Die Top-Einsteller

Große Kanzleien haben großen Personalbedarf. Es kann ein Vorteil sein, die ersten Karriereschritte in einer großen Gruppe zu beginnen. Denn wer viel einstellt, bietet oft auch ein umfangreiches Ausbildungspaket.

In manchen internationalen Wirtschaftskanzleien arbeiten weltweit mehrere tausend Anwältinnen und Anwälte – zum Beispiel bei Freshfields 2.800, bei Latham & Watkins rund 3.000, bei DLA Piper insgesamt 4.200. Auch deutsche Kanzleien beziehungsweise die deutschen Büros der international Großen haben jahrzehntelang nach Ausbau gestrebt und ihre Associate-Teams insgesamt auf mehrere hundert erweitert. Vor allem bei Unternehmenstransaktionen waren große Truppen gefragt, um sich wochenlang durch Aktenberge aus Papier zu wühlen, um alte Verträge zu lesen und neue, umfangreichere Verträge zu schreiben.

Mittlerweile wachsen die meisten der personalstärksten Kanzleien von Jahr zu Jahr nur noch behutsam. Die Gründe sind vielfältig: Wenn die Teams zu groß werden, schwindet möglicherweise die hohe Profitabilität, das Geldverdienen wird schwieriger. Lieber also kleinere Teams so effizient wie möglich auslasten. Ein weiterer Grund: Viele Mandanten meckern über zu hohe Abrechnungen ihrer juristischen Berater, die natürlich auch durch hohen Personaleinsatz zustande kommen. Lieber also wenige, teuer bezahlte Stunden des erfahrenen Kanzleipartners in Rechnung stellen als die Fleißarbeit eines großen Teams. Und auch die Digitalisierung inklusive Legal Tech und künstlicher Intelligenz liefert einen Grund: Für standardisierte, vorhersagbare Fragestellungen ist kein individueller anwaltlicher Rat mehr erforderlich, der Lösungweg beginnt (und endet immer öfter) in einer Software.

Tausende neuer Stellen

Trotzdem suchen viele der großen Sozietäten nach den besten Absolventinnen und Absolventen eines Jahrgangs. Einzelne wollen im laufenden Jahr bis zu 100 Stellen neu besetzen. Die Top-50-Kanzleien dieser azur100- Ausgabe suchen knapp 2.000 Neue. Dass trotzdem nicht alle Kanzleien im Saldo wachsen, liegt daran, dass viele angestellte Anwälte nach einigen Jahren ihre erste Kanzlei verlassen. Ein Associate in der azur-Umfrage, der in einer kleineren internationalen Sozietät arbeitet, findet hohe Fluktuation sehr suspekt: „Wenn jedes Jahr 100 Leute frustriert gehen und dafür 100 neue eingestellt werden, spricht das gerade nicht für diese Kanzlei.“

Stimmt. Aber nur wenige Associates gehen im ersten Jahr, und die meisten gehen nicht, weil sie mit ihrer Arbeit oder ihren Kollegen gar nicht klarkommen. Manche gehen in den Staatsdienst, manche in Rechtsabteilungen, viele aber heuern in anderen Wirtschaftskanzleien an und hoffen, dort schneller oder besser Karriere machen zu können. Auch die altersbedingten Weggänge müssen ersetzt werden, und hin und wieder tut sich durch spektakuläre Teamwechsel zwischen Kanzleien eine personelle Lücke auf, die für Neue die Chance auf den Einstieg in einer renommierten Kanzlei bietet.

Nicht alle Plätze werden besetzt

Fluktuation ist also kein Makel für eine Kanzlei und sollte Bewerberinnen und Bewerber nicht davon abhalten, dort zu unterschreiben, wo sie sich am wohlsten fühlen und wo es insgesamt die beste Passform gibt. Ein guter Standort, ein gutes Team, ein gutes Gehalt … einer von 100 sein? Warum nicht.

