Der Teamsportler

Rupert Bellinghause­n liebt den Adrenalinausstoß vor Gericht genauso wie das Brüten über Schriftsät­zen. Dass er die Nacht vor einem großen Auftritt unruhig schläft, nimmt er gerne in Kauf.

Gnadenlos vereinfacht, aber kein Detail auslassend. So sieht, wenn es nach Dr. Rupert Bellinghausen geht, der perfekte Schriftsatz aus. Oder um es griffiger zu formulieren: „Der Richter muss den Sachverhalt beim Glas Rotwein verstehen können“, erklärt der 58-jährige Konfliktlösungsspezialist, der sich selbst als Urgestein von Linklaters bezeichnet.

Dabei ist ‚Urgestein‘ nicht der erste Begriff, mit dem man ihn beschreiben würde. Mit einer lebhaften Gestik, der rheinisch gefärbten Aussprache, seinem blauen Anzug und weißem Hemd wirkt er alles andere als fossil. Aus Sicht eines frisch gebackenen Associates dürfte sein Lebenslauf trotzdem klingen wie aus einer vergangenen Zeit – denn Bellinghausens beruflicher Werdegang ist schnell skizziert: Er ist Linklaters immer treu geblieben. Treu heißt in diesem Fall, dass er schon seit 28 Jahren für die Magic-Circle-Kanzlei arbeitet. Er hat die massiven Veränderungen der Kanzleilandschaft miterlebt, die aufgrund der möglich gewordenen Internationalisierung um die Jahrtausendwende innerhalb weniger Jahre abliefen. 1996 war Bellinghausen nach seinem Studium an der Universität Bonn bei der Kölner Kanzlei Oppenhoff & Rädler eingestiegen. Nur zwei Jahre später beschloss sein Arbeitgeber eine strategische Allianz mit der britischen Großkanzlei Linklaters, die schließlich 2001 in eine vollständige Fusion mündete. 2002 wurde er bereits Partner. Was Bellinghausen die ganze Zeit dort gemacht hat, ist ebenso schnell beantwortet: Konfliktlösung oder – um es international auszudrücken – Dispute Resolution.

Kein Spaß mit RTL

Dabei war der ursprüngliche Plan ein anderer, und der erklärt auch sein Faible für den perfekten Schriftsatz: Bellinghausen wollte Journalist werden, sprach mit einem FAZ-Redakteur und entschied sich im ersten Schritt für ein solides Jurastudium. Als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung stellte er die journalistischen Weichen. Alles schien rund zu laufen. Bis ihm das damals noch frisch auf den Markt drängende Privatfernsehen, genauer gesagt RTL, den Spaß am Journalismus gründlich vergällte.

Während eines Praktikums wurde er der Sendung ‚Explosiv – der heiße Stuhl‘ zugeteilt. Das Prinzip der Sendung, die hitzige Diskussion, die überaus provokant, laut und polemisch daherkam, war aus damaliger Sicht etwas Neues. Und für Bellinghausen furchtbar. „‚Ach du meine Güte!‘, dachte ich damals. ‚Was ist das denn?‘“, erinnert er sich und schlägt beim Erzählen noch heute die Hände über dem Kopf zusammen. Gleichzeitig lief es im Jurastudium richtig gut und eine juristische Karriere stand jetzt im Fokus. Also Prozessführung oder Litigation, „weil es der Inbegriff der Jurapraxis ist“, wie er erklärt. „Hands-on und gleichzeitig sehr juristisch.“ Arbitration, also Schiedsgerichtsbarkeit, kam erst später dazu.

Heute liebt er die Abwechslung, die beide Bereiche bieten: Etwa, wenn ihn eine ganze Woche lang ein Fall vor dem Schiedsgericht beschäftigt hält, bei dem sich zwei Unternehmen um einen Riesenbetrag streiten. Ohne Litigation-Fälle will er aber auch nicht. „Daran fasziniert mich, dass man sich immer in neue Sachgebiete einarbeiten muss“, sagt er. Da kann es dann erst um Tunnelbau gehen und kurze Zeit später um künstliche Hüftgelenke. Eine Kollegin etwa hätte schon aus Recherchezwecken bei einer Hüftoperation zugesehen. „Das war mir aber zu blutig.“

Die Aufregung steigt

Healthcare ist eine Branche, in der er viel unterwegs ist, aber längst nicht die einzige. Im vergangenen Jahr vertrat er etwa die Erste Abwicklungsanstalt (EAA) gegen den Versuch der Portigon, ihre Steuerverbindlichkeiten von einer Milliarde Euro in Sachen Cum-Ex auf sie abzuwälzen. Marktbekannt ist auch die Verteidigung der Air France KLM-Gruppe in einem Kartellschadenersatzprozess, bei dem es um 3 Milliarden Euro ging. Dass die Aufregung bei solchen Größenordnungen durchaus steigt, gibt Bellinghausen zu. Die Nacht vor der großen Verhandlung sei schon unruhiger als sonst, „das Gehirn arbeitet weiter“. Während der Schiedsverhandlung „totaler Adrenalinausstoß“, anschließend „total platt“. Abends komme dann der Report des Tages, den er mit der Mandantin durchspricht. Was machen wir am nächsten Tag? Wie gehen wir mit den Zeugenaussagen um? Bellinghausen nennt diese Phase „Endgame“, vorher ging es ja ‚nur‘ um den Schriftsatz.

Viele Bälle in der Luft

Aber es sind nicht nur diese Extreme, die seine Arbeit auszeichnen. Im Alltag muss er vor allem viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten können. „Man muss die Fälle im Kopf haben, ohne sie zu verwechseln“, sagt er. Das können durchaus 30 unterschiedliche Sachverhalte sein, laufende Sachen, bei denen eine Weile wenig passiert, die dann aber wieder hochkommen und priorisiert werden müssen. Das alles ist Teamsport.

Und seine Mannschaft ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Als er bei Linklaters einstieg, beschäftigten sich gerade mal zwei Partner mit dem Thema, die jeweils einen Mitarbeiter hatten. Heute umfasst die Praxisgruppe mehr als 30 Anwälte, von denen der größte Teil in Frankfurt beheimatet ist. Seit 2008 ist dort das Kompetenzzentrum, und in dem Jahr beschloss auch Rheinländer Bellinghausen seine Koffer in Köln zu packen. Nicht leicht für einen Kölner, der nun Urlaub nehmen muss, um Karneval zu feiern.

Wenn nicht Karneval ist, weiß er aber die Vorzüge Frankfurts durchaus zu schätzen. „Hier geht man mittags auf die Fressgass und trifft viele Kollegen. Taunus und Flug­hafen liegen vor der Tür. “ Auch, wenn er nicht über Schriftsätze und Strate­gien brütet, verhandelt oder delegiert, liebt er den Team­sport, genauer gesagt: Fußball. Allerdings mit einem Unterschied. Während er im Job unbedingt gewinnen will, ist ihm das beim Fußball nicht so wichtig. Da geht es eher um den Spaß. Er trainiert beim ‚Sonder­­training Männer‘. Was das ist? Bellinghausen lacht. „Das ist die Gruppe, die noch älter sind als die ‚alten Herren‘.“ Das passt – genauso gut oder gar nicht, wie das Urgestein.


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