35 Quadratmeter in der „Windy City“
Ulf Marhenkes LL.M.-Studium an der Northwestern in Chicago (I)Mein Abenteuer beginnt am Samstag, den 20.8., um 7.20 Uhr am Hamburger Flughafen. Kaum zu glauben, gerade mal vor zwei Wochen habe ich mit der mündlichen Prüfung zum ersten Staatsexamen die letzte Hürde zum LL.M.-Studiums an der Northwestern University School of Law genommen. Nach Auflösung meiner Studentenbude, Umzug, Einlagerung meiner Habseligkeiten und Abschied feiern, sitze ich nun völlig fertig, aber voller Vorfreude auf meinen Traum im Flieger.
Nach zehn Stunden Flug riecht bereits die Autofahrt Richtung downtown Chicago nach Freiheit. Am Horizont baut sich die beeindruckende Skyline mit Sears Tower (höchstes Gebäude in den USA) und Hancock Center vor strahlend blauem Himmel auf. Etwas stutzig werde ich beim Anblick mehrerer Kampfflieger, die im Tiefflug über der Stadt kreisen. Die Vorstellung von Tomcats über meinem Kopf, während ich studieren und Spaß haben möchte, finde ich doch etwas bedenklich. Zu meiner Erleichterung stellt sich aber schnell heraus, dass die Flieger nur für die am Wochenende stattfindende Flugschau proben. Meine Bleibe ist im 9. Stock, karg, leer und nicht wirklich einladend – aber das kann man ja ändern!
Der nächste Tag beginnt für mich im Morgengrauen, denn mit Alex, einem LL.M. 2004- Graduate, habe ich bereits von Deutschland aus einen Deal über seiner Möbel gemacht. Den riesigen „U-Haul“- Möbeltransporter in Empfang nehmen und zurück in die Innenstadt lenken – und zwar zu dem Highrise, in dem Alex wohnt – fordert mich. Die Richtung ist zwar einfach, aber bei den Wolkenkratzern angekommen hört der Spaß auf. Überall Einbahnstrassen! Nach 20 Minuten Irrfahrt durch den Straßendschungel von Chicago gelange ich wenigstens in die Nähe des Hochhauses, in dem ich meine zukünftigen Möbel abholen möchte. Warnblinker an und mein türkischer Freund und Mitstudent Mufit darf den Wagen hüten. Glücklicherweise hat sich der Aufwand aber gelohnt, denn Alex hat mir seinen gesamten Haushalt vermacht: Möbel, Küchengeräte, Besteck, Fernseher, Stereoanlage, Drucker, Telefone etc. Somit richte ich den Rest des Wochenendes meine neuen 35 Quadratmeter ein und fühle mich schon deutlich mehr zuhause.
Der erste Tag der Orientierungswoche an der Law School beginnt mit einem Kennenlern-Frühstück. Fasziniert stelle ich fest, wie sich der holzgetäfelte und mit Gemälden von verdienten Professoren geschmückte Raum mit Menschen und Stimmen aus aller Welt füllt. Nachdem Adi, die Leiterin des LL.M.-Programms, und der Dekan der Law School, David van Zandt uns willkommen geheißen haben, dürfen wir ran, 80 Studenten aus 30 Ländern. Die Asiaten sind eindeutig in der Überzahl, aber auch viele Südamerikaner sind dabei, während drei Deutsche (Christiane, Roland und ich) die europäische Fraktion im Programm unterstützen.
Die weiteren Tage der Orientierungswoche führen uns in das Leben und Studieren an der Uni ein. Ich bin beeindruckt von der Vielfalt und Professionalität der Veranstaltungen. Teambuilding Workshops finden gemeinsam mit den sog. 1L’s (den amerikanischen Erstsemestern) statt, um sich gegenseitig kennen zu lernen. Ein interkulturelles Training für uns LL.M.s zeigt kulturelle Unterschiede auf und mildert mögliche Kulturschocks ab. Daneben geht es von Tipps zur Auswahl der Kurse über eine Einführung in die „socratic method“ – der amerikanischen Art und Weise, den Unterricht überaus interaktiv zu gestalten – bis zur Vorstellung des Career Centers, die jedem Absolventen der Universität bei der Realisierung seines Berufswunsches behilflich ist. Abgerundet werden die Orientierungstage mit Empfängen und Abendessen, um die Professoren der Law School kennen zu lernen. Die Abende gehen für das Kennenlernen der Kommilitonen drauf – schlafen kann ich bestimmt später.
Nach dieser Woche fühle ich mich pudelwohl und bin „wirklich angekommen“. Die Offenheit meiner Kommilitonen begeistert. Ich lerne jeden Tag haufenweise neue Leute kennen, Studenten jeder Couleur genauso wie Ansprechpartner und Experten der Law School. Sie bieten alles, was man braucht: Vom internen IT-Support, der überlebenswichtig ist, über Hilfe bei der Gestaltung von Lebensläufen bis zu Test-Bewerbungsgesprächen, denn die „Verkaufsphase“ beginnt mit der Einschreibung. Die technische Ausstattung der Schule ist beeindruckend. Schon in der Eingangshalle stehen Plasma-Bildschirme, die uns dank CNN über die Geschehnisse in der Welt auf dem Laufenden halten und die auf Veranstaltungen in der Law School aufmerksam machen; es gibt Touch-Screens, die einem den Weg durch die Gebäude weisen, sowie drahtlosen Internetzugang in jeder Ecke.
Fast erschrocken stelle ich fest, wie unglaublich schnell Deutschland und mein bisheriges Leben hier in der „windy city“ in den Hintergrund geweht wurden. Die Spannung auf den Beginn der Kurse, das (Ein-)Leben in Chicago und das Studieren und Feiern mit den Amerikanern und meinen LL.M.-Kommilitonen aus aller Welt: alles fesselt – doch dazu nächstes Mal mehr Details!