Patentrecht als Spezialisierung: Ich mach mein eigenes Ding
Ein Beitrag aus azur 1/2017.
Zivilrecht vom Feinsten, spannende Fälle und bald auch noch ein Patengericht für die gesamte Europäische Union: Es gibt vieles, was dafür spricht, als Prozessspezialist im Patentrecht einzusteigen. Wer hier einmal Fuß gefasst hat, infiziert sich leicht mit dem Kanzleigründer-Virus. Immer häufiger gehen in letzter Zeit junge Patentrechtler mit ihren eigenen Spezialkanzleien an den Start.
von Mathieu Klos
Motörhead ist eine seiner Lieblingsbands. Die Musik – irgendwo zwischen Punk und Heavy Metal – passt nicht so ganz zu einem, der den biblischen Vornamen Hosea trägt und als Wirtschaftsanwalt in München arbeitet. Zum Äußeren von Hosea Haag passt Motörhead aber sehr wohl. Sein langes, lockiges Haar trägt er streng nach hinten gekämmt, aber zu den Spitzen hin sind die Locken kaum zu bändigen. Sein Bart – durchaus gepflegt – ist eine Kombination aus opulentem Backenbart und Henriquatre. Der 47-Jährige ist nicht gerade der Durchschnittstyp eines Wirtschaftsanwalts. Das zu sein, gibt er sich auch keine Mühe.
Hosea Haag, Gründungspartner der IP-Boutique Ampersand
Haag hat vor fünf Jahren zusammen mit drei befreundeten Anwälten seine eigene Kanzlei gegründet und mit dem ungewöhnlichen Namen Ampersand versehen, dem englischen Ausdruck für das Kaufmanns-Und. Heute ist Ampersand vor allem in der Patentszene ein durchaus klangvoller Name. Haag führt für Patentverwerter wie Unwired Planet oder Munitech große Prozesse gegen das Who’s who der internationalen Mobilfunkbranche. Er ist aber auch für deutsche Mittelständler unterwegs.
Wenn man mit ihm über Musik spricht, merkt man schnell, dass er mehr als nur Hardrock kennt. Jazz und Klassik zum Beispiel, aber auch Rap und Punkrock. Er nennt Bands und Interpreten wie John Zorn oder Kate Tempest, von denen hat Otto Normal-Zuhörer noch nie etwas gehört. Er selbst möchte sich nicht als Musikexperte bezeichnen. Er kenne sich ganz gut aus, beschäftige sich aber nicht zu sehr mit den Genres. Überhaupt sei er ein Mensch, der sich für vieles interessiere, aber niemals zu tief in die Materie eindringe.
Gedanklich weiterziehen
Gerade das sei eine seiner wichtigsten Fähigkeiten, um als Patentrechtler erfolgreich zu sein, so Haag. „In diesem Job kommt es darauf an, sich in vielen technischen Gebieten auszukennen. Immer nur so tief, dass man es gut versteht, aber gedanklich weiterziehen kann, wenn ein neuer Fall mit anderem technischen Hintergrund reinkommt.“ Seine Fälle bilden diese technische Bandbreite durchaus ab. Er streitet für seine Mandanten um Kontaktlinsen, Autozubehör oder eben Mobilfunk.
Die Zunahme von Mobilfunkklagen vor den deutschen Patentgerichten Düsseldorf, Mannheim und München beschert vielen jüngeren, aufstrebenden Anwälten seit einigen Jahren gute Geschäfte. Deutsche Gerichte gelten als sehr gut, kostengünstig und schnell, und immer sind in diesen Verfahren gleich mehrere Parteien zugegen: zwei, drei oder vier Mobilfunkunternehmen und nicht selten auch eine Heerschar von Zulieferern als Streithelfer. Sie alle brauchen Prozessvertreter. Die etablierten Patentkanzleien vertreten die Industriemandanten, aufstrebende Kanzleien wie Ampersand sind häufig auf Verwerterseite zu sehen. Patentverwerter sind Unternehmen, die zwar Schutzrechte besitzen, mit entsprechenden Technologien aber keine eigenen Produkte produzieren, sondern ihre Rechte über Lizenzen zu Geld machen.
