Geschäfte werden draußen gemacht
Homeoffice ist das neue Normal? Das gilt längst nicht überall. Viele Kanzleien verordnen ihren Associates Kernzeiten im Büro. Denn gute Kontakte knüpft niemand am Remote-Arbeitsplatz.
Es klingt wie ein Scherz: Ausgerechnet Zoom, der Videokonferenzanbieter schlechthin, beordert in den USA seine Mitarbeitenden für zwei Tage pro Woche zurück ins Büro. Es sei ein „effektiveres Arbeiten“, so die Begründung. Auch in mancher Kanzlei ist mittlerweile Schluss mit lustig, die totale Flexibilität in Sachen Homeoffice passé. Direkt nach der Pandemie hieß es noch häufig, mobiles Arbeiten sei das neue Normal und man könne das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Doch mittlerweile ist dieses Rad mancherorts ein ganzes Stück wieder zurückgerollt. Homeoffice ist nicht mehr überall das neue Normal.
Kanzleien landauf, landab versuchen zurzeit einen Weg zu finden, der für alle zufriedenstellend ist: für die Associates, für die Partner, fürs Geschäft. Zu den strengeren Vertretern gehören hierzulande etwa Skadden Arps Slate Meagher & Flom und Weil Gotshal & Manges, die totale Freiheit leben Greenfort und Watson Farley & Williams genauso wie Freshfields Bruckhaus Deringer und Hengeler Mueller. Die meisten Kanzleien allerdings setzen auf eher diplomatische Lösungen, unter ihnen Osborne Clarke, Clifford Chance und Baker McKenzie (Grafiken zum Homeoffice findest du hier).

Für die US-Kanzlei Skadden mit ihrem Fokus auf internationale Transaktionen und Kapitalmarktrecht ist die Marschrichtung klar. Associates, die das Arbeiten vom heimischen Schreibtisch aus bevorzugen, sind hier falsch. „Wir wollen eine Kernzeit, in der möglichst alle im Büro sind“, erklärt Managing-Partner Dr. Jan Bauer (51). Und dieser Kern ist umfangreich. Die 35 deutschen Anwältinnen und Anwälte gleich welcher Hierarchiestufe haben von montags bis donnerstags im Büro zu sein. „Das ist ein fester Block, es besteht keine freie Wahl“, betont Bauer. Die Argumentation basiert auf zwei Säulen: Teamgeist und Lernen. Bauer erklärt: „Wir arbeiten intensiv, und das lebt stark vom Teamgedanken. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass das mit reiner Heimarbeit dauerhaft nicht geht und sich insbesondere die Berufsanfänger nicht so schnell entwickeln, wie sie es tun, wenn sie ,on site‘ sind.“
Fest umrissene Ausnahmen
Ganz so strikt, wie es auf den ersten Blick scheint, wird es dann aber doch nicht gelebt. Vorgesehen sind fest umrissene Ausnahmen, die ein wenig an Schulferien erinnern: So dürfen die Anwältinnen und Anwälte auch en bloc remote arbeiten: eine Woche um Ostern, drei Wochen zwischen dem 1. Juli und 31. August, an den Werktage zwischen Weihnachten und 6. Januar und eine Woche nach eigener Wahl. Lösungen für einzelne Tage lassen sich mit Rücksprache auch finden, aber eben nur für bestimmte Anlässe. Insofern kommt die Kanzlei dem Wunsch nach mehr räumlicher Flexibilität durchaus entgegen.
