Elitärer als die Elite: Top-Kanzleien sind eine Klasse für sich

Neue Daten aus Deutschlands größter Top-Anwaltsstudie von JUVE und der London School of Economics (LSE) zeigen eine extreme soziale Selektivität in der juristischen Spitzenklasse. Der Zugang zu den renommiertesten Kanzleien ist stark von einer privilegierten Herkunft geprägt. Innerhalb der Kanzleien nimmt die Vielfalt mit jeder Karrierestufe weiter ab, was vor allem Frauen, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund sowie aus Arbeiterfamilien betrifft.

Die soziale Zusammensetzung der Top-Anwaltschaft in Deutschland unterscheidet sich drastisch von der Gesamtbevölkerung und sogar von anderen Eliteberufen. Ganze 85 Prozent der Top-Anwälte stammen aus Elternhäusern der Oberschicht beziehungsweise der sogenannten Dienstklasse, zu der laut Studiendefinition Berufe wie Ärzte, Juristen, Professoren oder Geschäftsführer zählen. Zum Vergleich: In der gesamten deutschen Erwerbsbevölkerung liegt dieser Anteil bei nur 24 Prozent. Selbst im Vergleich zu anderen hohen Führungs- und Fachberufen, die bereits als elitär gelten, ist der Unterschied signifikant: Dort stammen 49 Prozent aus der Oberschicht, bei den Top-Anwälten sind es mit 85 Prozent annähernd doppelt so viele.

Besonders auffällig ist die massive Unterrepräsentation der Mittelschicht in der Top-Anwaltschaft. Nur 8 Prozent der Top-Anwälte kommen aus diesem Milieu. In anderen Eliteberufen hingegen sind 46 Prozent in Mittelschichts-Haushalten aufgewachsen. In der deutschen Erwerbsbevölkerung haben 59 Prozent Eltern, die der Mittelschicht angehören. Auch die Menschen aus Arbeiterfamilien sind mit einem Anteil von 7 Prozent unter den Top-Anwälten deutlich unterrepräsentiert, verglichen mit 17 Prozent in der gesamten Erwerbsbevölkerung. Der Vergleich mit anderen hohen Fach- und Führungspositionen, in denen nur 5 Prozent aus der Arbeiterklasse stammen, zeigt eine generelle Hürde für diese Gruppe in Spitzenpositionen. Die extreme Abweichung bei der Mittelschicht unterstreicht dennoch die besondere Exklusivität der Top-Juristerei.

Gläserne Decke auf dem Weg zur Partnerschaft.

Die mangelnde Vielfalt setzt sich auch im Karriereverlauf innerhalb der Kanzleien fort. Die Auswertung der Studiendaten zeigt, dass der Anteil von Frauen und anderen unterrepräsentierten Gruppen mit steigender Hierarchieebene systematisch sinkt.

Bei Frauen ist dieser Trend besonders ausgeprägt: Machen sie auf der Einstiegsebene der Associates noch einen Anteil von 44 Prozent aus, sinkt dieser Wert auf der Counsel-Stufe bereits auf 31 Prozent. Von Non-Equity-Partnern sind nur noch 23 Prozent weiblich, und in der höchsten Stufe, der Equity-Partnerschaft, liegt der Frauenanteil bei mageren 13 Prozent. Die Repräsentation von Frauen nimmt also von der ersten bis zur letzten Karrierestufe um mehr als zwei Drittel ab, d.h. ihr Anteil auf der höchsten Karrierestufe ist um über 70 Prozent geringer als beim Einstieg.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Juristen mit Migrationshintergrund. Ihr Anteil beträgt auf Associate-Ebene noch 20 Prozent, fällt in der Equity-Partnerschaft auf weniger als die Hälfte (9 Prozent). Personen aus Arbeiterfamilien sind bereits auf der Einstiegsebene mit 9 Prozent kaum vertreten, unter den Equity-Partnern schrumpft ihr Anteil auf nur noch 6 Prozent.

Die Analyse der Daten zeichnet das Bild einer Branche, die sowohl beim Zugang als auch bei den Aufstiegschancen stark von homogenen Strukturen geprägt ist. Die soziale Herkunft fungiert als entscheidender Filter für den Eintritt in die Welt der Top-Kanzleien, stärker noch als in anderen Elite-Segmenten. Einmal eingetreten, scheinen interne Mechanismen die Karrierechancen von Frauen und Personen aus weniger privilegierten Verhältnissen zu begrenzen. Weiche Faktoren wie der Zugang zu exklusiven Netzwerken, ein unbefangener Umgang mit Entscheidungsträgern und ein als passend empfundenes Auftreten und Kommunikationsverhalten spielen auf dem Weg nach ganz oben offenbar eine zentrale Rolle. Dies sind oft unbewusst erlernte Kompetenzen, die stark vom privilegierten Elternhaus geprägt sind. Trotz öffentlicher Bekenntnisse zu mehr Diversität bleibt der Weg an die Spitze deutscher Wirtschaftskanzleien für die viele ein äußerst schwieriges Unterfangen.

Über die Studie

Die vorliegenden Ergebnisse stammen aus der bislang größten wissenschaftlichen Studie zu Anwälten und Anwältinnen in Großkanzleien in Deutschland, die JUVE in Zusammenarbeit mit der London School of Economics and Political Science (LSE) gestartet hat. Sie untersucht den Effekt von sozialer Herkunft auf Karrieren in der Anwaltschaft. Über 3.500 Anwälte aus den Top 100 Kanzleien Deutschlands haben 2021 an der repräsentativen Befragung teilgenommen. Im Jahr 2022 hat JUVE bereits ausführlich über die ersten Ergebnisse berichtet. Seitdem hat Studienleiter Dr. Asif Butt mehr als 50 eins-zu-eins Interviews mit Partnerinnen, Partnern und Associates geführt sowie in jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit vertiefte Auswertungen erstellt und neue Analysen des Datenmaterials vorgenommen.

Mehr über die größte Top-Anwaltsstudie Deutschlands finden Sie hier:


https://www.asifbutt.com/s/Kanzleien-Whitepaper-2025.pdf

Mehr Informationen über Studienleiter Dr. Asif Butt finden Sie hier:

www.asifbutt.com


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