Brussels calling: Arbeit und Referendariat in Brüssel – Teil 1/2

Ob als Praktikant, Referendar oder Einsteiger – wer in Brüssel arbeitet, erlebt Europa im Kleinen und das Recht im Großen. Jungen Juristinnen und Juristen verspricht die EU-Hauptstadt internationales Flair und spannende Tätigkeiten im Kartell- und Europarecht.

Wer in Brüssel ankommt, spürt schnell: Diese Stadt funktioniert nach ihren eigenen Regeln. Zwischen EU-Institutionen, Jugendstilfassaden und Frittenbuden offenbart sich ein Ort voller Kontraste − charmant und chaotisch, ehrgeizig und relaxt, multikulturell und authentisch. Als Valentine Lemonnier im Oktober 2018 nach Brüssel kommt, liegt ihre Examensprüfung nur wenige Wochen zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte die 33-Jährige bereits Bewerbungsgespräche für einen Berufseinstieg im öffentlichen Baurecht in ihrer Heimatstadt München geführt. Doch die Aussicht, mit diesem regional geprägten Rechtsgebiet langfristig an den Standort Deutschland gebunden zu sein, widersprach ihrem Wunsch nach einem internationalen Arbeitsalltag. Also kontaktierte Lemonnier kurzerhand den Leiter des Brüsseler Büros von Kapellmann und Partner, Prof. Dr. Robin van der Hout, der bereits während eines Sommerpraktikums im Jahr 2014 in der belgischen Hauptstadt ihr Ausbilder war.

Gekommen um zu bleiben: Valentine Lemonnier und Stine Langfeldt (re.) arbeiten für Kapellmann und Partner. Foto: Kapellmann und Partner

„Ein paar Wochen später stand ich dann wieder auf der Matte – nicht mehr als Studentin, sondern als Rechtsanwältin“, erinnert sich Lemonnier. Ihr Wunsch nach einem internationalen Arbeitsalltag hat sich seither mehr als erfüllt: Statt im Baurecht ist Lemonnier heute als Assoziierte Partnerin im EU-Beihilfe- und Kartellrecht tätig. Gemeinsam mit ihren fünf Brüsseler Kollegen betreut sie zahlreiche grenzüberschreitende Mandate, unterstützt Unternehmen etwa bei der Anmeldung von Beihilfen bei der Europäischen Kommission oder in EU-Kartellverfahren und vertritt Mandanten vor den Unionsgerichten. „Schon wenige Monate nach meinem Umzug wusste ich, dass Brüssel genau die richtige Wahl für mich war“, so Lemonnier. Auch Kapellmann-Kollegin Stine Langfeldt packte schnell das Brüssel-Fieber, als sie 2015 ebenfalls im Rahmen eines vierwöchigen Pflichtpraktikums in die belgische Hauptstadt gekommen war. „Die Schnittstelle zwischen Recht und Politik hat mich schon immer interessiert, und nirgends erlebt man Europapolitik so hautnah wie hier in Brüssel“, begründet die 31-Jährige ihre Standortwahl. So blieb es nicht bei einem Praktikum, das sie beim Europäischen Parlament absolvierte. Sechs Jahre später kehrte Langfeldt als Referendarin nach Brüssel zurück und absolvierte ihre Wahlstation bei der Generaldirektion Justiz und Verbraucher der EU-Kommission. „Ich habe dann festgestellt, dass ich mich in Brüssel sehr wohlfühle und mir vor allem die Internationalität und die Nähe zu den EU-Institutionen sehr gut gefallen“, erinnert sie sich. Noch im selben Jahr heuerte die passionierte EU-Rechtlerin als Associate im Brüsseler Büro von Kapellmann an. „Der Standort bietet die besten Möglichkeiten, um als Juristin im Europarecht tätig zu werden.“

Europas pulsierendes Herz

Einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die maßgeblichen europarechtlichen Akteure bei der Arbeit an den vielen täglichen Entscheidungen zu erleben, lockt viele Juristinnen und Juristen seit Jahren in die EU-Hauptstadt. Denn ganz gleich, ob es um die Verabschiedung eines Gesetzes zum Umgang mit künstlicher Intelligenz, die Regulierung von großen Digitalkonzernen wie Apple und Meta, neue Umweltauflagen für die EU-Mitgliedstaaten oder den Erlass eines weiteren Sanktionspakets gegen Russland geht – Brüssel ist Dreh- und Angelpunkt der europäischen Politik.

In ihre Rolle als EU-Verwaltungszentrum wuchs die Stadt allerdings erst allmählich hinein. Als die sechs Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg – im Jahr 1957 die Römischen Verträge unterzeichneten, stand der Hauptsitz nicht fest. Die Organe der Gemeinschaft blieben auf Brüssel, Luxemburg und Straßburg verstreut. Doch mit seiner zentralen Lage, der sprachlichen Vielfalt und guten Verkehrsanbindung bot sich Belgien als Zentrum der EU geradezu an. Im Amsterdamer Vertrag von 1997 verteilte die EU ihre Institutionen dann endgültig: Seither gilt Brüssel als Hauptsitz der EU, Parlamentssitz ist zudem Straßburg und der Europäische Gerichtshof tagt in Luxemburg.

Die hohe Zahl an nationalen Einrichtungen und Institutionen, die eine Repräsentanz vor Ort haben, zeigt den besonderen Stellenwert, den Brüssel für Deutschland einnimmt. Neben der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union unterhalten auch die einzelnen Bundesländer in Brüssel Landesvertretungen, um ihre Interessen auf europäischer Ebene zu vertreten und die Landesregierung über aktuelle Entwicklungen in der EU zu informieren. Angehende Anwältinnen und Anwälte können hier in vielen Fällen ein Praktikum oder einen Teil des Referendariats absolvieren. Auch im Brüsseler Büro des Deutschen Anwaltvereins (DAV) können Referendarinnen und Referendare mit europarechtlichem Interesse ihre Wahlstation verbringen. Dort erhalten sie Einblicke in die europäische Rechtspolitik und Interessenvertretung der Anwaltschaft auf EU-Ebene.

Brüsselkenner durch und durch: Morrison & Foerster-Partner Alexander Israel. Foto: Morrison & Foerster

„In Brüssel spielt für mich ganz klar die Musik“, sagt auch Alexander Israel von der US-Kanzlei Morrison & Foerster. „Man hat hier eigentlich immer mit komplexen und herausfordernden europa- und wettbewerbsrechtlichen Fällen zu tun und seltener mit kleinteiligem Tagesgeschäft. Oft sind es auch Fälle, die durch die internationale beziehungsweise nationale Presse gehen.“ Israel muss es wissen. Seine langjährige Mandantin Condor schafft es regelmäßig in die Schlagzeilen, weil sie es mit den ganz großen Airlines – allen voran der Deutschen Lufthansa – aufnimmt, um deren Marktmacht zu begrenzen. Dass die Fluggesellschaft schon seit vielen Jahren auf den Kartellrechtler setzt, verwundert kaum, denn: Israel kennt den Brüsseler Rechtsmarkt und seine Akteure wie seine Westentasche. Seit knapp zwei Jahrzehnten bewegt sich der 47-Jährige als Anwalt auf dem Brüsseler Parkett und hat schon für mehrere Großkanzleien gearbeitet, die ihre Präsenz dort auf- und ausbauen wollten. Seit Februar ist Israel nun Managing-Partner des knapp zehn Köpfe zählenden Brüsseler Büros von Morrison & Foerster, wo er auch die europäische Kartellrechtspraxis leitet.


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