Eine Frage der Empathie im Arbeitsrecht – Teil 2/2

Wer als junger Jurist im Arbeitsrecht durchstarten will, braucht mehr als nur juristisches Know-how. In kaum einem Rechtsgebiet sind die Fronten so klar wie hier – Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer. Doch neben der fachlichen Expertise zählen vor allem soziale Kompetenzen, wie Zuhören, Verhandeln und Vermitteln.

Entscheidung für eine Seite

Individual oder kollektiv?
Das sind die entscheidenden Unterschiede


Individualarbeitsrecht
Das Individualarbeitsrecht umfasst sämtliche Regelungen,
die das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
betreffen. Zu den wichtigsten Gesetzen gehören das
Kündigungsschutzgesetz, das Bundesurlaubs- und das
Mutterschutzgesetz.

Kollektivarbeitsrecht
Das Kollektivarbeitsrecht regelt die Rechtsbeziehungen
zwischen Arbeitgebern und den Interessenvertretungen der
Arbeitnehmer wie Gewerkschaften und Betriebsräten. Es
umfasst Bereiche wie Koalitionsrecht, Tarifvertragsrecht und Mitbestimmung.

Junge Juristen, die im Arbeitsrecht Karriere machen möchten, sollten neben juristischen Kenntnissen also auch soziale Kompetenzen mitbringen. Zu Beginn ihrer Laufbahn müssen sie sich viele Fragen stellen. Angefangen mit der Frage, auf welcher Seite sie stehen wollen. Denn in wenigen Rechtsgebieten sind die Rollen so klar verteilt wie im Arbeitsrecht. Im Transaktionsgeschäft vertreten viele Kanzleien mal Käufer, mal Verkäufer. Sie beraten Konzerne, Investoren, Banken und Family Offices. Im Arbeitsrecht hingegen sollte man Farbe bekennen und sich für die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmerseite entscheiden. Denn die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind in der Regel sehr unterschiedlich.

Die nächste Frage ist: Möchtest du gerne tief in arbeitsrechtliche Spezialthemen einsteigen? Dann ist eine kleine Kanzlei oder Praxis nicht unbedingt der richtige Arbeitgeber, da die Anwälte dort meist als Generalisten auftreten. In größeren Teams bleibt mehr Raum für Spezial- oder gar Nischenthemen und die Entwicklung eines eigenen Geschäftsmodells. Doch auch größere Teams in großen Kanzleien sind heute vielfach stärker spezialisiert und fokussiert als noch vor fünf oder zehn Jahren. Die Arbeitsrechtspraxen deutscher und internationaler Großkanzleien wie Gleiss Lutz, Freshfields, Linklaters oder A&O Shearman sind heute vor allem Teil größerer Projektteams. In diesen arbeiten sie mit Anwälten für Transaktionen, Gesellschaftsrecht oder Compliance-Beratung zusammen. Das heißt nicht, dass Kanzleien wie diese kein originäres Arbeitsrecht machen, es steht nur weniger im Fokus als Mandate, die eine Vernetzung mit anderen Bereichen der Kanzlei ermöglichen.

Wer als junger Arbeitsrechtler zunächst die gesamte Palette des Rechtsgebiets kennenlernen möchte, ist in einer mittelständischen Kanzlei wie Luther, Görg, Heuking oder GvW Graf von Westphalen sehr gut aufgehoben. Oder in einer Boutique, also einer Kanzlei, die ausschließlich auf das Arbeitsrecht spezialisiert ist. Diese Einheiten decken in der Regel fast alle Themen der arbeitsrechtlichen Beratung für Unternehmen ab. Doch auch hier ist es möglich, ein eigenes Thema wie Arbeitnehmerdatenschutz, betriebliche Altersversorgung oder Fremdpersonaleinsatz, also die Entsendung von Mitarbeitenden ins Ausland, zu besetzen und sich zum Spezialisten zu entwickeln. Bezüglich der Karrierechancen lässt sich nicht pauschal sagen, ob der Aufstieg in einer Boutique, einer mittelgroßen Einheit oder im Großkanzleiteam leichter ist.

