Brussels calling: Arbeit und Referendariat in Brüssel – Teil 2/2

Die EU-Hauptstadt punktet mit internationalem Flair in der Ausbildung und im Beruf. Neben dem EU-Recht bietet der Standort auch Juristinnen und Juristen anderer Spezialisierungen viele Möglichkeiten.

Zwar bestimmen Europarecht und internationales Kartellrecht nach wie vor das Gros der Mandate im Brüsseler Kanzleimarkt, aber auch die Arbeit im Außenwirtschaftsrecht und in regulierten Branchen wie Energie und Pharma ist für die Sozietäten in der belgischen Hauptstadt zuletzt immer wichtiger geworden. Das hängt ganz wesentlich auch mit den politischen Entwicklungen zusammen, weiß Stine Langfeldt. „Kurz nachdem ich zu Kapellmann gekommen war, begann der Angriff Russlands auf die Ukraine“, erinnert sich die junge Anwältin. „Wir brauchten dann schnell jemanden, der sich verstärkt mit den EU-Sanktionen auseinandersetzt und so habe ich das Außenwirtschaftsrecht als Rechtsgebiet für mich entdeckt.“

Doch auch für Juristen, die sich mit ihrer Spezialisierung abseits des klassischen Brüsseler Themenspektrums bewegen, hat der Standort durchaus seinen Reiz. „Wenn Anwälte aus Europa zusammenkommen, egal aus welchem Rechtsgebiet, dann ist Brüssel der Place to be“, sagt Mathis Schaller. Der 30-Jährige ist Associate im Brüsseler Büro von Gleiss Lutz und – für den Kanzleistandort untypisch – im Arbeitsrecht tätig.

Brüssel ist begehrt

Zahlreiche ausländische Kanzleien haben ein Büro in Brüssel – eine gute Plattform für deutsche Anwälte, die international arbeiten wollen.

Internationale Kanzleien (Auswahl):
Baker McKenzie; Bird & Bird; Cleary Gottlieb Steen & Hamilton; CMS Hasche Sigle; Dechert; Hogan Lovells; Jones Day; Latham & Watkins; Morrison & Foerster; Norton Rose Fulbright; Reed Smith; Sheppard Mullin Richter & Hampton

US-Kanzleien (Auswahl):
Freshfields Linklaters

Deutsche Kanzleien (Auswahl):
Gleiss Lutz; Hengeler Mueller; Kapellmann und Partner; Luther Noerr; Redeker Sellner Dahs; SZA Schilling Zutt & Anschütz

Quelle: JUVE Handbuch-Recherche 2025/2026

Und das kam so: Als Schaller im Januar 2022 seine Wahlstation bei Gleiss Lutz in Brüssel absolvierte, hatte er sein Rechtsgebiet schon gefunden. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits knapp ein Jahr in der Stuttgarter Arbeitsrechtspraxis der Sozietät verbracht – erst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und anschließend als Referendar während der Anwaltsstation. Die daran anknüpfende Wahlstation im Brüsseler Gleiss-Büro erwies sich allerdings als schicksalhaft: „Es hat mir so gut gefallen, dass ich gerne bleiben wollte“, erinnert sich Schaller. Unter den zehn Berufsträgern vor Ort ist der Arbeitsrechtler allerdings ein Exot, denn das Brüsseler Büro der deutschen Kanzlei steht seit seiner Gründung 1962 vor allem für Kartellrecht. Doch auch wenn das Arbeitsrecht dort eine eher untergeordnete Rolle spielt, weiß Schaller die Vorzüge des Standorts auch für sein Geschäft zu nutzen: „Der enge Draht zu den EU-Institutionen und Kanzleien vor Ort zahlt sich auch im Arbeitsrecht aus und resultiert etwa in Newsletter-Beiträgen und dem Besuch europäischer Arbeitsrechtskonferenzen.“ Die gute Verkehrsanbindung ermögliche es ihm zudem, weiterhin Mandantentermine in Deutschland wahrzunehmen. „Dieser Mix macht mir großen Spaß.“

Englisch ist unverzichtbar

Trotz der engen Kooperation mit den deutschen Standorten sind angehende Anwältinnen und Anwälte in den Brüsseler Büros deutscher Kanzleien auf sehr gute Englischkenntnisse angewiesen. „Ein großer Teil unserer Arbeit findet auf Englisch statt, aber auch im Privaten ist es oft die Alltagssprache“, sagt Stine Langfeldt. Französischkenntnisse seien in Brüssel zwar ein weiterer Pluspunkt, aber keinesfalls ein Muss. „Welche Sprache man im Alltag braucht, hängt auch davon ab, wo man unterwegs ist“, sagt Kapellmann-Partnerin Lemonnier. Sie selbst ist zweisprachig aufgewachsen und profitiert vor allem im europäischen Prozessrecht regelmäßig von ihren Französischkenntnissen, da die entsprechenden Verhandlungen in Luxemburg auf Französisch stattfinden und auch Urteile nur in dieser Sprache veröffentlicht werden.

