Der Mann für Mode

Christian Gerloff hat als Insolvenzverwalter viele renommierte Unternehmen saniert. Vor allem in der Modebranche hat er sich einen Namen gemacht. Der Tipp, Jura zu studieren, kam vom Bunde­saußenmister.

Er steht auch schon mal neben Hollywoodgrößen auf dem roten Teppich. Den Fall, der ihn in die Welt der Filmstars führt, bekommt Christian Gerloff für einen Insolvenzverwalter schon früh – mit 41 Jahren. Infolge der Finanzkrise im Jahr 2008 schwächelt die Konsumlaune, und ein Jahr später gerät der Modehersteller Escada ins Schlingern. Der wurde in den 1990er-Jahren dadurch bekannt, dass er Prinzessin Diana ausstattete. Die Verluste summieren sich insgesamt auf 92 Millionen Euro. Es bleibt nur der Gang zum Insolvenzrichter. Christian Gerloff übernimmt als Verwalter das Ruder. Es ist sein erstes großes, überregionales Verfahren, bei dem rund 2.200 Jobs auf dem Spiel stehen. Innerhalb von nur zweieinhalb Monaten gelingt es ihm, den Hersteller exklusiver Damenmode an Megha Mittal zu verkaufen, die Schwiegertochter des indischen Stahlmagnaten Lakshmi Mittal.

„Das ist vermutlich mein bisher größter Erfolg. An der Escada-Insolvenz gab es damals ein sehr großes öffentliches Interesse. Ich kann mich gut erinnern, wie wir die Mitarbeitenden auf der Betriebsversammlung über die Rettung informiert haben. Die Modebranche ist sehr emotional“, berichtet der 55-Jährige. Zur Eröffnung des neuen Flaggschiff-Geschäfts auf der Münchner Maximilianstraße erscheinen damals Promis wie Emma Roberts, die Nichte von Julia Roberts, Filmproduzent Oliver Berben, Schauspieler wie Axel Milberg und Maria Furtwängler samt Ehemann Hubert Burda sowie das Fotomodel Eva Padberg. Mittendrin: Gerloff und sein Team.

Die zweite Schrumpfkur

Die Geschäfte laufen nach der Insolvenz besser als geplant. Nach mehreren Wechseln im Management und Weiterverkauf an den US-Finanzinvestor Regent meldet das Luxuslabel im Herbst 2020 allerdings zum zweiten Mal Insolvenz an. Der schon einmal bewährte Verwalter wird erneut bestellt. Wieder sind Umsatzrückgänge zu verschmerzen, die durch die Folgen der Corona-Pandemie noch verstärkt werden. Von den einstmals 2.200 Beschäftigten arbeiten zu dem Zeitpunkt noch 1.300 für den Modehersteller.

Zum Gespräch trägt Gerloff ein schlichtes weißes Hemd, graue gescheitelte Haare, eine unauffällige Brille. Er sei keiner, stellt er fest, der jedes neue Verfahren sofort auf LinkedIn posten müsse. Nichtsdestotrotz ist er für Podiumsdiskussionen oder Wirtschaftsmedien ein gefragter Experte zum Thema Zukunftschancen von Modebranche und Einzelhandel.

Während der Pandemie übernahm Gerloff die Funktion als Generalbevollmächtigter der Modekette Adler. Beim Textilhersteller Gerry Weber war er schon bei der ersten Insolvenz 2019 im Einsatz und im vergangenen Jahr auch noch als Pionier: Als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Gerry Weber Retail begleitete er eines der ersten Verfahren der Branche, das eine Sanierung ohne Insolvenz ermöglicht, indem sich die Muttergesellschaft mit ihren Gläubigern auf einen finanziellen Sanierungsplan einigt.

Politisch aktiv in der Wendezeit

Vorgezeichnet war der Weg in die Insolvenzszene und erst recht in die Modebranche nicht. „Als Kind des Ostens habe ich nach dem Abitur erst einmal eine technische Ausbildung gemacht, was in der DDR üblich war“, erzählt Gerloff. Als die Mauer im Herbst 1989 fällt, studiert er Physik. „In der Zeit vor der Wende habe ich mich viel mit Politik beschäftigt. Ich war auf Demonstrationen, bei denen wir noch von der Polizei gejagt wurden.“ Mit 21 wird er Stadtrat und Fraktionsvorstand in Halle. Über die politische Arbeit ergibt sich der Kontakt zum damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der wie er aus Halle stammt. Der gibt ihm den Tipp, Jura zu studieren.

Zum Insolvenzrecht findet der Hallesche Student ebenfalls durch Zufall: „Ich hatte mich nicht um einen Praktikumsplatz gekümmert und ein befreundeter Zeitungsredakteur empfahl mir eine Kanzlei, die auf dem Gebiet tätig war.“ Obwohl Gerloff weder Insolvenzverwalter werden noch ins konservative Bayern ziehen wollte, folgt er seiner damaligen Lebensgefährtin und steigt als Nachfolger in der Kanzlei Ott & Kollegen in München ein.

Der fehlende Karriereplan hat ihm nicht geschadet. Als einer der bekanntesten Insolvenzverwalter in Deutschland macht er seine Arbeit gern, die Gestik der Hände lässt Leidenschaft für den Beruf erahnen. „Es ist schön, zu gestalten und zu entscheiden. Ich kann mir nicht vorstellen, nur Schriftsätze zu formulieren“, erzählt er. Das schönste Kompliment habe ihm eine Richterin eher unabsichtlich gemacht: „Sie sind viel zu sehr Manager.“

Zudem lerne man unterschiedliche Branchen kennen – von Einzelhändlern über ein Architekturbüro, das in München den neuen Flughafenterminal entworfen hat, bis hin zu Krankenhäusern. Einer der ersten Fälle als junger Insolvenzverwalter war ein Sexshop in einer Kleinstadt mit 25.000 Einwohnern, in den sich mangels Anonymität zu wenige Kunden trauten. „Je nach Branche muss man auch mit den Mitarbeitenden ganz anders sprechen. Es gibt Unternehmen, in denen man offen aufgenommen wird, und es gibt die, in denen ich ein Bauchgrummeln empfinde“, erzählt er.

Die Kehrseite: „Natürlich trage ich eine große Verantwortung auf den Schultern.“ Deshalb komme es auf Empathie an. „Man darf gegenüber Belegschaften, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit nicht herumdrucksen, nichts Falsches versprechen oder vorschnell Hoffnungen wecken. Es geht darum, gemeinsam unter Zeitdruck Veränderungen zu erreichen.“ Als eigentlich harmoniebedürftiger Mensch falle es nicht leicht, sich vor die Beschäftigten zu stellen und zu sagen, dass die Rettung nicht funktioniert. Helfen dürfte dabei, dass Gerloff in der Wendezeit in Halle hautnah miterlebte, wie das Ende der DDR zahlreiche Lebensentwürfe der Menschen in den neuen Bundesländern durcheinanderwirbelte, viele ihre Jobs verloren oder sich beruflich neu orientieren mussten.

Aber längst nicht immer folgt auf eine gelungene Firmenrettung ein Freizeitvergnügen mit Filmstars wie damals bei Escada. Deshalb schwimmt und radelt der Triathlet aus Studienzeiten immer wieder gerne oder erklimmt Berge, wenn Zeit dafür bleibt. Ansonsten sorgen gutes Essen und guter Wein für den nötigen Ausgleich: „Früher ist bei mir Wasser angebrannt, aber in den letzten Jahren habe ich kochen gelernt.“


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