Goldene Zeiten für Außenwirtschaftsrechtler
Lange Zeit galten sie als Exoten in der Rechtsberatung. Doch die aktuellen geopolitischen Verschiebungen machen Außenwirtschaftsrechtler zu den gefragtesten Beraterpersönlichkeiten im Rechtsmarkt. Für junge Anwältinnen und Anwälte eröffnen sich dadurch gute Karrierechancen.
Verschärfte Sanktionen, drohende Strafzölle und neue Hürden bei Transaktionen: Für Unternehmen, die global agieren und ihre Waren weltweit handeln, sind die Zeiten kompliziert geworden. Viel gilt es zu beachten. Darf ein Staat oder eine Person aufgrund bestehender Sanktionen etwa nicht mehr beliefert werden? Wird für den Export eines bestimmten Produkts eine Ausfuhrgenehmigung benötigt? Muss ein Unternehmenskauf beim Bundeswirtschaftsministerium angemeldet werden?
Die gestiegene Unsicherheit auf Unternehmensseite kurbelt bei den Kanzleien das Geschäft an. Kein Wunder also, dass das Außenwirtschaftsrecht in den vergangenen Jahren einen nahezu kometenhaften Aufstieg erlebt hat. Dabei fristete das Rechtsgebiet jahrelang ein eher trostloses Dasein in Wirtschaftskanzleien. Vielen galt es als zu nischig oder gar unrentabel. Doch mit der ersten Präsidentschaft Donald Trumps, dem russischen Angriff auf die Ukraine und der weltweiten Zunahme des Protektionismus hat sich das Blatt gewendet. Denn: Wer im Außenwirtschaftsrecht nicht trittsicher ist, riskiert nicht nur, dass ein angestrebter Deal platzt. Vielmehr drohen bei Verstößen erhebliche Konsequenzen, darunter empfindliche Geldbußen und Freiheitsstrafen. Inzwischen wissen Kanzleien wie Mandanten daher um die Bedeutung guter Außenwirtschaftsrechtler.
Gemeinsam ans Ziel
„Für Unternehmen wird es im Außenwirtschaftsrecht schnell geschäftskritisch“, bestätigt auch Inhouse-Jurist Fabian Jahn (39). Er ist einer von weltweit über hundert Angestellten, die sich bei Siemens Energy täglich mit dem Thema Exportkontrolle befassen. Seine Einheit, die Export Control Governance, kümmert sich dabei vor allem um rechtliches Monitoring: Welche neuen Regularien sind für das Unternehmen relevant und wie sind diese in den IT-Systemen abzubilden? Das ist wichtig, damit Gütertransaktionen automatisch gestoppt werden, wenn sie etwa von einem neuen Sanktionspaket betroffen sind. Hierfür arbeitet Jahn eng mit der IT zusammen und schlägt so eine Brücke zwischen den rechtlichen Anforderungen des Gesetzgebers und der technischen Umsetzung im Unternehmen.
| Kleines Glossar des Außenwirtschaftsrechts – die wichtigsten Begriffe |
| Dual-Use-Güter Güter mit doppeltem Verwendungszweck. Dabei handelt es sich um Waren, Software und Technologie, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können. |
| Embargomaßnahmen Embargos sind internationale Wirtschaftssanktionen. Sie beschränken oder untersagen Handlungen und Rechtsgeschäfte im Außenwirtschaftsverkehr gegenüber einem bestimmten Land oder bestimmten Personen bzw. Personengruppen. |
| Exportkontrolle Umfasst die Prüfung, ob der Export bestimmter Waren, Technologien oder Software unter die Embargo-Verordnung, die Dual-Use-Verordnung oder die EU-Anti-Terrorismus-Verordnung fällt. Hinzu kommt die Anmeldung dieser Güter beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und das Einholen entsprechender Genehmigungen. |
| Investitionskontrolle Anmelden von Unternehmenskäufen durch ausländische Investoren beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) und Einholen entsprechender Genehmigungen. |
| Zollrecht Zollgestaltung basierend auf dem Unionszollkodex (UZK) sowie bestehender Freihandelsabkommen und zusätzlicher nationaler Regelungen. So erhebt die deutsche Zollverwaltung auch verschiedene Verbrauchssteuern, darunter die Einfuhrumsatzsteuer. |
Die enge Kooperation der Inhouse-Berater mit den operativen Einheiten eines Unternehmens ist typisch für das Außenwirtschaftsrecht und ermöglicht spannende Einblicke. „Die Zusammenarbeit mit Ingenieuren hat mir in der Vergangenheit sehr geholfen, Produkte besser zu verstehen“, sagt Jahn. Inzwischen könne er anhand einer bloßen Zeichnung bereits erahnen, ob es sich bei einem Produkt um ein Dual-Use- Gut oder ein Rüstungsgut handelt. „Das lernt man, wenn man nah an den Leuten dran ist.“
