Anwältinnen erobern die Mittelstandsberatung
Der Westen ist ein Hort des Mittelstands und der setzt gerne auf vertraute Rechtsberater. Die Nähe zu den Mandanten bedeutet auch für junge Anwältinnen und Anwälte einen guten Berufsstart in eine langfristige Karriere – ein Beispiel aus Essen.
In der Ruhrmetropole ist Schmidt von der Osten & Huber (SOH) eine renommierte Adresse – eine Sozietät mit Tradition und einem hohen Bekanntheitsgrad, der sich weniger an den drei Buchstaben SOH festmacht, sondern an den vier Buchstaben ALDI. Die Beratung des weltbekannten Lebensmittelhändlers hat lange auch die Außenwahrnehmung dominiert. Doch die rund 35 Köpfe zählende Kanzlei ist wesentlich vielfältiger aufgestellt. An einem steigenden Frauenanteil arbeitet sie ständig, zuletzt betrug er rund 20 Prozent. Aber auch geschäftlich ist da weitaus mehr. SOH berät Konzerne ebenso wie Start-ups und selbstverständlich den Mittelstand auf vielen Feldern des Wirtschaftsrechts.
Der Reiz der praxisnahen Mittelstandsberatung

Dr. Corinna Schmidt-Murra (42) zählt als Salary-Partnerin in ihrem medizinrechtlichen Dezernat auch zahlreiche Mittelständler zu ihren Mandanten. Sie schätzt vor allem die Praxisnähe: „In der Mittelstandsberatung ist es nicht ausschlaggebend, dass wir als Anwältinnen und Anwälte umfangreiche Gutachten schreiben können. Stattdessen liefern wir eine Entscheidungsgrundlage oder beraten sogar den Entscheider selbst. Dabei ist oft eine kurze Auskunft gefragt – knackig und prägnant, und mit einer eigenen Empfehlung versehen.“ Ist der Mandant ein Großunternehmen, sind die Ansprechpartner häufig nicht die eigentlichen Entscheider, sondern Mitarbeitende auf den Funktionsebenen. Schmidt-Murra kam Anfang 2020 in die Kanzlei. Sie war zuvor einige Jahre Lead Counsel für die Rechtsabteilung des Pharmakonzerns Takeda in der DACH-Region und kennt deshalb nicht nur die mittelständische Unternehmenswelt, sondern auch die internationalen Konzerne. Bei größeren Mandanten wird eine ganz andere Argumentation nötig, um Entscheidungsprozesse zu beeinflussen.
Mit der Promotionsförderung zum Mittelstandsberater

Der persönliche Kontakt war auch für Associate Julia Hilger (31) ausschlaggebend, vor einem Jahr in einer mittelständisch orientierten Kanzlei wie SOH anzufangen. „Ich fand die Mittelstandsberatung spannend, weil man schnell in die Zusammenarbeit mit den Mandanten integriert wird. Es gibt direkten Kontakt, seit dem ersten Monat, und von Beginn an werde ich als Ansprechpartnerin wahrgenommen und akzeptiert.“ Das breite oder ganzheitliche Beratungskonzept spricht keinesfalls dagegen, dass sich junge Anwältinnen wie Hilger im Beruf weiter spezialisieren. Ihr Weg zu SOH führte über das Promotions-Förderprogramm, das die Kanzlei vor fünf Jahren etabliert hat. „Diese Förderung war deutlich mehr als nur eine finanzielle Unterstützung“, lobt sie. „Das persönliche Interesse war spürbar, und so habe ich schon die Stationen im Referendariat hier verbracht.“ Aktuell ist sie bei Unternehmenskäufen im Einsatz, außerdem im Gesellschaftsrecht und in der Prozessführung. Hinzu kommen Mandate aus dem medizinrechtlichen Dezernat, vor allem Regulierungs- und Zulassungsfragen.
Vertrauensvolle Beziehung
Meistens ist die Mandantenbeziehung im Mittelstand langfristig, erläutert Schmidt-Murra: „Da wird die Kanzlei gewissermaßen zum Archiv des Unternehmens, und die vertrauten Anwältinnen und Anwälte bekommen ein gutes Gefühl für die internen Abläufe und die manchmal unausgesprochenen Absichten.“ Statt lange Memos oder spitzfindige Disclaimer zu entwerfen, sind die Berater oft auf einer persönlichen Ebene aktiv. „Wir hören gut zu und versuchen zu verstehen, was der Mandant wirklich will. Worum geht es dem Geschäftsführer, dem Unternehmer? Wo liegen die persönlichen Interessen und die wirtschaftlichen Hintergründe?“
So langfristig wie die Mandantenbindung wünscht sich auch Julia Hilger ihre Kanzleikarriere. „Es ist gut, wenn ich als Anwältin mit Spezialwissen auch einen Blick für das Große und Ganze entwickeln kann.“ Wenn die Mandanten Ärzte oder Arztpraxen sind, so Hilger, „wird man manchmal ein gefragter Ansprechpartner für alles Mögliche – etwa das Vorgehen gegen den das Server-Passwort nicht freigebenden IT-Dienstleister im Wege der einstweiligen Verfügung, wenn das gerade ansteht.“ Oder im Start-up-Segment, wo in der Wachstumsphase fast automatisch arbeitsrechtliche Fragen zusätzlich zu den gesellschaftsrechtlichen Themen auftauchen.
Mehr über Anwältinnen aus NRW, die im Mittelstand beraten, lest ihr in der kommenden Ausgabe vom azur Karrieremagazin – eine Ausgabe mit 100% Frauen. Erscheinungstermin ist der 24. Mai.