Französisch hilft, ist aber nicht zwingend

Schätzt die entspannte und aufgeschlossene Atmosphäre in Brüssel: Johanna Bottyanfy von Gleiss Lutz. Foto: Gleiss Lutz

Auch wer den Kontakt zu Einheimischen sucht, kann mit Französisch oder wahlweise Flämisch punkten. Weniger polyglotte Juristinnen und Juristen sollten sich allerdings nicht abschrecken lassen. „Man darf nicht vergessen, dass nicht alle in Belgien perfekt Französisch sprechen. Selbst die frankophonen Brüsseler sind sehr entspannt und zuvorkommend, wenn es grammatikalisch etwas holpert“, berichtet Johanna Bottyanfy (30), Associate im Brüsseler Büro von Gleiss Lutz. Auch ihr Kanzleikollege Mathis Schaller sieht die Mehrsprachigkeit der Hauptstadtregion als Vorteil: „Grundlegende Französischkenntnisse reichen bereits aus, um nicht zwingend als Deutscher aufzufallen, denn man könnte ja trotzdem Belgier sein. Dadurch fühlt man sich nicht fremd und hat schnell ein Gefühl des Angekommenseins.“

Hat in Brüssel eine zweite Heimat gefunden: Mathis Schaller von Gleiss Lutz. Foto: Gleiss Lutz

Bei einer US-Kanzlei wie Morrison & Foerster stellt sich die Frage nach ausreichenden Englischkenntnissen erst gar nicht, sie gehören zur Grundausstattung für Berufseinsteiger. Anders verhält es sich mit dem sonst von Wirtschaftskanzleien konsequent eingeforderten Prädikatsexamen. „Die deutsche Notenfixiertheit findet man hier teilweise etwas skurril“, sagt Standortleiter Alexander Israel. Stattdessen legt der Kartellrechtler vor allem Wert auf ein klares Interesse für sein Rechtsgebiet und ein gewisses Mindset: „In Brüssel kommen unterschiedliche Arbeitsweisen und -kulturen zusammen, was ich als enorm bereichernd empfinde. Doch dafür braucht es weltoffene und motivierte Leute, die sich in einem internationalen Arbeitsumfeld sehen.“

Homogenität? Fehlanzeige!

Brüssel ist Europas Schmelztiegel und gilt, nach Dubai, als Stadt mit dem weltweit größten Anteil ausländischer Personen. Das Zentrum der Europäischen Union ist Heimat für Menschen aus mehr als 180 Nationen. Dem Brüsseler Institut für Statistik und Analyse zufolge machten nichtbelgische EU-Staatsbürger 2023 fast ein Viertel der Bevölkerung aus. Bei aller Heterogenität gibt es aber auch viel Verbindendes: So ist der Feierabend in Brüssel mehr als nur das Ende des Arbeitstags − er ist ein soziales Ritual. Viele Kanzleianwälte, Expatriates und EU-Trainees zieht es nach Büroschluss auf den Place du Luxembourg. Dort auf dem ‚Place Lux‘, unmittelbar vor dem Gebäude des Europaparlaments, läuten viele der (Wahl-)Brüsseler gemeinsam das vorgezogene Wochenende ein. Entsprechend beliebt ist der Platz auch bei Referendarinnen und Referendaren, die berufliche und private Kontakte knüpfen wollen. „Man hat jede Chance, sich zu vernetzen und findet schnell Anschluss“, bestätigt Mathis Schaller. „Hierfür bieten Empfänge, Abendessen oder andere Treffen, wie etwa bei den verschiedenen Landesvertretungen, einen optimalen Rahmen.“

Doch auch abseits von Netzwerkveranstaltungen gibt es in der belgischen Hauptstadt einiges zu entdecken. „Ich rate unseren Referendaren immer, das Viertel, in dem man lebt, zu erkunden. Das wahre Brüssel entdeckt man fußläufig um die eigene Wohnung“, sagt Johanna Bottyanfy. Tatsächlich lässt sich die Stadt gut zu Fuß erschließen: So teilt sich Brüssel mit Chicago, Mailand und Valencia den ersten Platz als ‚most walkable city‘ der Welt. Ein Spaziergang durch das EU-Viertel etwa ist ein absolutes Muss, um das besondere Flair Brüssels hautnah zu erleben. Wer das Europäische Parlament einmal in Aktion erleben will, der kann nach vorheriger Registrierung einer Plenarsitzung beiwohnen. Daneben sind auch das Haus der Europäischen Geschichte und das Besucherzentrum namens Parlamentarium einen Besuch wert. Die beiden Häuser sind kostenfrei und bringen Besucherinnen und Besuchern die Geschichte der Europäischen Union und die Aufgaben ihrer verschiedenen Institutionen nahe. Bei allem Sightseeing ist jedoch Vorsicht geboten: Es besteht das Risiko, bleiben zu wollen.


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