Gegen den Staatstrojaner: „Wahrheitsfindung nicht um jeden Preis“

Aus gleich drei Richtungen wird derzeit gegen den sogenannten Staatstrojaner vorgegangen. Eine Reihe von FDP-Abgeordneten, die Bürgerrechtsvereinigung Digitalcourage sowie eine Gruppe von Journalisten gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kündigten ihre Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die erst ein Jahr alte Neuregelung zur Online-Durchsuchung an. JUVE sprach mit dem Verfahrensvertreter der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Nikolaos Gazeas, Namenspartner der Kölner Strafrechtsboutique Gazeas.

JUVE: Was sind die wesentlichen Argumente, die gegen die aktuellen gesetzlichen Regelungen sprechen?

Gazeas_Nikolaos Gazeas: Es sind gleich mehrere Punkte. Die zu Recht strengen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil zur präventiven Online-Durchsuchung aus dem Jahr 2008 aufgestellt hat, hat der Gesetzgeber nicht beachtet. Die Online-Durchsuchung ist in einem zu weiten Umfang von Straftaten erlaubt. So ist sie etwa beim Verdacht der Geldwäsche in verschiedenen Ausprägungen und bei Korruptionsdelikten zulässig. Das geht verfassungsrechtlich betrachtet zu weit.

Der Gesetzgeber hat die Online-Durchsuchung – anders als die Wohnraumüberwachung – nicht als ultima ratio ausgestaltet. Auch das ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Ein weiterer Punkt ist der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – wozu insbesondere die Kommunikation mit Rechtsanwälten und Strafverteidigern zählen kann. Die Schutzvorschriften sind hier unzureichend. So fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, die dazu verpflichtet, eine Überwachung zu unterbrechen, wenn diese in den Kernbereich gleitet. 

Auch die Regelungen zur Quellen-TKÜ, also dem Überwachen verschlüsselter Telefonate und Nachrichten, sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Zudem ist durch Verfahrensregelungen nicht hinreichend sichergestellt, ob der Staatstrojaner nur das kann, was er rechtlich auch darf. Die Richter, die diese Maßnahme anordnen sollen, haben keine Möglichkeit, zu überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen an den Staatstrojaner eingehalten werden. Hier hätte der Gesetzgeber einfach ein Zertifizierungsverfahren schaffen können. Ich fordere dies in Gesetzgebungsverfahren zu solchen Maßnahmen als Sachverständiger in Parlamenten schon seit Langem.

Es wird in dem Zusammenhang von der Tiefe des Eingriffs in das IT-Grundrecht gesprochen – was genau ist damit gemeint?

Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Online-Durchsuchung der gravierendste Eingriff in die Privatsphäre ist, den man sich vorstellen kann. Er wiegt sogar schwerer als der einer Wohnraumüberwachung. Denn dort kann ich nur im Hier und Jetzt heimlich lauschen, nicht in der Vergangenheit. Mit der Online-Durchsuchung kann ich hingegen in zum Teil viele Jahre alte Datenbestände – man denke nur an E-Mails, Chatverläufe, Briefe und Fotos – Einsicht nehmen. Mit einer Online-Durchsuchung erfährt der Staat viel mehr.

Einer der Schwerpunkte unserer Verfassungsbeschwerde ist die Darstellung der Eingriffsintensität der Online-Durchsuchung. Wir haben unter Zuhilfenahme von Statistiken und wissenschaftlichen Studien analysiert, wie sich das Nutzerverhalten seit dem Jahr 2008 – dem Jahr, in dem das Bundesverfassungsgericht seine Grundsatzentscheidung zur Online-Durchsuchung gefällt hat – verändert hat. Es hat sich essenziell gewandelt. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Oktober 2007 gab es das iPhone in Deutschland noch nicht.

Das Smartphone ist die Schatztruhe der Seele im 21. Jahrhundert geworden. Der Staatstrojaner liefert den Schlüssel dazu. Ein tiefer Einblick in das Smartphone und den Computer eines Menschen erlaubt nicht selten weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers, bis hin zur Bildung eines Persönlichkeitsprofils dieser Person. Computer und Smartphone sind heute zum ausgelagerten Teil des Gehirns geworden. Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der bislang vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht vertieft erörtert worden ist: Die Online-Durchsuchung ermöglicht auch eine Live-Überwachung aller Aktivitäten des Nutzers am Computer oder Smartphone. Der Staat kann dem Bürger heimlich über die Schulter blicken und ihm so sogar beim Denken zuschauen. Eine einzige Online-Durchsuchung hat zudem allein schon wegen der oft tausenden von E-Mails eine extreme Streubreite und greift so in die Grundrechte völlig unbeteiligter Dritter ein.

Die Verfassungsbeschwerden gegen die Regelungen zum Staatstrojaner werden aus verschiedenen Richtungen an das Bundesverfassungsgericht herangetragen. Was unterscheidet die Beschwerde der FDP-Abgeordneten von der von Digitalcourage und der durch die GFF eingereichten Klagen?

Alle Beschwerdeführer verfolgen dasselbe Ziel: Die angegriffenen Regelungen sollen für verfassungswidrig und nichtig erklärt werden. Jeder legt einen anderen Schwerpunkt. Das ist auch gut so. Mit der GFF und dem Kollegen Dr. Strate, der die Beschwerdeführer vertritt, habe ich bei dieser Verfassungsbeschwerde zusammengearbeitet.

Geht es hier nicht rein um individuelle Freiheitsrechte? Warum sollten sich auch Unternehmen dafür interessieren?

Zwar richten sich strafrechtliche Vorwürfe nur gegen natürliche Personen. Unternehmen können – wie die Vielzahl der Wirtschaftsstrafverfahren zeigt – von solchen Ermittlungsmaßnahmen jedoch erheblich mit betroffen sein. Man denke nur an Zufallsfunde, die im Rahmen einer Online-Durchsuchung in einem Strafverfahren gegen ein Vorstandsmitglied gefunden werden und ein weiteres Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung des Unternehmens oder ein Kartellverfahren nach sich ziehen. Zudem können auch Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht sanktioniert werden. Die Online-Durchsuchung kann auch hierfür Beweismittel auf dem Silbertablett liefern. 

Wie könnte Ihrer Ansicht nach eine „bessere“ Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung aussehen – oder sollten Ermittler ganz auf diese Möglichkeit verzichten müssen?

Es ist möglich, beide Maßnahmen verfassungskonform auszugestalten. Ob man die Online-Durchsuchung zu Strafverfolgungszwecken überhaupt haben sollte, ist eine ganz andere Frage. Ich meine, ein Rechtsstaat kann und sollte hierauf verzichten. Denn es geht nicht – wie im Gefahrenabwehrrecht – um Rechtsgüterschutz, sondern nur um eine Sanktionierung einer eingetretenen Rechtsgutsverletzung. Das Strafrecht kommt beim Rechtsgüterschutz im Prinzip immer zu spät. Und Wahrheitsfindung darf es nicht um jeden Preis geben.

Das Gespräch führte Ulrike Barth.


Teilen:

azur Mail abonnieren