77 LGBTIQ+-Juristinnen und -Juristen für mehr Diversität
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit macht die Kampagne #GesichtZeigen LGBTIQ+-Vorbilder in der juristischen Branche sichtbar. Initiatorin der Aktion ist das Karriere- und Allyshipnetzwerk ALICE.
Bereits zum dritten Mal hat ALICE eine Liste erfolgreicher, geouteter lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher sowie queerer (LGBTIQ+) Juristinnen und Juristen veröffentlicht. Von 40 Teilnehmenden im Jahr 2020 hat sich die Liste auf mittlerweile 77 Personen verlängert. Ziel der Aktion ist es, anderen Mut zu machen, sich in der als konservativ geltenden juristischen Branche zu outen.
Zu denjenigen, die sich im Rahmen der Aktion für mehr Akzeptanz einsetzen, zählen Anwältinnen und Anwälte aus internationalen Kanzleien wie Allen & Overy, Hogan Lovells, White & Case, DLA Piper, Gibson, Dunn & Crutcher, Latham & Watkins oder Linklaters. Auch aus deutschen Kanzleien wie Hengeler Mueller, GSK Stockmann, Noerr, BRP Renaud und Partner mbB und CMS Hasche Sigle gibt es Teilnehmende. Zudem engagieren sich Juristinnen und Juristen aus Ministerien und dem öffentlichen Dienst sowie Richterinnen und Richter bei der #GesichtZeigen-Kampagne. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns”, sagt Matthias Gippert, Jurist und Executive Director bei der Investmentbank Morgan Stanley. Aber: „Wir alle können mithelfen, dass dieser Weg hin zur sozialen Gleichstellung ein wenig leichter wird.“
Bedarf nach Vorbildern ist groß
Dass es nach wie vor viel Bedarf nach Vorbildern gibt, zeigen die Zahlen von ALICE. Demzufolge haben mehr als 60 Prozent der LGBTIQ+-Menschen Bedenken, ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität am Arbeitsplatz offen zu thematisieren. Viele fürchteten sich vor den negativen Auswirkungen eines Outings auf die Karriere sowie vor dem Verlust von Mandanten. Zudem würden rund 30 Prozent aller LGBTIQ+-Personen am Arbeitsplatz diskriminiert, etwa durch physische und verbale Belästigung, soziale Isolation und unfaire Behandlung. Deshalb sei auch die Suche nach Teilnehmenden an der #GesichtZeigen-Kampagne herausfordernd.
Kanzleien scheitern schon bei der Frauenförderung
In der nach wie vor als konservativ geltenden juristischen Branche verwundert das nicht. Hier hinken die meisten Kanzleien schon bei der Frauenförderung hinterher. Wie sehr, verdeutlichen Ergebnisse der größten Anwaltsstudie Deutschlands, die JUVE gemeinsam mit der London School of Economics gestartet hat. Die Umfrage unter rund 3.000 Anwältinnen und Anwälten hat ergeben, dass der Anteil weiblicher Anwälte mit zunehmender Seniorität abnimmt. Sind unter den Befragten noch etwa 40 Prozent der Associates weiblich, so beläuft sich der Frauenanteil unter den Counsel auf 35 Prozent – in der Vollpartnerschaft sind es nur noch 16 Prozent.

Besonders deutlich ist dieser Unterschied bei der letzten Hürde zur Vollpartnerschaft: Zwischen der Karrierestufe der Non-Equity- zur Equity-Partnerschaft liegt ein Unterschied von 12 Prozentpunkten. Der Anteil diverser Personen in der Partnerschaft ist laut der Studie verschwindend gering. „Die Anwaltschaft ist null divers und hat sich hinsichtlich echter Gleichstellung und alternativer Arbeitsmodelle überhaupt nicht entwickelt“, kommentiert ein Studienteilnehmer.
Diversität entscheidet über Mandatierung
Dabei berichten Kanzleien immer wieder, wie vor allem international tätige Konzerne zunehmend vielfältig zusammengestellte Teams fordern. Ein aktuelles Beispiel ist BASF. Der Chemiekonzern will mit einem global angelegten Programm Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion bei seinen externen Rechtsberatern fördern. Dazu hat das Unternehmen entsprechende Kriterien in den Rahmenverträgen mit seinen Stammkanzleien verankert.
2020 hat zudem der Schweizer Pharmakonzern Novartis die Mandatsvergabe an konkrete Diversity-Auflagen geknüpft. Auch von Google ist bekannt, dass es bei der Auswahl externer Berater auf Diversität achtet. Für BASF liegt der Grund dafür auf der Hand: „Vielfalt ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch gut fürs Geschäft. Es ist unumstritten, dass diverse Teams deutlich besser abschneiden als nichtdiverse Teams“, schreibt der Konzern in einer Pressemitteilung.
Das veranlasst zunehmend auch Kanzleien wie beispielsweise Freshfields Bruckhaus Deringer, sich eigene Maßgaben in Sachen Diversität aufzuerlegen. 2021 verabschiedete die Kanzlei mit Wurzeln in Großbritannien einen globalen Fünfjahresplan für Vielfalt und Inklusion. Darin enthalten sind Zielvorgaben für Faktoren wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Repräsentation von LGBTIQ+-Personen unter den Berufsträgern der Kanzlei. Die Auswertung der Zahlen für 2022 zeigt, dass die Einheit zwar auf einem guten Weg ist. Aber im Hinblick auf die Besetzung globaler Führungsfunktionen konnte sie noch nicht alle ihre Ziele erreichen. Für mehr Diversität in der juristischen Branche gibt es also noch viel Arbeit – nicht nur für Freshfields.