Arbeitsrecht: Der beste März aller Zeiten
Schlechte Zeiten für die Wirtschaft sind gute Zeiten für Arbeitsrechtler. Corona sorgt für eine Sonderkonjunktur, von Kurzarbeit über Restrukturierungen bis zum Personalabbau. Vor allem kleinere Boutiquen stehen aber auch vor Herausforderungen.
Von Catrin Behlau – Mitarbeit: Simone Bocksrocker und Annette Kamps
Nächte und Wochenenden durcharbeiten, immer auf Abruf sein – das galt in den vergangenen Jahren vor allem für Transaktionsspezialisten. Doch während die aufgrund der Pandemie vor allem zu Beginn eher Däumchen drehten, konnten sich viele Arbeitsrechtler in den Arbeitsalltag ihrer Kollegen aus den Transaktionspraxen einfühlen. „Ich habe die letzten Wochen komplett durchgearbeitet“, so berichteten es viele Arbeitsrechtler im Frühjahr dieses Jahres. Vor allem Ad-hoc-Anfragen zur Kurzarbeit beschäftigten die Berater – in der Regel zumindest in den unmittelbaren Wochen nach dem Lockdown zusätzlich zurbestehenden Mandatsarbeit. „Der finanziell beste März aller Zeiten“, hieß es in vielen Arbeitsrechtspraxen.
Überwältigt vom Arbeitsanstieg.
Der kurzfristig massive Arbeitsanstieg betraf die Arbeitsrechtsteams unabhängig von Größe oder Kanzleistruktur. Sprich: Großpraxen wie CMS Hasche Sigle und Freshfields Bruckhaus Deringer, aber auch die Großboutiquen Kliemt, Pusch Wahlig oder Vangard mit jeweils mehreren Dutzend Arbeitsrechtlern waren genauso überwältigt vom Arbeitsanstieg wie kleine, spezialisierte Einheiten mit zehn oder weniger Berufsträgern.
Die Lösung für die meisten: In der Hochphase der Kurzarbeitsberatung haben sie Abstriche bei der Annahme neuer Mandanten gemacht, getreu dem Motto: Lieber keinen ersten Eindruck hinterlassen als einen schlechten. „Gerade bei Neumandanten schauen wir derzeit genau hin: Zum einen, ob es jemand ist, der in unsere Strategie und Mandatsstruktur passt, zum anderen, ob wir in der Lage sind, diesen Neumandanten in dieser Phase überhaupt so zu betreuen, wie er es verdient hätte“, erläuterte kürzlich Prof. Dr. Michael Kliemt (54) von der gleichnamigen Arbeitsrechtskanzlei mit Standorten in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt Hamburg und München.

An den Grenzen der Belastung: Oliver Driver-Polke von Mainwerk versucht, die Wochenenden arbeitsfrei zu halten.
Mit rund 80 Arbeitsrechtlern verdient sie allerdings nur noch aufgrund der inhaltlichen Spezialisierung das Prädikat ‚Boutique‘. Aber auch kleinere Einheiten lehnten zuletzt durchaus Geschäft ab, allerdings nur solches, dass auch in normalen Zeiten ohnehin bei vielen unter die Rubrik ‚Nice-to-have‘ fällt.
„In der Führungskräfteberatung lehnen wir derzeit mehr Fälle ab als früher“, sagt auch Oliver Driver-Polke (47) von der Arbeitsrechtsboutique Mainwerk in Frankfurt und Heidelberg. Das hat nicht zuletzt mit der Kanzleikultur zu tun. Viele Arbeitsrechtsboutiquen wollen sich durch die bessere Work-Life-Balance von ihren Wettbewerbern in den Großkanzleien absetzen. „Wir gehen sicher an Grenzen der Belastung, aber wir sagen den Leuten nicht, dass sie jetzt Wochenendarbeit machen müssen. Dann schichten wir eher bei der Mandatsannahme ab“, so Driver-Polke. Bei den so wichtigen Dauerberatungsmandanten würde hingegen kaum eine Kanzlei ernsthaft erwägen, Aufträge abzulehnen – zu wichtig sind die langjährig gewachsenen, stabilen Beziehungen für die Kanzleien.
Doch nicht überall traf die Beratung zu Kurzarbeitsthemen auf das ungehindert weiterlaufende Tagesgeschäft. Inwieweit eine Boutique in den vergangenen Monaten wirklich an die Kapazitätsgrenzen und darüber hinaus geriet, hängt viel vom grundsätzlichen Geschäftsmodell ab. Denn auf den zweiten Blick wird klar: Es fällt derzeit durchaus auch substanzielles arbeitsrechtliches Geschäft weg. Bluedex, eine Frankfurter Einheit, die viel an der Schnittstelle zum Steuerrecht berät, etwa zur internationalen Mitarbeitermobilität, war darüber gar nicht so böse. „Das Entsendegeschäft liegt im Moment natürlich brach“, sagt Bluedex-Partner Dr. Michael Fausel (39). „Aber dadurch hatten wir dann mehr Kapazitäten frei für die unmittelbare Beratung zu Corona.“ So richtete die Kanzlei beispielsweise regelmäßige Corona-Calls ein.