Gute Perspektiven für junge Patentrechtler
Das Prozessaufkommen könnte sich künftig weiter verstärken, denn voraussichtlich Ende des Jahres soll das neue einheitliche Patentgericht für 25 Staaten der Europäischen Union seine Arbeit aufnehmen. Es urteilt dann Patentprozesse zentral für die EU und damit praktisch für ganz Europa. Die Verfahren werden aufwendiger und komplexer. Die Unternehmen werden mehr Kanzleien und größere Anwaltsteams mandatieren. Die Perspektiven für junge Patentrechtler mit einer Berufserfahrung zwischen drei und sieben Jahren sind daher besonders vielversprechend.
Vielleicht auch als ein Vorzeichen der Entwicklung ergreifen erfahrene Anwälte aus Großkanzleien wie Hosea Haag die Chance, ihre eigene Kanzlei zu eröffnen. Den Anfang machten 2010 der Freshfields-Spin-off Arnold Ruess in Düsseldorf. Jüngstes Beispiel ist Taliens, die sich erst vor zwei Monaten von der internationalen Kanzlei Olswang abspaltete. Den drei Kanzleigründungen ist nicht nur gemeinsam, dass sie erfolgreich in Mobilfunkklagen unterwegs sind. Sie alle waren auf unterschiedliche Art und Weise mit den Zuständen in Großkanzleien unzufrieden und hatten das Gefühl, es unter eigenem Namen besser machen zu können.
Die Ängste der Partner in seinen alten Kanzleien, dass ihnen die Kollegen Mandate wegnehmen könnten, und ihre Eifersüchteleien wollte er nicht mehr ertragen. Nach Stationen bei Bird & Bird, Hammonds und Heisse Kursawe (heute Eversheds Sutherland) entschied sich Hosea Haag für die Selbstständigkeit. „Ich habe eine Allergie gegen Chefs.“ So ganz alleine wollte er – obwohl eher Typ Einzelkämpfer – auch nicht arbeiten. Er tat sich mit drei jungen Kollegen zusammen. Inzwischen hat Ampersand fünf Partner. Haag repräsentiert das Patentrecht, die anderen das Pharma-, Marken- und Wettbewerbsrecht. Mit den Patentprozessen lief es 2015 und 2016 besonders gut, und seit letztem Jahr hat Ampersand auch den ersten Associate verpflichtet. „Meine Partner drängten mich, den Bereich zu erweitern.“
„Konservative Geldsäcke“
Die unternehmerische Verantwortung für einen ersten angestellten Anwalt in der Kanzlei wollte er eigentlich nicht tragen, auch wenn der Associate nicht nur ihn, sondern alle Partner unterstützt. „Meine Partner haben mich aber überzeugt, und jetzt geht es uns darum, ihn schnell in die Lage zu bringen, eigene Mandate zu führen und schließlich das Geld zu entnehmen, das er auch erwirtschaftet“, so Haag. In Kanzleien wie Ampersand bedeutet das wegen der niedrigen Kosten – selbst bei niedrigeren Umsätzen im Vergleich zu Großkanzleien – gute Entnahmen für die Partner. Aber um Geld gehe es ihm eh nicht, so Haag. „Ich will nicht an meinen Associates verdienen.“ Haag ist eher auf das Miteinander unter den Partnern stolz, das er als hierarchiefrei, freundschaftlich und einmalig beschreibt und auf die Entwicklung der Kanzlei: „Das haben wir selbst geschafft, dabei stand uns keiner Pate.“
Dieses Gefühl verbindet ihn vielleicht mit vielen deutschen Mittelständlern, für die er am liebsten arbeitet. „Als Jugendlicher habe ich immer gedacht, dass seien alles konservative Geldsäcke. Heute weiß ich, dass sie meist Enthusiasten sind, die einfach nur für ihre Produkte brennen.“ Im Moment brennt Haag für die Kontaktlinsentechnologie eines türkischen Mittelständlers.
Ampersand feierte kürzlich mit 300 Gästen aus der Münchner IP-Szene ihr fünfjähriges Bestehen. Das Panzerballett spielte zu diesem Anlass auf – sicherlich keine gewöhnliche Partyband in Wirtschaftskreisen. „Eine Jazzband, die laut kann“, kündigte Haag sie an.
Novum in der IP-Szene
Dort wo Haag heute steht, will Dr. Thomas Lynker noch hin. Der Münchner Patentrechtler ist seit Anfang Mai mit seiner eigenen Kanzlei Taliens unterwegs. Diesen Schritt ging Lynker allerdings nicht ganz freiwillig. Er war jahrelang Partner im Münchner Büro der internationalen Kanzlei Olswang, die ihren Hauptsitz in London hat. Die Geschäfte liefen gut, er führte regelmäßig Verfahren für den chinesischen Mobilfunkriesen ZTE. Bis aus London die Nachricht kam, dass seine Kanzlei mit CMS Cameron McKenna fusioniert. Weil aber die britische Kanzlei mit Rücksicht auf den Allianzpartner CMS Hasche Sigle kein Büro in Deutschland haben darf, standen die Münchner Olswang-Anwälte plötzlich vor einer ungeplanten Wahl: entweder zu CMS Hasche Sigle wechseln oder sich eine Alternative suchen.
