der Klimakrise nicht mehr.
Climate Clinic
„Wir wollten etwas in der Gesellschaft bewegen und unser juristisches Handwerk anwenden“, erzählt Baro Gabbert aus ihren Gesprächen mit anderen Studierenden. Sie hat an der Bucerius Law School in Hamburg studiert und engagiert sich inzwischen bei Organisationen wie German Zero oder Lawyers for Future. 2020 rief sie eine eigene Initiative ins Leben und gründete die erste studentische Rechtsberatung zu Klimafragen, die Climate Clinic. „Unser Ziel ist es, Informationen auch für Nichtjuristinnen und -juristen einzuordnen und das Wissensgefälle in der Gesellschaft abzubauen“, sagt die 25-Jährige. „Nur so kann ein gesellschaftlicher Diskurs auf Augenhöhe stattfinden.“ Inzwischen engagieren sich rund 50 Studierende, Professorinnen und Professoren vor allem in der juristischen Recherche und in der Einordnung von Urteilen mit Bezug auf das Klima. Wie alle Law Clinics, die es für verschiedene Fachrichtungen an Universitäten in Deutschland gibt, arbeitet auch die Climate Clinic für weitergehende Rechtsfragen mit einem Netzwerk an Juristinnen und Juristen aus Kanzleien zusammen, die als Experte zu Rate gezogen werden können. Konkrete Mandate nimmt die Climate Clinic nicht an, sondern vermittelt sie an Kanzleipartner.

Schlechtes Gewissen?
Gabberts Motivation als angehende Juristin ist das Recht zu nutzen, um Lebensgrundlagen zu schützen. Eine Klimaklage in Südamerika, zu deren Umfeld sie einen persönlichen Bezug hatte, gab den Ausschlag für ihr Jurastudium. „Gerade im Kontext der Klimakrise habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass behauptet wird, etwas sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich.“ Diese Denkweise umzudrehen und das Recht zu nutzen, um etwas möglich zu machen, ist ihre Devise.
Nach ihren Prüfungen steht auch für Gabbert früher oder später die Entscheidung an, für welchen Arbeitgeber sie sich entscheidet. Sie hat sich in der Vergangenheit viel mit Kanzleien befasst, hat explizit nachgefragt, wie sie sich nachhaltig aufstellen und trat mit diesen Themen auf Tagungen auf. „Wirtschaftskanzleien verfügen über besonders hoch qualifizierte Juristinnen und Juristen, allein deswegen tragen sie eine immense gesellschaftliche Verantwortung in der Klimakrise“, sagt Gabbert. Sie selbst kann sich momentan nicht vorstellen, künftig in einer solchen zu arbeiten: „Die Zeit und die Arbeitskraft ist zu wertvoll, um sie einer Organisation beizutragen, die im Zweifel zukunftsschädliche Arbeit leistet.“
Mit diesem Zwiespalt plagt sie sich längst nicht mehr allein. Ein Associate einer großen, international tätigen Wirtschaftskanzlei berichtet im Gespräch mit azur, dass er aus ähnlichen Gründen seine Kanzlei wieder verlassen wird. Er hat sich schon immer ehrenamtlich engagiert. „Die Arbeit im Ehrenamt bringt dich in Kontakt mit anderen Lebenswirklichkeiten, es verändert die Perspektive“, sagt er. Dass er mit dem Berufseinstieg weniger Zeit dafür hatte, war natürlich keine Überraschung. „Man muss sich die Zeit aktiver dafür freiräumen.“ Am Ende geht es ihm bei der Entscheidung gegen die Arbeit in einer Wirtschaftskanzlei ähnlich wie Gabbert: „Wenn ich ein Ehrenamt ausübe, passiert es automatisch, dass ich auch meinen Beruf ganzheitlicher betrachte. Und irgendwann habe ich bemerkt, dass persönliche und berufliche Ziele zu weit auseinanderfallen.“

Andere sehen in der Arbeit als Wirtschaftsjurist gerade die Chance, an entscheidenden Stellen etwas zu verändern. Eine davon ist Liv Hagmann. Die 24-Jährige hat ebenfalls an der Bucerius Law School studiert und im Frühjahr ihr schriftliches Examen absolviert. Sie war seit Beginn Teil der Climate Clinic. Aktuell vertritt sie in Bezug auf den Berufseinstieg eine andere Meinung als ihre Kommilitonin Gabbert: „Durch die Arbeit in einer Kanzlei habe ich die Möglichkeit von innen heraus etwas zu bewirken. Auch kleine Schritte im großen Rad sind wichtig.“ Zurzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Heuking Kühn Lüer Wojtek in der Vergaberechtspraxis.
Persönliche Ziele im Einklang
Für den Berufseinstieg nach dem Referendariat kann sie sich diese Fachrichtung gut vorstellen. Umweltkriterien spielen bei Vergaben durch die öffentliche Hand eine immer größere Rolle. Diesen Wandel zu begleiten, sieht Hagmann als guten Kompromiss zwischen der Arbeit in einer Wirtschaftskanzlei und in einem Rechtsgebiet, mit dem sie ihre persönlichen Ziele vereinbaren kann. Doch im Laufe einer klassischen Associatekarriere nehmen die einzelnen Partner in der Regel keine Rücksicht darauf, wer welches Mandat mit sich vereinbaren kann. Hagmann wägt in dieser Sache ab: „Vielleicht darf man die Anforderungen an sich selbst nicht zu hoch stellen und muss im Zweifel in den sauren Apfel beißen.“ Sie ist überzeugt, dass sie trotzdem etwas bewirken kann: „Dafür bietet sich mir die Möglichkeit, innerhalb der Organisation und möglicherweise auch innerhalb des Mandats selbst nachhaltige Impulse zu geben.“
BBH-Anwalt Vollprecht hat sich gefreut, als Vorschläge aus der German Zero-Initiative in der sogenannten Osternovelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023 aufgegriffen wurden. „Das hat mich unglaublich motiviert und es hat bestätigt, dass zivilgesellschaftliches Engagement doch etwas bewegen kann“, sagt er stolz.