Und auch bei Einheiten, die viel Zeit mit Prozessen an den Arbeitsgerichten verbringen, dürfte in den vergangenen Monaten etwas Ruhe eingekehrt sein. Das Prozessgeschäft war schon in Boomzeiten schwierig, in der jüngeren Vergangenheit gab es kaum Kündigungsschutzklagen. Traditionell prozessaffine Einheiten wie Brüggehagen Pfalzgraf Kiene Hilgenstock oder Laborius, beide in Hannover, haben schon allein deshalb in den vergangenen Jahren das Geschäft auf überwiegend kollektivrechtliche Dauerberatungsmandate umgestellt – und kamen so gut durch die aktuelle Prozessflaute.
Verhandlungen auf Eis gelegt.
Auch große IT-Einführungen beispielsweise, die normalerweise langwierige Verhandlungen mit den Betriebsräten zur Folge haben, werden derzeit wahlweise auf Eis gelegt oder pragmatisch ohne viel Aufhebens mit den Arbeitnehmervertretern gelöst. Was gerade nicht unbedingt notwendig ist, wird vielerorts nicht gemacht, auch wenn einige Arbeitsrechtler berichten, dass sich Personaler nun durchaus mit Projekten beschäftigen, für die es vorher keine Kapazitäten gab.

Passt der Mandant zur Strategie? Michael Kliemt lehnt neue Mandanten im Zweifel ab.
Zwar ist klar: Mit Corona kommt eine Rezession, und mit ihr werden Restrukturierungen, Kündigungsschutzklagen und Personalabbaumaßnahmen wieder deutlich anziehen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ob die Boutiquen dann notwendigerweise an vorderster Front dabei sind, ist alles andere als ausgemacht. „Die Situation erinnert uns sehr an die Zeit der Finanzkrise“, sagt Dr. Tobias Pusch (49), Namenspartner bei Pusch Wahlig Workplace Law (PWWL). „Damals haben wir eine Menge Restrukturierungs-Geschäft erwartet.“ Doch es kam für die 2006 gegründete Kanzlei anders: „Wir waren damals einfach noch zu klein und hatten noch nicht das Standing am Markt.“
Das erwartete Geschäft – es lief an den Neugründern weitgehend vorbei. „Es war unsere schwierigste Zeit“, so Pusch. Lange her. Heute ist Pusch Wahlig Workplace Law mit mehr als 40 Anwälten in vier Städten eine der größten spezialisierten Arbeitsrechtskanzleien Deutschlands.
„Auch die Boutiquen werden von der Restrukturierungswelle profitieren und ihr Geschäft bekommen, vor allem von ihren langjährigen Mandanten“, meint der Arbeitsrechtspartner einer internationalen Kanzlei. Vielleicht sind kleine Einheiten dann bei den internationalen oder bundesweiten Großmandaten nicht an vorderster Front, aber im regionalen Mittelstand allein wird genug zu tun sein.
Hinzu kommt: Durch die anstehenden Restrukturierungen wird auch das Prozessgeschäft wieder deutlich anziehen. Viele Arbeitsrechtler prognostizieren schon jetzt aufgrund der wirtschaftlichen Lage, dass in Zukunft deutlich weniger arbeitsrechtliche Prozesse verglichen werden. Schließlich können entlassene Mitarbeiter nicht wie in den vergangenen Jahren davon ausgehen, dass sie sofort wieder eine neue Beschäftigung finden. Dies dürfte auch die Betriebsräte nach Jahren der harmonischen Zusammenarbeit wieder deutlich streitlustiger machen.
Zahlungseingang im Visier.
Bleibt nur ein letztes Problem: Die anstehende Mehrarbeit muss auch bezahlt werden. Viele Kanzleien könnten auch finanzielle Probleme bekommen, wenn Mandanten an der Schwelle zur Insolvenz stehen und sie selbst dadurch auf ihre Honorare warten müssen. Verlängerte Zahlungsziele stellen gerade kleine Kanzleien vor Probleme. „Es kann sein, dass wir dann zwar viel zu tun haben, aber unsere Anwälte nicht mehr bezahlen können“, unkt der Arbeitsrechtler einer Boutique. Bislang jedoch scheint diese Aussicht nicht mehr als ein Damoklesschwert zu sein,
das über der Branche schwebt. „Wir haben uns darüber auch große Sorgen gemacht, aber bislang läuft alles reibungslos“. Allerdings: Dass sie derzeit nicht nur Rechnungen schreiben, sondern sehr wohl auch die Bezahlung kontrollieren, geben viele Arbeitsrechtler zu.