Auf Händen getragen

Wer im Referendariat in einer Großkanzlei andockt, wird oft großzügig bei der Examensvorbereitung unterstützt. Doch es gibt noch viele weitere Vorteile, wenn man genügend Neugier, Mut und Offenheit mitbringt.

Lifesciences und Intellectual Property? Nie gehört. Doch Kathleen Rogge (31) wurde neugierig. Sie stand am Ende ihres Studiums an der Universität Göttingen, als sie zum ersten Mal in Kontakt mit der Großkanzlei CMS Hasche Sigle kam. 2021 nahm sie an einem online veranstalteten Fakultätskarrieretag teil. Dort sprach sie mit verschiedenen Groß- und Mittelstandskanzleien, doch das Gespräch mit einer CMS-Anwältin aus dem Bereich Lifesciences & Healthcare/IP ließ sie aufhorchen: „Aus dem Studium kannte ich den Bereich gar nicht, die Ausrichtung klang aber wahnsinnig spannend.“ Rogge bewarb sich für die Anwaltsstation in dem Hamburger CMS-Team, das sich um alle Aspekte des Gewerblichen Rechtsschutzes kümmert. Sie reizen sowohl die breite Aufstellung der Praxis als auch die Spezialisierungsmöglichkeiten. Während ihrer Anwaltsstation drehte sich alles um Lifesciences, sie beschäftigte sich mit regulatorischen Themen, Produkthaftung (zum Beispiel für Arzneimittel) sowie klassischen wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen. Heute ist Rogge Associate in demselben Team.

Fokus auf IT: Anna Füllsack suchte sich ihre Stationen im
Referendariat gezielt nach Rechtsgebiet aus. Neben einer Station
bei der Datenschutzbehörde und dem NDR ging sie zu CMS. Foto: Michael Lübke

Ihre Hamburger Kollegin Dr. Anna Füllsack (29) entschied sich aufgrund des Renommees im IT-Recht für ein Referendariat bei CMS. In anderen Sozietäten hatte Füllsack bereits Erfahrung im Techumfeld gesammelt und nach dem ersten Examen außerdem zur Regulierung von Kommunikationsdiensten promoviert. Ihr Referendariat plante sie daher sehr strategisch und organisierte unter anderem eine Station in der Datenschutzbehörde und beim NDR im Medien- und Presserecht. Bei CMS absolvierte sie ihre Anwaltsstation dann im Datenschutz- und IT-Sicherheitsrecht. Angehenden Referendaren rät sie zur Offenheit für etwas ausgefallenere Beratungsfelder. Denn die großen Sozietäten bieten viel mehr als die Rechtsgebiete, die Absolventinnen aus dem Jurastudium kennen: „Viele springen auf die bekannten Themen wie zum Beispiel Arbeitsrecht. Man sollte aber keine Scheu vor weniger bekannten Praxisgruppen und Rechtsgebieten haben. Es lohnt sich, etwas ganz Neues auszuprobieren“, sagt Füllsack. Eine durchdachte Planung der Stationen ist für Anwaltsanwärter ratsam. So teilen viele ihre Anwaltsstation zwischen zwei Kanzleien auf und können hinterher Vergleiche ziehen. Oder man bleibt in ein und derselben Kanzlei, sucht sich aber zwei unterschiedliche Praxisgruppen heraus.

Kurze Pause zum Durchatmen

Noch frühere Einblicke sammeln Wissenschaftliche Mitarbeiter (WiMi) in Kanzleien. Sie können direkt nach der ersten Staatsprüfung Geld verdienen und sich gleichzeitig in einer arbeitnehmerähnlichen Position beweisen. Vielen Kanzleien ist deshalb das Kennenlernen von engagierten WiMis sogar wichtiger als die Begegnung im Referendariat.

Dr. Philipp Roebers startete 2017 promotionsbegleitend als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Linklaters, nachdem er die Kanzlei auf einer Karrieremesse kennengelernt hatte. „Mit meinem Mentor Dr. Arne Kießling konnte ich mich immer über meine Doktorarbeit zum Thema der Leitung der Hauptversammlung in der Aktiengesellschaft austauschen und die Perspektive eines renommierten Praktikers kennenlernen, das war sehr wertvoll.“ Für sein Referendariat kehrte Roebers dann in dasselbe Team zurück und verbrachte dort seine Anwaltsstation.

Christina Wanner (28) schnupperte nach dem ersten Examen online bei Clifford Chance rein. In einer sogenannten ‚Teatime‘ lernte sie Anwältinnen und Anwälte der Kanzlei kennen und war positiv überrascht von der lockeren Atmosphäre: „Alle hatten einen gelben Hoody an und haben sich geduzt.“ So kam es, dass sie fünf Tage die Woche bei Clifford Chance in Frankfurt als Wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete. Das Referendariat begann sie ein Jahr später im selben Team, der Steuerrechtspraxis von Dr. Dominik Engl und Olaf Mertgen. Dort bekam sie im Zusammenhang mit Transaktionen abwechslungsreiche Aufgaben: „Der Schwerpunkt lag auf jeden Fall auf Due-Diligence-Prüfungen, aber ich habe auch Daten ausgewertet, Reports vorbereitet und Recherchen gemacht.“ Von Anfang an hatte sie das Gefühl, einen unverfälschten Eindruck von der Tätigkeit zu bekommen.