Lynker entschied sich, Taliens zu gründen, und strebte vom Start weg eine europäische Aufstellung an. Zu der neuen Einheit gehören eine weitere Partnerin in München, ein Büro in Paris mit zwei Partnern und insgesamt vier Associates. Alle waren zuvor bei Olswang tätig. Taliens kooperiert zusätzlich eng mit einer Kanzlei in Madrid. Alle Anwälte sind ausschließlich im Gewerblichen Rechtsschutz tätig, ihr Hauptschwerpunkt ist das Patentrecht. Eine grenzüberschreitende Neugründung als Spin-off aus einer Großkanzlei hat die IP-Branche bislang noch nicht erlebt.
Vom Start weg mit europäischer Besetzung: Thomas Lynker verfolgt mit Taliens ein besonderes Konzept.
Allerdings prüfte Lynker verschiedene Angebote anderer Kanzleien, bevor er sich mit seinen Ex-Kollegen aus der Olswang-IP-Gruppe einig wurde. „In der Frühphase einer solchen Kanzleigründung spielt einem die eigene Psyche Streiche“, berichtet der 40-Jährige. Für viele Kanzleigründer ist vor allem die Rücksichtnahme auf die Familie wichtig, aber auch wie das Marktumfeld auf den neuen Wettbewerber reagiert. Seine alte Kanzlei und das neue Netzwerk jedenfalls haben Taliens signalisiert, weiter zusammenarbeiten zu wollen. „Die meisten erfolgreichen Spin-offs haben gute Beziehungen zu den Großkanzleien, aus denen sie kommen“, beobachtet Lynker.
Dass es so richtig losgeht, weiß Lynker, seit seine Bank ihm grünes Licht für die Finanzierung gegeben hat. Die Wochen vor den Verhandlungen waren geprägt von Businessplänen, Überlegungen zur Ausstattung der Kanzlei, der Suche nach Kanzleiräumen, und und und.
„Wenn man seine eigene Kanzlei gründet, wird man zum Erbsenzähler“, so Lynker. „Ich will die Kanzlei so wirtschaftlich wie möglich aufstellen.“ Das bedeutet: Anders als bei Olswang arbeitet er erst einmal nur mit einem Associate. „Durch den Prozess habe ich aber auch gelernt, den wirtschaftlichen Wert der eigenen Dienstleistung richtig einzuschätzen“, so Lynker.
Emotionen pur
Wie so viele junge Kanzleigründer geht auch Lynker in der gegenwärtigen Phase ganz in seinem Projekt auf und spricht voller Enthusiasmus über Sorgen und Hoffnungen, Unwägbarkeiten und Erfolgserlebnisse: „Das ist ein wahnsinnig aufregender Prozess.“ Diese emotionalen Hochs und Tiefs haben die drei Partner der Düsseldorfer Kanzlei Arnold Ruess bereits 2010 erlebt. Zunächst gründeten der Markenrechtler Prof. Peter Ruess (42) und der Patentexperte Dr. Bernhard Arnold (39) die kleine Boutique. Beide arbeiteten lange als Associates im IP-Team von Freshfields Bruckhaus Deringer. Wenig später holten sie ihre Ex-Kollegin Cordula Schumacher (41) nach.
Heute beschäftigt die Kanzlei 13 Anwälte und schwimmt auf einer Erfolgswelle. Für den Patentverwerter Sisvel, den Generikahersteller Hexal oder den Mobilfunkriesen Nokia ist die Kanzlei an vielen wichtigen Verfahren beteiligt. Sie gilt derzeit als eine der präsentesten Düsseldorfer Patentkanzleien. Immerhin beheimatet die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Europas wichtigstes Patentgericht.