Praktisch gelebt wird die Anwesenheitspflicht im Büro bei Skadden schon länger. Das bestätigt auch die Associate-Umfrage, die die azur-Redaktion jedes Jahr im Frühling durchführt und an der zuletzt insgesamt mehr als 3.500 junge Juristen teilnahmen. Auf die Frage, wie viele Tage pro Woche die Associates im Homeoffice verbringen, antworteten in der aktuellen Auswertung 41 Prozent der Skadden-Associates, dass sie nie im Homeoffice arbeiten, genauso viele sind einen Tag pro Woche im Homeoffice, der Rest an zwei Tagen. Wer hier einsteigt, weiß also, worauf er sich einlässt. Gut finden das trotzdem nicht alle. So schreibt ein Teilnehmender in der Umfrage: „Remote arbeiten sollte erleichtert werden – wir sind da viel zu starr und hinter dem Marktstandard.“
Aber was heißt Standard? Ähnlich strikt wie Skadden verfährt die Kanzlei Weil, die ebenfalls aus den USA stammt und sich auf Transaktionen konzentriert. Bürozeit ist von Montag bis Donnerstag, Homeoffice am Freitag. Auch das gilt für alle, ebenfalls mit möglichen Ausnahmen. „Wer Dienstag beispielsweise wegen eines privaten Termins zu Hause bleiben möchte, kann dies zusätzlich tun, nach vorheriger Absprache im Team“, erklärt Melita Mesaric, Head of Human Resources. Die Vorteile der strengen Regelung liegen ihrer Meinung nach auf der Hand: „Man wächst wieder enger zusammen, der Zusammenhalt ist stärker.“ Auf ungeteilte Begeisterung bei den Associates stößt das nicht. In der Umfrage kritisiert ein Teilnehmer: „Die Homeoffice-Regelung könnte etwas flexibler sein – hier ist man leider wieder einen Schritt rückwärtsgegangen nach den Corona-Lockerungen.“
Auch Osborne Clarke will laut britischen Presseberichten nun härter durchgreifen. Sogar von Sanktionen war zu lesen, wenn sich Anwälte weigern sollten, weniger als drei Wochentage im Büro zu verbringen. Sanktionen? Gerade für Osborne Clarke, die sonst nicht für ein rigoroses Durchgreifen bekannt ist, wäre das eine harte Ansage. Managing-Partner Carsten Schneider (54) kann das für Deutschland nicht bestätigen. „Wir wollen 50/50, das heißt mindestens 50 Prozent der Zeit im Büro, aber auch bis zu 50 Prozent von zu Hause oder woanders“, sagte er. Das gelte für alle, wobei die Präsenz von Partnerinnen und Partnern besonders wichtig sei, auch als Vorbild. Auswärtstermine gelten für sie deshalb nicht als Bürozeiten.
Die Kanzlei hat seit dem Ende der Pandemie einige Varianten ausprobiert, bevor sie bei halb und halb landete. Die Realität sieht allerdings im Moment heterogen aus, die einzelnen Praxisgruppen leben ihren Arbeitsalltag sehr unterschiedlich. „Einige Teams sind fast immer im Büro“, stellt Schneider fest. Andere nicht. „Bei solchen Teams ermuntern wir erst die Partner und dann die Associates wieder ins Büro zu kommen“, so Schneider. Natürlich schaue man auch auf die Produktivität, aber die Zahlen seien nur das eine. „Uns ist der kulturelle Aspekt daran wichtig. Die Leute sollen sich physisch begegnen, und zwar nicht nur innerhalb des Teams.“ Das sei auch für Ideen zur gemeinsamen Geschäftsentwicklung relevant. Er sieht es eher kritisch, wenn jemand regelmäßig vier Wochentage im Homeoffice verbringt. Unter den Associates macht das laut Umfrage nur eine Minderheit: Sieben Prozent der Osborne Clarke-Associates sind vier Tage im Homeoffice, die meisten (42 Prozent) arbeiten an zwei Tagen pro Woche von zu Hause aus.

Großkanzleien wie etwa Clifford Chance und Baker McKenzie sehen ihre Anwältinnen und Anwälte gerne an zwei Tagen pro Woche im Büro. Bei Clifford können ausdrücklich zusätzliche Tage spontan hinzukommen. Baker rechnet seit Anfang 2022 mit dem Modell 2+2+1. Zwei Tage Büro, zwei Tage Homeoffice, ein Tag nach Absprache. Das wird durch die Associate-Umfrage bestätigt: Während bei Clifford zwei Drittel aller Umfrageteilnehmenden ein oder zwei Tage im Homeoffice und 30 Prozent immer im Büro sind, arbeiten die Baker-Anwälte nur zur Hälfte ein oder zwei Tage im Büro, jeder Fünfte arbeitet regelmäßig drei Tage remote.
Die freie Wahl haben Anwältinnen und Anwälte – sowohl Associates als auch Partner – bei Freshfields und bei Hengeler. So hieß es bei Freshfields im Rahmen der Recherche für azur100: „Wir werden auch in Zukunft flexibel bleiben und haben keine strikte Policy für Anwesenheiten im Büro festgelegt.“ Hengeler geht noch einen Schritt weiter und betont: „Präsenzregeln oder Obergrenzen für mobiles Arbeiten würde die Flexibilität unserer Anwältinnen und Anwälte unnötig einschränken.“ Das klingt nach viel Freiheit. Doch faktisch unternehmen auch diese Kanzleien viel dafür, um ihre Associates regelmäßig ins Büro zu locken. Regelmäßige Associate-Lunches sind nur ein Beispiel.