Während der Anwaltsstation war Wanner zunächst vier Tage in der Kanzlei, bevor sie sich verstärkt auf die Abschlussprüfungen vorbereitete. Die Zahl der Anwesenheitstage ist Verhandlungssache und spielt natürlich auch für die Höhe der zusätzlichen Vergütung eine Rolle. In anderen Großkanzleien ist es für Referendarinnen und Referendare ebenfalls üblich, vier oder doch mindestens drei Tage zu arbeiten. Potenzielle Bewerber sollen zugleich weder durch Überlastung verprellt noch vom konzentrierten Lernen abgehalten werden.

Engagement zeigen

Wer sich für ein Referendariat in der Großkanzlei entscheidet, kann jedenfalls damit rechnen, während der ersten Monate intensiv in die tägliche Arbeit einbezogen zu werden. Als Referendarin bei Clifford erhielt Wanner üblicherweise morgens ihre Aufgabe und gab ihr Arbeitsprodukt abends ab. Ein starker Kontrast zu ihrer jetztigen Rolle als Associate, in der sie oft viele Dinge gleichzeitig koordinieren muss. Bei CMS startete Rogge mit einer Viertagewoche in die Anwaltsstation und empfand die Arbeit durchaus auch als Herausforderung. „Es wurde aber darauf geachtet, Referendare um 18 Uhr nach Hause zu schicken. Das war sehr angenehm“.

Ein Vorteil der intensiven Mitarbeit in einer Großkanzlei ist die steile Lernkurve. Doch manchmal geht die Einbindung auch schief. In der azur-Bewerberumfrage gibt es immer wieder kritische Stimmen – „Ausbildung war nicht vorhanden, ich habe meine Zeit nur abgesessen“ oder „Aufgaben eher eintönig mit wenig Bezug zum Anwaltsberuf“. Aber wer die Stationen gut überlegt auswählt, kann Glück haben und viel lernen.

Häufig beschäftigen sich Referendare nämlich mit Aufgaben, die Associates erledigen. „Man wird aber nicht allein gelassen, sondern jemand schaut sich das an und sagt: ‚An dieser Stelle würde ich es anders machen‘“, sagt Füllsack. Als CMS-Referendarin war sie Teil eines vergleichsweisen kleinen Teams im Datenschutz und IT-Sicherheitsrecht und empfand die Ausbildung als besonders anspruchsvoll.

Realistischer Einblick: Philipp Roebers verbrachte seine Station bei Linklaters und durfte am Ende sogar Gutachten-Entwürfe schreiben. Foto: Michael Lübke

Philipp Roebers erlebte seine Einbindung bei Linklaters als eine graduelle Entwicklung: „Step by step bekam ich mehr zugetraut, wurde angeleitet und erhielt einen realistischen Eindruck von der Arbeit als Anwalt.“ Am Ende der Anwaltsstation durfte er ein kleines Gutachten für einen großen Mandanten schreiben. Roebers arbeitete nicht nur mit Associates und Counseln zusammen, sondern hatte auch Partnerkontakt: „Man arbeitet frühzeitig mit allen Teammitgliedern über sämtliche Senioritätsstufen hinweg.“ Das ist keine Selbstverständlichkeit und ein gängiger Kritikpunkt von Großkanzleireferendaren.

Neben der Freude an der fachlichen Arbeit spielt auch die menschliche Seite eine große Rolle. „Ich erfahre in meinem Bereich viel Wertschätzung und der menschliche Umgang ist toll“, erzählt Clifford Chance-Anwältin Wanner. „Hier verbringe ich viel Zeit und deshalb ist mir das sehr wichtig.“ Die junge Anwältin ist seit einigen Monaten fest als Associate bei Clifford und empfindet es als mitreißend, dass alle um sie herum so motiviert sind. „Die Arbeitsmotivation packt einen richtig. Ich glaube, jeder der in einer Großkanzlei arbeitet, hat proaktiv Lust dazu und das spürt man im Arbeitsalltag sehr.“

Unterstützung für die Prüfungen

Doch der Kanzleialltag ist nicht das einzige, worauf es im Referendariat ankommt. Viele Kanzleien bieten gezielte Unterstützung bei der Vorbereitung auf das Zweite Staatsexamen. So war für Julia Watson das Referendarprogramm bei Baker McKenzie ein großer Pluspunkt. Obwohl sie während ihres Studiums auch Negatives über Großkanzleien gehört hatte, entschied sie sich für die internationale Kanzlei und absolvierte ihre Anwaltsstation im Bereich Dispute Resolution. Sie hat es nicht bereut. Neben der Ausbildung im Team und der Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, schätzte sie die für sie kostenlosen Kaiserseminare sehr.