Wachstum gelingt ohnehin nur dann, wenn alle offenen Stellen besetzt werden. Unsere Tabelle zeigt, dass dies längst nicht allen Sozietäten gelingt. Die Lücke zwischen der Planzahl von knapp 2.000 und der im Vorjahr tatsächlich erreichten Einstellungszahl ist beträchtlich: Knapp 1.500 Neueinstellungen kamen zustande. Auch hier sind die Gründe vielfältig. Mancher Geschäftsplan geht nicht auf, weil ein Mandat verlorengeht, und Neueinstellungen werden kurzfristig gestoppt. Manch sicher geglaubter Bewerber springt vor der Unterschrift ab und tritt seine erste Stelle woanders an. Oder die Schere zwischen den Anforderungen an die Qualifikation und der tatsächlichen Bewerberlage ist zu groß – der oder die Richtige ist einfach nicht zu finden.

Für Bewerber wie für Einsteller zeigt sich an diesem Punkt die große Bedeutung des Referendariats, aber auch einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Die Kanzleien wissen, wen sie einstellen, und auf der anderen Seite kennen die Nachwuchsjuristinnen und -juristen bereits die Vorteile und auch Eigenheiten der jeweiligen Kanzlei.

„Mehr Schultern“ sind gefragt

Viele Neueinstellungen sind aus Bewerbersicht ein gutes Zeichen. Weiterhin sind gute Juristinnen und Juristen gefragt, weiterhin gibt es keinen anderen Beruf, der für Einsteiger so hohe Gehälter bietet. Und aus Sicht der schon vorhandenen Belegschaft ist es erst einmal gut, wenn der Arbeitgeber aufstockt – schließlich ist die Beschwerde über zu hohe Arbeitslast eine Konstante für viele junge Wirtschaftsanwältinnen und -anwälte. Ein Associate von Willkie Farr & Gallagher, die in Deutschland zuletzt mit vielen Quereinsteigern gewachsen ist, fordert: die „Arbeit auf mehrere Schultern verteilen“. Eine Verbesserung der Belastung ist aus Sicht eines Umfrageteilnehmers bei Ypog gelungen: „Work-Life-Balance hat sich gebessert, Arbeit verteilt sich auf mehr Schultern.“ Bei Honert in München findet ein Associate Lob für die Neueinstellungen seines Arbeitgebers, die „zur Entlastung der Gesamtheit“ geführt hätten.

Ebenfalls in München hat ein Anwalt von Kirkland & Ellis eine ähnlich positive Wahrnehmung seines Teams: „Kontinuierliche Neueinstellungen auch in ruhigeren Zeiten haben dazu geführt, dass sich die Arbeitszeiten deutlich verringert haben.“ Die US-Kanzlei lag in den vergangenen Jahren im Marktvergleich oft in der Spitzengruppe für Arbeitsbelastung, das hat sich zuletzt deutlich verbessert. Auch in kleinen Kanzleien mit Transaktionsschwerpunkt gibt es manchmal Belastungsspitzen. Ein Associate einer norddeutschen Kanzlei die nicht in azur100 vorkommt, wünscht sich Entlastung: „Was fehlt, ist noch mehr Manpower, um in Hochbelastungsphasen die Arbeit besser auf mehrere Schultern verteilen zu können, was die Familienvereinbarkeit weiter fördern würde.“

Willkommen nach Plan

Dort, wo regelmäßig viele neue Anwältinnen und Anwälte anfangen, gibt es gute Routinen für das Onboarding und die Einarbeitung. Auch das Thema Ausbildung ist den Top-Einstellern als Herausforderung bewusst, ihre Programme sind in der Regel umfangreich und durchdacht. Zumindest Einarbeitung und Ausbildung könnten also dafür sprechen, bei einer Großkanzlei anzuheuern.

Allerdings ist das, was alle Kanzleien im Bewerbungsprozess anbieten – das Kennenlernen des eigentlichen Teams – wohl genauso wichtig, wenn nicht sogar entscheidend. So lobt ein Luther-Associate in der Umfrage: „Es gibt angemessene Arbeitszeiten und freie Wochenenden (zumindest in meinem Team).“ Ein Anwalt von Dentons ist sich der Unterschiede innerhalb der Kanzlei durchaus bewusst: „Sehr gut; aber auch sehr teamabhängig; in meinem Team herrscht absolute Freiheit und Flexibilität.“


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