Auch in der Investitionskontrolle, einem Instrument des Außenwirtschaftsrechts, ist Kooperation der Schlüssel zum Erfolg. Immer mehr Länder prüfen Unternehmenskäufe auf potenzielle Gefahren für die nationale Sicherheit, weshalb die Investitionsprüfung in den vergangenen Jahren immer stärker an Bedeutung gewonnen hat. Doch weil diese Prüfungsregime teils sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, ist eine länder- und fachübergreifende Zusammenarbeit unumgänglich. In vielen Kanzleien haben sich daher Arbeitsgruppen gebildet, in denen Anwältinnen und Anwälte unterschiedlicher Jurisdiktionen und Fachbereiche – neben dem Außenwirtschaftsrecht meist Kartellrecht und M&A – zusammenkommen. „Der enge Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der nationalen Ausgestaltung dieses Instruments macht die Investitionskontrolle enorm spannend und abwechslungsreich“, sagt Dr. Maria Brakalova (48), Partnerin im Außenwirtschaftsrecht bei Dentons. Brakalova hatte sich das Thema schon früh vorgeknöpft und dafür eigens eine kanzleiinterne Arbeitsgruppe gegründet. „Das erleichtert die Zusammenarbeit in einer so großen internationalen Einheit und schafft einen kurzen Draht zu den Kolleginnen und Kollegen in unseren ausländischen Büros weltweit“, betont sie. So kommt es häufig vor, dass Anwälte aus einer zweistelligen Zahl an Jurisdiktionen gemeinsam an einer Transaktion arbeiten.
Europarecht ist Pflicht
Ausgeprägte Fremdsprachenkenntnisse sind daher unverzichtbar. Das gilt zwar für viele wirtschaftsrechtliche Beratungsfelder, aber für das Außenwirtschaftsrecht umso mehr. „Ich arbeite inzwischen zwei Drittel meiner Zeit auf Englisch“, sagt Brakalova. Neben Englisch und Französisch sind auch weitere Fremdsprachen, etwa Russisch oder Mandarin, gerne gesehen. Ein im Ausland erworbener LL.M. ist für viele Kanzleien ein zusätzlicher Pluspunkt.

Während die meisten Hochschulen in puncto Sprachkurse gut aufgestellt sind, wird das Außenwirtschaftsrecht in der juristischen Ausbildung lediglich in den Wahlschwerpunkten behandelt. Wie also vorbereiten auf Sanktionsberatung, Zollrecht und Co? „Wer vertiefte Kenntnisse im Europarecht und daneben im Völker- oder WTO-Recht mitbringt, ist hier gut aufgehoben“, sagt Lothar Harings (55), Gründungspartner der auf Außenwirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei Cattwyk. „Ohne Europarecht kommt man in der Exportkontrolle nicht weit“, unterstreicht auch Fabian Jahn. Denn sowohl der zentrale Unionszollkodex als auch wichtige Regularien wie etwa die Dual-Use-Verordnung sind unmittelbar anwendbares Europarecht und somit für die EU-Mitgliedstaaten, ihre Behörden und Organe unmittelbar verbindlich, ohne dass es eines zusätzlichen nationalen Umsetzungsaktes durch die Mitgliedstaaten bedarf. „Dieses Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht, also die Auslegung von EU-Verordnungen und EU-Richtlinien, ist unser Daily Business“, sagt Harings. Dazu gehört auch, erworbene Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden und Verordnungen gleich in mehreren Sprachen zu lesen. „Im Europarecht gibt es teils große Abweichungen in den einzelnen Sprachfassungen amtlicher Mitteilungen“, erklärt Jahn. „Daher darf man sich keinesfalls nur auf die deutsche Fassung verlassen.“
Das konkrete fachliche Know-how lernen Berufsanfänger schließlich am Mandat und im Austausch mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen. „Wir suchen keine fertigen Außenwirtschaftsrechtler“, erklärt Harings. „Wir suchen hervorragende Juristen, die das nötige Handwerkszeug mitbringen, und bilden sie zu Außenwirtschaftsexperten aus.“ Diese juristische Grundausstattung bringen auch Vergabe- oder Kartellrechtler mit. Es verwundert also kaum, dass ein Großteil der im Außenwirtschaftsrecht tätigen Anwälte einen Hintergrund in einem der beiden Rechtsgebiete hat.