Optimal vorbereitet: Christina Wanner heuerte im Referendariat bei Clifford Chance an und schätzte die Kaiserseminare sehr. Foto: DieProfifotografen/Eric Tijerina

Viele Kanzleien stellen ihre Referendare für den Seminarbesuch von der Arbeit frei und bezahlen die Gebühren. Auch außerhalb der Präsenzzeit in der Kanzlei können die Kandidatinnen manchmal Kurse besuchen. Meistens aber handelt es sich um Inhouse-Seminare, zu denen nur die Referendare der jeweiligen Kanzlei eingeladen sind. „In einer Gruppe von 25 Leuten traut man sich auch, Fragen zu stellen“, meint Wanner. Auch in der Kanzlei durchgeführte Klausurenkurse von Kaiser, Hemmer oder anderen gängigen Anbietern gehören zum Wohlfühlprogramm etlicher Sozietäten. „Nichts ist so gut fürs Examen wie Klausurpraxis“, ist Wanner überzeugt. „Das Timing üben, Schwerpunkte erkennen und setzen.“

Dazu kommen häufig weitere Seminare und Vorträge, in denen Anwältinnen und Anwälte den Nachwuchs über ihre Arbeit informieren. Die Referendare erhalten so nicht nur in ihr eigenes Rechtsgebiet Einblick, sondern lernen viele unterschiedliche Beratungsfelder kennen, die in kleineren Kanzleien nicht repräsentiert sind. Interne Englischkurse runden das Programm ab, und das nicht nur in internationalen Einheiten. Auch in der täglichen Arbeit wird das Englisch geschult. „Bei 31 Standorten weltweit bekommt man natürlich international viel mit, das fand ich immer sehr reizvoll, gerade hier im M&A-Bereich“, sagt Roebers von Linklaters.

Singapur, Sydney, New York

Für einige Referendare ergibt sich durch die Wahlstation in einer Großkanzlei die Chance, diese an einem internationalen Standort zu verbringen. Roebers Wunsch, nochmal ins Ausland zu gehen, ging damit in Erfüllung. Bei Linklaters in Singapur konnte er im M&A- und Private-Equity-Schwerpunkt mitarbeiten und war Teil des Teams um den bekannten Kanzleipartner Robert Elliott. Die Kanzlei unterstützte umfangreich bei der gesamten Organisation des Auslandsaufenthalts. Von der Flugbuchung über das Visum bis hin zu Unterkunft- und Restauranttipps stand ihm eine Kollegin aus Frankfurt zur Seite.

Julia Watson ist besonders glücklich über ihre Auslandserfahrung bei BakerMcKenzie in Sydney. Ihre anfänglichen Sorgen, sie könnte sich wegen der Examensvorbereitung vielleicht nicht ganz darauf einlassen, bestätigten sich nicht. „Am Anfang dachte ich, dass das mit dem mündlichen Examen zu knapp werden könnte.“ Stattdessen tat ihr die Pause in Australien sehr gut. „Das Wissen aus den schriftlichen Prüfungen konnte ich trotzdem abrufen.“ In Sydney war die Referendarin fest in ein kleines Team integriert und durfte sowohl mit zu Gericht als auch mit dem Partner an Mandantenmeetings teilnehmen.

Wanner zog es hingegen in die USA, sie arbeitete im New Yorker Büro von Clifford Chance an steuerrechtlichen Mandaten mit. Anders als in Deutschland waren die sogenannten Legal Clerks dort nicht direkt an bestimmte Partner angebunden, sondern saßen in einem Pool zusammen. „Wir waren eine Crew, die alle nicht in New York zu Hause waren, und haben viel zusammen unternommen“, erinnert sie sich. Auch den tollen Austausch mit Secondees aus Washington und London möchte die junge Anwältin nicht missen und schätzt es, die Ansprechpartner in New York nun persönlich zu kennen.

Netzwerken und Mittagessen

Anders als Referendare in kleinen Partnerschaften profitieren die Anwaltsanwärter in Großkanzleien besonders vom Austausch untereinander. Wanner empfand die Erfahrungsberichte ihrer Vorgänger als hilfreich: „Es gab immer jemanden, der gerade das hinter sich gebracht hatte, was mir kurz bevorstand.“ Wissenschaftliche Mitarbeiter und Referendare vernetzen sich auf vielen Ebenen, sie schreiben sich etwa in WhatsApp-Gruppen zu organisatorischen Themen und unternehmen auch privat viel zusammen. Bei Linklaters etwa sitzen die Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Referendare von drei Corporate-Teams zusammen auf einer Etage, das gemeinsame Mittagessen ist selbstverständlich.

Wer im Referendariat gerne Homeoffice machen und weniger Tage arbeiten will, um vor allem zu lernen, ist in einer Großkanzlei nicht gut aufgehoben. Er verpasst Chancen, sich vor Kanzleipartnern zu beweisen und eventuell die erste feste Stelle als Associate zu sichern. Schließlich rekrutieren viele Kanzleien gern aus dem Referendarspool ihre späteren Angestellten. Verantwortung zu übernehmen ist deshalb auch im Referendariat schon wichtig, findet Julia Watson. Ihr Tipp: „Aufgeschlossen sein, präsent sein und auf die Anwältinnen und Anwälte zugehen.“


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