Große Projekte inklusive

Was sich hingegen pauschal sagen lässt, ist, dass die Arbeit in jeder Art von Kanzlei interessant ist. Anders als im Transaktionsgeschäft sind die internationalen Großkanzleien nicht automatisch auf die größten arbeitsrechtlichen Mandate abonniert. Ein Beispiel: Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Situation in Deutschland boomt derzeit das Geschäft mit Restrukturierungen. Viele Unternehmen trennen sich aufgrund wirtschaftlichen Drucks von ihren Beschäftigten – und das in teils erheblichem Umfang. So will der Volkswagen-Konzern bis 2030 35.000 Stellen streichen, beim Reiseveranstalter FTI sind es 11.000 und bei Ford fast 3.000. In fast jedem der derzeit 20 größten Restrukturierungsprojekte – von Alstom bis ZF Friedrichshafen – sind Anwälte der Arbeitsrechtsboutique Kliemt und der Mittelstandskanzlei Seitz tätig.

Genaues Zuhören hat sich bewährt: Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger, Co-Managing-Partnerin der Kanzlei Seitz. Foto: Seitz

Auch bei solch großen Stellenabbaumaßnahmen zeigt sich, warum neben Jura auch soziale Kompetenzen eine so wesentliche Rolle für den Beruf des Arbeitsrechtlers spielen. Denn wo, wenn nicht in Mandaten, in denen Menschen um ihren Arbeitsplatz fürchten, kochen die Emotionen hoch und überlagern die eigentlich sachlich zu klärenden Themen? Neben Empathie und Verständnis für die Interessenlage der Mandanten sowie der Gegenseite braucht es in Verhandlungssituationen noch eine wichtige Zutat: Authentizität. „Als Arbeitsrechtler respektive generell als Anwalt sollte man in der Lage sein, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen”, sagt Littler-Partner Kaul. Egal, ob man der Good Cop oder der Bad Cop ist, man müsse authentisch bleiben. Zur Wahrheit gehöre allerdings auch, dass manchmal ganz klar der Bad Cop gefragt ist, zum Beispiel bei Fällen mit strafrechtlicher Komponente, die eine sofortige Trennung vom Mitarbeitenden erfordern. „Da ist dann auch eine Mediation fehl am Platz“, sagt Kaul.

Die Fähigkeit, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen, ist auch deshalb hilfreich, weil das Spektrum der Mandanten im Arbeitsrecht sehr breit ist. Selbst wenn man sich auf die Beratung mittelständischer Unternehmen fokussiert, hat jede Firma und jede Branche ganz eigene Besonderheiten. „Bei manchen Mandanten dauert – überspitzt formuliert – die Abstimmung über den Ausspruch einer Abmahnung so lange wie bei anderen eine kleinere Umstrukturierung“, sagt Kaul. Wichtig sei außerdem, sagt Seitz-Partnerin Bürger, die Botschaft an den Empfänger anzupassen. „Ein General Counsel hat einen anderen Empfängerhorizont als ein Mitarbeitender in der Personalabteilung. Darauf muss man sich als Anwalt einstellen und die jeweiligen Personen entsprechend adressieren.“

Kollege KI

Gerade diese vermeintlichen soften Kompetenzen können sich für den Nachwuchs im Arbeitsrecht auszahlen. Denn auch die arbeitsrechtliche Beratung ist vor dem Einzug von Legal Tech und künstlicher Intelligenz nicht gefeit. Insbesondere Standardaufgaben wie der Entwurf von Arbeitsverträgen oder das Verfassen von Abmahnungen und Kündigungsschreiben sind in vielen Kanzleien momentan noch Teil der Tätigkeit. Auch weil Berufseinsteiger dabei das Geschäft von der Pike auf lernen. Doch schon jetzt gibt es Kanzleien, die solche Aufgaben mit Hilfe von KI-Software erledigen. Perspektivisch werden einige Aufgabenfelder in den arbeitsrechtlichen Teams nicht mehr von jungen Anwälten, sondern von der Technik erledigt.

Braucht man dann weniger? Nicht unbedingt. Denn was kein Tool der Welt so schnell übernehmen wird, ist die Verhandlung der eigentlichen arbeitsrechtlichen Kernthemen. KI-Tools helfen heute dabei, Beschäftigtendaten für eine Restrukturierung zu sammeln und zu strukturieren. Die Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialpläne führen aber die Anwälte. Auch Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge werden am Verhandlungstisch finalisiert. Umso sinnvoller scheint es für angehende Arbeitsrechtler, neben ihren juristischen Kompetenzen auch ihre sozialen zu schulen, um für Mandanten das bestmögliche Ergebnis erzielen zu können. Gerade dann, wenn die Emotionen mal wieder hochkochen. Denn die KI ist zwar schnell, sie ist aber nicht empathisch.

Hier geht es zu Eine Frage der Empathie im Arbeitsrecht – Teil 1/2


Teilen:

azur Mail abonnieren