Dabei mussten auch die drei anfangs kleine Brötchen backen und emotional Achterbahn fahren. „Wir hatten alles genau durchgerechnet und immer wieder gedacht, hoffentlich kommen genug Mandanten mit und neue hinzu“, berichtet Bernhard Arnold. Peter Ruess erinnert sich an ein Abendessen mit beiden Ehefrauen. An diesem Abend mussten die beiden Kanzleigründer das Versprechen abgeben, das Projekt aufzugeben, falls die Kanzlei nach zwei Jahren nicht erfolgreich ist, und sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen. Nun sind Freshfields-Associates in der Regel mit viel Selbstvertrauen ausgestattet. Der Stresstest blieb aus, weil ihnen eine Reihe mittelständischer Mandanten folgten. Schnell kam auch Sony hinterher. Arnold musste den Stick, mit dem man die damalige Version der Playstation knacken konnte, vom Markt schießen.
Sieben Jahre, sieben Kinder
„2010 war für mich und Peter Ruess kein lustiges Jahr. Wir haben jeden Abend in der Kanzlei gearbeitet“, erzählt Bernhard Arnold. Inzwischen hat ein personelles Wachstum für mehr Spielraum gesorgt. „Gearbeitet wird bei uns nach wie vor viel“, so Ruess. Aber die Partner legen viel Wert auf Flexibilität – auch für die Mitarbeiter, sofern es die Mandanten zulassen.
Diese zeitliche Flexibilität unterscheidet die Boutique von einer Großkanzlei wie Freshfields. Von Anfang an verordneten sich die Kanzleigründer diese selbst als Programm, denn das Thema Familie ist ihnen wichtig. Bernhard Arnold war schon Vater, als er die Kanzlei gründete. Seither sind die Partner noch sechs Mal Vater bzw. Mutter geworden, und das achte Partner-Kind ist nun für das achte Jahr des Kanzleibestehens angekündigt. Im Juni wird Cordula Schumacher zum dritten Mal Mutter.
Durchbruch mit Kaffeekapseln: Peter Ruess, Cordula Schumacher und Bernhard Arnold von Arnold Ruess.
Der Durchbruch kam für Arnold Ruess aber mit zwei in der Branche viel beachteten Urteilen gegen die Kaffeekapseln von Nespresso. Die Branche auf, weil die Youngster aus Düsseldorf im Auftrag der Schweizer Ethical Coffee Company dem Marktführer so richtig zusetzten und den Vertrieb alternativer Kapseln ermöglichte.
Kaffee fördert Aufmerksamkeit
Arnold, Schumacher und Ruess durften sich seither der Aufmerksamkeit der Fachkreise sicher sein und bekamen immer häufiger auch Mandate von anderen Patentkanzleien zugetragen, wenn die einen Konflikt hatten. Lange wurde die Kanzlei von ihren Düsseldorfer Kollegen, vor allem den Patentrechtlern in Großkanzleien, mit viel Sympathie betrachtet. Denn im Grunde tragen viele IP-Anwälte den Wunsch im Herzen, ihre eigene Kanzlei zu gründen. Aber nur wenige wagen den Schritt.
Direktmandate von Unternehmen wie Nokia oder Sisvel oder Aufträge aus dem Ausland kamen nun immer häufiger. „Arnold Ruess war die erste IP-Kanzlei, die nur von Associates aus einer Großkanzlei gegründet wurde“, erzählt Peter Ruess. „Wir haben versucht, uns mit dem Image ‚jung und begeisterungsfähig für unsere Mandanten‘ vom Rest des Marktes abzuheben.“
Die drei Kanzleigründer konnten aber auch auf die gute Ausbildung bauen. Gelernt hatten sie etwa, erfolgreich Netzwerke zu knüpfen. „In der anwaltlichen Beratung zählt neben der fachlichen Kompetenz und der Dienstleistungsbereitschaft vor allem der Nasenfaktor“, ist sich Ruess sicher. „So werden Mandate vergeben.“ Und deshalb sind nicht nur die Partner, sondern auch die jüngeren Anwälte der Kanzlei auf Fachtagungen und Branchenveranstaltungen sehr präsent.
Den Nachwuchs schnell einzubinden, ist den drei Kanzleigründern auch deshalb wichtig, weil sie sich nicht nur selbst einen Traumarbeitsplatz schaffen, sondern die Kanzlei zu einer schlagkräftigen und gut im Markt positionierten Einheit weiterentwickeln wollen. Sie treibt aber auch ein gewisser Hang zur Harmonie. Immer wieder betonen die drei Gründer den gelebten partnerschaftlichen Ansatz und echtes Teamwork. „Ich möchte mit keinem Haar woanders arbeiten“, ist sich Bernhard Arnold nach sieben Jahren immer noch sicher. <<