Anwaltspostfach: Kanzleien und Justiz nicht fit für den Start

In wenigen Wochen ist ein elektronisches Postfach für alle Anwälte Pflicht. Doch noch hakt es an allen Ecken und Enden. Viele Kanzleien sind auf die neue digitale Kommunikation nicht vorbereitet. Auch die Justiz hinkt hinterher. Trotzdem muss jeder Anwalt ab dem 1. Januar das beA auf Posteingänge prüfen. Ansonsten verstößt er gegen seine Berufspflichten.

Die bisherigen Erfahrungen vieler Kanzleien sind alles andere als positiv. Das System wird als zu umständlich und zu wenig auf die üblichen Kanzleiabläufe zugeschnitten kritisiert. Für überregional tätige Anwälte stellt es zudem ein großes Problem dar, dass je nach Bundesland der Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs unterschiedlich weit fortgeschritten ist. 

Viele Amts- und Landgerichte sind über das beA noch nicht zu erreichen, kritisiert ein Hamburger Anwalt. Um sicher zu gehen, dass ein Schriftsatz auch ankommt, müsse man erst mühsam recherchieren, ob sich das jeweilige Gericht am elektronischen Rechtsverkehr beteiligt.

Verbreitung gleich einem Flickenteppich

In Niedersachsen ist außerhalb des Insolvenz- oder Mahnverfahrens zurzeit noch kein Zivilgericht digital erreichbar. Auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt beteiligen sich bislang nur die Fachgerichte. In Hessen und Rheinland-Pfalz können hingegen alle Amts- und Landgerichte über das beA erreicht werden. Andere Bundesländer gleichen einem schwer überschaubaren Flickenteppich. So sind in Nordrhein-Westfalen zwar die Amtsgerichte Essen und Oberhausen an das beA angeschlossen, die bundesweit bedeutenden Landgerichte in Düsseldorf und Köln jedoch nicht. In Baden-Württemberg beteiligen sich nur die Landgerichte in Stuttgart, Mannheim und Freiburg. Und dieses Durcheinander könnte noch bis zum Jahr 2020 so bleiben. Denn bis dahin haben die Bundesländer Zeit, alle Zivil-, Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichte mit dem elektronischen Rechtsverkehr zu verbinden.

Die Konstruktion des beA sei ohnehin viel zu wenig auf die Bedürfnisse der Anwaltschaft zugeschnitten, meinen viele Rechtsanwälte. Beispielsweise gibt es keine automatische Weiterleitung auf ein zentrales Kanzleipostfach. Assistenten müssten Untervollmachten für alle persönlichen Postfächer bekommen. Viele Kanzleien, die noch mit der Papierakte arbeiten, müssen Arbeitsabläufe ändern und haben dafür sogar Arbeitsgruppen eingerichtet. Eine notwendige Maßnahme, denn langfristig sei sowieso der Weg zur elektronischen Akte vorgezeichnet.

Schutzschriftenregister in der Kritik

Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, zeigt sich auch an den Anlaufproblemen beim digitalen Schutzschriftenregister. Dort können Anwälte bereits seit Ende 2016 über das beA Schutzschriften einreichen und so verhindern, dass gegen ihre Mandantschaft eine Einstweilige Verfügung ergeht. Doch was praktisch klingt, ist mit etlichen Hürden verbunden. Das beA bietet nämlich nicht die Möglichkeit, die entsprechende Schutzschrift einfach als PDF-Datei an das neue digitale Register zu übersenden. Stattdessen wird man in Hessen beispielsweise über die vom Land Hessen betriebene Internetseite auf ein zentrales Justizportal des Bundes und der Länder weitergeleitet, auf der zunächst zahlreiche Formblätter ausgefüllt werden müssen.

Erst am Ende dieses aufwendigen Vorgangs ist es möglich, die Schutzschrift mit Anlagen hochzuladen und aus dem gesamten Material eine XML-Datei zu produzieren, die dann per beA an das Schutzschriftenregister gesendet werden kann. „Wer ungeübt ist, braucht alleine für den Hinterlegungsvorgang sicherlich ein bis zwei Stunden“, sagt ein Nutzer. Das hessische Justizministerium verweist darauf, dass die Eingangszahlen beim digitalen Schutzschriftenregister steigen und will 2018 noch einmal nachbessern.

Neue Herausforderungen

Die für das beA zuständige Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hält beim weiteren Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs ebenfalls einen ständigen Austausch mit der Anwaltschaft für erforderlich. „Wir werden abhängig von den Rückmeldungen aus der Praxis sicherlich noch Dinge ändern“, sagt Christoph Sandkühler, Vorsitzender des BRAK-Ausschusses Elektronischer Rechtsverkehr. Nach Angaben von Sandkühler haben von den rund 166.000 in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten bereits über 110.000 das notwendige Equipment wie Sicherheitskarte und Kartenleser bestellt und erhalten.

Allerdings sind erst rund 32.000 Postfächer aktiviert. „Im September wurden insgesamt rund 42.000 Nachrichten über das beA versendet. Da ist noch Luft nach oben“, sagt der BRAK-Experte. Sorgen bereitet Sandkühler, dass bislang erst 18.000 beA-Sicherheitskarten für anwaltliche Mitarbeiter bestellt wurden. Aus seiner Sicht sollten Kanzleien ihre Sekretariate mit eigenen beA-Karten ausrüsten. Dann sei auch sichergestellt, dass bei Beschädigung oder Verlust der Karte des Anwalts weiterhin auf das elektronische Postfach zugegriffen werden könne. Zudem will die BRAK ab Dezember 2017 für alle Syndikusrechtsanwälte eigene elektronische Postfächer einrichten. Wer für mehrere Unternehmen arbeitet, erhält pro Beschäftigungsverhältnis jeweils ein zusätzliches Postfach. „Das bedeutet, dass Syndikusse, die zugleich als Rechtsanwälte zugelassen sind, künftig mindestens über zwei elektronische Postfächer verfügen werden“, so Sandkühler. 

Auch wer sich als Anwalt mit einer weiteren Kanzlei an mehreren Standorten in unterschiedlichen Kammerbezirken niedergelassen hat, erhält ab Januar 2018 zwingend jeweils ein weiteres Postfach. Um darauf zugreifen zu können, ist für jedes Postfach eine eigene Sicherheitskarte mit dazugehöriger PIN erforderlich. Wer einen Kanzleisitz aufgibt, hat es einfacher: Das beA wird in diesem Fall von der BRAK automatisch gelöscht. (Kai Nitschke)


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