Von Exotenthema zum Hot Topic
Eine Besonderheit in der Associate-Ausbildung ist das Zollrecht. Um hier fundiertes Wissen aufzubauen, schicken einige Kanzleien ihre Associates zu Seminaren externer Anbieter wie der Hamburger Zollakademie oder der Münsteraner Außenwirtschaftsakademie. Auch für die jungen Anwältinnen und Anwälte von Cattwyk sind Einsteigerkurse im Zollrecht und zur Exportkontrolle an der Hamburger Zollakademie Pflicht. Das kommt nicht von ungefähr, denn es war Lothar Harings, der die Zollakademie 2012 gemeinsam mit einem langjährigen Mandanten ins Leben gerufen hatte, um praxisnahe Schulungen und Fortbildungen zu dieser Spezialmaterie anzubieten. Einer Materie, der lange Zeit der Ruf anhaftete, trocken und langweilig zu sein. Inzwischen jedoch macht das Thema Zoll Schlagzeilen: So sorgen die jüngsten Drohgebärden der US-Regierung in puncto Strafzölle dafür, dass das Zollrecht weiter an Bedeutung gewinnt und Anwälte mit entsprechender Kompetenz zunehmend gefragt sind.

Regelmäßig landet das, was heute in der Zeitung steht, morgen auf den Schreibtischen der Außenwirtschaftsrechtler. „Politisch auf dem Laufenden zu bleiben, ist daher das A und O“, betont Fabian Jahn. Für Maria Brakalova macht genau das den Reiz des Rechtsgebiets aus: „Mich fasziniert die Bedeutung, die geopolitische Entwicklungen dabei haben.“ Welche Tragweite diese im Einzelnen entfalten können, zeigt der Fall des Berliner City Hostels, das 2020 auf Druck eines US-amerikanischen Ehepaars hin geschlossen wurde. Angefangen hatte alles mit der Festnahme des Studenten Otto Warmbier 2016 in Nordkorea. Dieser war in einem Schauprozess zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt worden, weil er angeblich ein Propaganda-Banner gestohlen hatte. Rund ein Jahr später wurde Warmbier, im Wachkoma liegend, in die USA entlassen, wo er wenige Tage später verstarb.
Nach dem Tod ihres Sohnes hatten es sich Cindy und Fred Warmbier zur Aufgabe gemacht, auf die Durchsetzung von UN-Sanktionen gegen das nordkoreanische Regime zu drängen – und zwar weltweit. So wurden sie schließlich auch auf das City Hostel Berlin aufmerksam, das auf dem Gelände der nordkoreanischen Botschaft in Berlin steht und über ein Jahrzehnt lang von einer GmbH als Hotel betrieben wurde. Dabei verbietet eine EU-Verordnung auf der Basis von UN-Sanktionen seit 2017 unter anderem Immobiliengeschäfte mit Nordkorea, um dem totalitären Staat keine Devisen für sein Atomwaffenprogramm zu liefern.
Für Lothar Harings, der die Warmbiers damals in Deutschland vertrat, ist der Fall bis heute ein Highlight seiner Karriere. Er führt von den Höhen des Europarechts in die Niederungen des Verwaltungsrechts und zeigt, wie stark sich Politik und Wirtschaft wechselseitig beeinflussen. „Alles hängt mit allem zusammen“, sagt Harings. „Jede politische Entscheidung hat – in welcher Form auch immer – Auswirkungen auf den Welthandel.“ Dieses Spannungsfeld souverän zu navigieren, ist die Kernaufgabe jedes Außenwirtschaftsrechtlers.