Homeoffice kann eine gewisse Trägheit hervorrufen.
Einer der Vorreiter hinsichtlich flexibler Arbeit ist Greenfort in Frankfurt. Die 47 Anwältinnen und Anwälte lebten die Freiheit schon lange vor Corona und genießen sie weiterhin. Die Begründung dafür lautet schlicht: „Es macht allen großen Spaß, so zu arbeiten“ So bringt es Mitgründer Daniel Röder (51) auf den Punkt. Entsprechend verteilen sich die Anwälte zeitweise auch räumlich quer durch die Republik und darüber hinaus: Ein Greenfort-Anwalt hat gerade ein Haus in Italien gebaut, ein anderer arbeitet regelmäßig vom Allgäu aus, ein nächster von der Nordseeinsel Föhr. In der Associate-Umfrage sehen viele Teilnehmenden von Greenfort darin einen großen Vorteil. „Die 100 Prozent Homeoffice-Möglichkeit hier besteht wirklich und wird auch genutzt“, schreibt einer.
Per App einen Platz im Büro buchen
Ähnlich liest es sich bei Watson Farley, die für ihre „überragende Flexibilität“ in der Umfrage Lob einheimsen. Ihre An- bzw. Abwesenheitspolitik ohne feste Regeln schlägt sich schon längst in der Büroeinrichtung nieder. Bereits 2019 wurde die gesamt IT-Hardware umgestellt, wer ins Büro kommen will, muss sich per App einen Platz buchen. Überlegungen, wieder durch eine generelle Vorgabe zu mehr Anwesenheit zurückzukehren, existieren nicht. „Wir haben eine flexible, global geltende Policy“, sagt der deutsche Managing-Partner Dr. Christian Finnern (46). Diese gebe den Kolleginnen und Kollegen einen großen Spielraum bei der Gestaltung ihres Arbeitsalltages.
„Wir merken allerdings, dass es viele in die Büros zieht“, sagt er. Andere arbeiten abwechselnd aus den unterschiedlichen Standorten heraus oder eben aus dem Homeoffice. „Unsere Teams arbeiten abgestimmt und projektabhängig jeweils dort, wo es am meisten Sinn macht. Das funktioniert sehr gut“, findet er. Diese Flexibilität spiegelt sich auch in der Umfrage: Knapp die Hälfte aller Teilnehmenden arbeitet drei oder vier Tage pro Woche im Homeoffice, jeder Fünfte kommt jeden Tag ins Büro.

Dass Homeoffice sich auf das Zusammengehörigkeitsgefühl negativ niederschlagen kann, ist allen bewusst: Mancher lässt Gelegenheiten fürs Networking aus oder bekommt schlicht Dinge nicht mit, weil man sich eben nicht zufällig an der Kaffeemaschine trifft. „Homeoffice kann eine gewisse Trägheit hervorrufen, wenn man nicht mehr raus geht“, sagt Greenfort-Anwalt Röder. Aber letztlich müsse sowieso jeder vor die Tür, um sein Geschäft am Ende des Tages reinzuholen. Das gilt für die Partner genauso wie für die Associates, speziell wenn sie Partnerambitionen verfolgen. Karriere machen nur vom heimischen Schreibtisch aus? Das funktioniert nicht.
Wer als Arbeitgeber auf einer bestimmten Zahl von Anwesenheitstagen besteht, erntet damit nur selten Begeisterungsstürme. Aber bisher mussten Kanzleien in Deutschland noch nicht mit Sanktionen drohen. „Wir setzen auf Selbstverantwortung und Selbstständigkeit“, betont etwa Skadden-Partner Bauer. „Unabhängig von der Policy war es auch schon vor den Covid-Erfahrungen so, dass wir die Anwesenheit unserer Anwälte und Anwältinnen nicht kontrollieren.“ Die Bürostruktur sei ohnehin so, dass sich niemand verstecken könne.
So moderat klingen manche Töne, die derzeit aus den USA zu vernehmen sind, nicht. Amazon etwa lieferte die Drohung direkt mit, als sie ihre Angestellten aufforderte, wieder mindestens drei Tage pro Woche physisch zu erscheinen. Würde sich jemand weigern, hieß es, werte man das als „willentliche Kündigung“.