Kommentar: Widersprüchliche Signale vom Arbeitgeber
Ein Kanzleiwechsel kommt für Associates vor allem dann infrage, wenn sie mit ihren Aufgaben oder den Rahmenbedingungen unzufrieden sind. Hohe Einstiegsgehälter sind meist kein Grund, dem ersten Arbeitgeber lange die Treue zu halten, wenn dieser seine Wertschätzung nur mit der Bezahlung zum Ausdruck bringt.
Nicht jeder Anwalt wird in seiner ersten Kanzlei glücklich. Gründe für einen Wechsel gibt es immer: schlechte Personalführung, langweilige Aufgaben oder eine zu niedrige Bezahlung. Auch die Spezialisierung in einem bestimmten Rechtsgebiet kann zu den Glücksfaktoren gehören. Wer im Vergaberecht tätig ist, war in den Pandemiejahren plötzlich gefragt und ganz nah dran an wichtigen politischen Entscheidungen – wer sich auf Konfliktlösung spezialisiert hatte, litt hingegen jahrelang unter der Monotonie von tausenden Dieselprozessen.
Die Kanzleien als Arbeitgeber können natürlich kaum steuern, was der Mandant in sechs oder zwölf Monaten verlangen wird. Insofern tragen sie nicht die Verantwortung dafür, dass jede und jeder allzeit glücklich ist. Aber sie schaffen die Rahmenbedingungen. Dazu gehört das Geld. Mit der Vergütung senden sie aber widersprüchliche Signale. Exorbitante Einstiegsgehälter vermitteln den Bewerbern: Du bist uns wichtig, du bist uns lieb und teuer. Einige Berufsjahre später lautet die Botschaft: Du bist uns wichtig, solange du volle Leistung bringst. Noch ein paar Jahre weiter klagen die Partner: Ach, die Jugend von heute, da ist keiner dabei, der von sich aus Verantwortung fürs Geschäft übernehmen will.
Kein Wunder, möchte man sagen. Denn von allen Bedürfnissen, die junge Anwältinnen und Anwälte in ihren Beruf mitbringen, wird nur das finanzielle Bedürfnis sicher erfüllt. Alles andere muss zurückstehen. Da kann man es den Einsteigern nicht verdenken, dass ihre Loyalität zu einer Kanzlei nur schwach ausgeprägt ist. Wo es offensichtlich nur ums Geld geht, fallen andere Zufriedenheitsfaktoren unter den Tisch, auch wenn es keiner ausspricht. Es ist gut, wenn Bewerberinnen und Bewerber nicht nur auf den Euro-Gegenwert ihrer Arbeit achten. Ein hohes Gehalt signalisiert nicht hohe Dankbarkeit – fast schon ist das Gegenteil der Fall.